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Ausgabe:

Januar/2014

Spalte:

62–63

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Walton, John H.

Titel/Untertitel:

Genesis 1 as Ancient Cosmology.

Verlag:

Winona Lake: Eisenbrauns 2011. XIII, 214 S. m. Tab. Lw. US$ 34,50. ISBN 978-1-57506-216-7.

Rezensent:

Bernd Janowski

Dass Gen 1 oder genauer Gen 1,1–2,3.4a so etwas wie die Magna Charta des biblischen Schöpfungsglaubens ist, dürfte zu den Einsichten gehören, die unter Bibelexegeten, Naturwissenschaftlern und Kreationisten unstrittig sind. Hier endet aber auch schon die besagte Einigkeit. Die Uneinigkeit beginnt bereits bei der Frage, ob Gen 1 eine objektivierbare Aussage über den historischen Ursprung der Welt macht (so die Unterstellung der meisten Naturwissenschaftler, die von ihnen dann brüsk zurückgewiesen wird) und ob dieser Text wortwörtlich zu nehmen und in diesem Sinn zu historisieren ist (so die Annahme der Kreationisten, die mit absurden Behauptungen untermauert wird). Es gehört demgegenüber zu den unhintergehbaren Einsichten der neueren Bibelwissenschaft, dass »die historische Wahrheit der Schöpfungsberichte […] gerade nicht ein Historikum [ist], das man hinter den alten Berichten freilegen könnte, sondern die theologisch gedeutete Erfahrungswelt, deren Aussagekraft und Evidenz sich im Heute des Erzählers be­währt« (Chr. Link, Schöpfung, Gütersloh 1991, 357). Bei kulturellen Gründungserzählungen wie Gen 1 gibt es deshalb weder Augen­zeugen noch Zeitgenossenschaft im strikten Sinn. »Niemand ist sich ihrer bewusst und gegenwärtig, wenn sie sich ereignen. Wie bei erfüllten Prophezeiungen wird eine solche Gegenwärtigkeit erst im Nachhinein hergestellt« (A. Koschorke, Zur Logik kultu­reller Gründungserzählungen, Zeitschrift für Ideengeschichte, 1, 2007, 7).
Es ist wichtig, sich das bei der Beschäftigung mit Gen 1 von vornherein vor Augen zu halten. Die vorliegende Publikation von John H. Walton, Professor für Altes Testament am Wheaton Col­-lege, Illinois, trägt dieser hermeneutischen Maßgabe im ersten Kapitel »Cosmology and Comparative Studies: Methodology« (1–16) Rechnung und weist bereits hier und im folgenden Kapitel »Creation in Ancient Near Eastern Literature« (17–22) auf die Notwendigkeit der Einbeziehung der altorientalischen Vergleichstexte aus Ägypten, Mesopotamien, Kleinasien und Altsyrien hin, um sich der Eigenbegrifflichkeit der biblischen Schöpfungstexte und ihren spezifischen Ordnungskonzeptionen anzunähern. Die kosmologischen Überlieferungen des Alten Orients und Ägyptens werden dann im dritten Kapitel »The Ancient Cosmological Cognitive En­-vironment« (23–122) detailliert dargestellt, wobei der Vf. grundlegende Parameter bildet wie Ontology, Nonexistence (bzw. Chaos), Before-and-After Pictures (sogenannte Noch nicht-Aussagen), Separating Heaven and Earth, Cosmic Geography, Cosmos/Temple/ Rest und diese anhand ausgewählter Textbeispiele und tabellarischer Übersichten erläutert. Das alles ist nicht neu, wird aber ge­schickt und übersichtlich zusammengestellt und unter Hinzuziehung der gängigen Forschungsliteratur kommentiert. Leider fehlt aber eine so zentrale Publikation wie diejenige von O. Keel/S. Schroer, Schöpfung. Biblische Theologien im Kontext altorienta­lischer Religionen, Göttingen 2002, 2. Aufl. 2008, wie überhaupt die neuere deutschsprachige Literatur zur Sache. Ein »Summary« stellt die wichtigsten Aspekte der altorientalischen und ägyptischen Schöpfungstexte noch einmal zusammen (119–121).
Im vierten Kapitel »Genesis 1« (122–192) wendet sich der Vf. der Exegese von Gen 1,1–2,3 zu. Ohne eine – notwendige! – Kompositionsanalyse des Kapitels vorauszuschicken, setzt er dabei mit der Analyse von Gen 1,1 und seinen syntaktischen (artikelloses bereshit) und semantischen Problemen ein (bårå’ + Subj. Gott, »Himmel« und »Erde«). Danach folgt die Analyse der Vorweltschilderung von Gen 1,2 (unverständlicherweise ohne Berücksichtigung der einschlägigen Monographie von M. Bauks, Die Welt am Anfang. Zum Verhältnis von Vorwelt und Weltentstehung in Gen 1 und in der altorientalischen Literatur, WMANT 74, Neukirchen-Vluyn 1997), der Tage I–III (Gen 1,3–13, wieso diese Abgrenzung?), der Tage IV–VI (Gen 1,14–31, wiederum: wieso diese Abgrenzung?) und von Tag VII (Gen 2,1–3). Unbekant ist dem Vf. leider auch E. Zenger, Gottes Bogen in den Wolken. Untersuchungen zu Komposition und Theo­logie der priesterschriftlichen Urgeschichte, SBS 112, Stuttgart 1983, 2. Aufl. 1987, und B. Janowski/F. Schweitzer/Chr. Schwöbel (Hrsg.), Schöpfungsglaube vor der Herausforderung des Kreationismus, Neukirchen-Vluyn 2010, mit einem längeren Aufsatz zu Gen 1. Das fünfte Kapitel (193–199) fasst die Ergebnisse des Buchs, das eine Bibliographie und die üblichen Register enthält, zusammen.
Wie ist das Ganze zu beurteilen? Wenn man der vierten Um­schlagseite folgt, als eine »fresh analysis of Gen 1:1–2:4«. Wenn man allerdings genauer hinsieht und das Buch in die gegenwärtige Forschung einordnet, stellt es sich als eine Zusammenfassung dessen dar, was längst bekannt ist und woanders gründlicher und um­sichtiger analysiert wurde als hier – erstaunlich und auch bedauerlich bei einem so renommierten Verlag wie Eisenbrauns.