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Ausgabe:

Januar/2014

Spalte:

49–51

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Felber, Stefan

Titel/Untertitel:

Kommunikative Bibelübersetzung. Eugene A. Nida und sein Modell der dynamischen Äquivalenz.

Verlag:

Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 2013. 481 S. Geb. EUR 36,00. ISBN 978-3-438-06249-9.

Rezensent:

Harald Seubert

Eugene Nida (1914–2011) ist eine der im Hintergrunde wirkmächtigsten Instanzen weltweiter Bibelübersetzungen. Seinem Modell der »dynamischer Äquivalenz« folgt eine Vielzahl von Bibelübersetzungen, die in unterschiedlichsten Sprachen verbreitet sind. Gerade im deutschen Sprachraum ist Nida aber kaum – oder nur unzureichend – bekannt. Eine umfassende, wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Monographie zu seinem Ansatz fehlt bis heute. Stefan Felber, Dozent in St. Chrischona/Basel, legt nun eine souveräne und abgewogene Auseinandersetzung mit Nidas Ansatz und seinen Implikationen vor. Seine Monographie zeichnet sich durch große Fairness und die differenzierte Würdigung des jahrzehntelangen weltweiten Engagements Nidas ebenso aus wie durch eine kristallklare theologische und philologische Kritik.
Nida näherte sich der Schriftübersetzung nicht als Theologe, sondern als Linguist und Gräzist, wobei er von seinen offenbar beträchtlichen Fähigkeiten als Klassischer Philologie aber, wie F. zeigt, nur wenig Gebrauch machte. Er argumentiert nämlich nicht vom Urtext des Neuen Testamentes aus, sondern ausgehend von vorhandenen Übersetzungen. In diesem Sinne ist auch in den meisten der nach dynamischer Äquivalenzmethode gearbeiteten Bibelübersetzungen verfahren worden. Im Hintergrund steht die keineswegs unproblematische Akzentuierung auf der Rezipien­tenorientierung der Übersetzungen, die dadurch noch gravierende Züge annimmt, dass Nida für selections plädiert, Schriftübersetzungen, die sich an ganz bestimmte Rezipientenkreise wenden.
Ansatzpunkt der »dynamischen Äquivalenz« ist, dass bei den Rezipienten aus unterschiedlichen Kulturen äquivalente Reaktionen wie bei den ursprünglichen Lesern und Hörern der Heiligen Schrift wachgerufen werden sollen. In dieser Rezipientenorientierung und in der Reduktion auf elementarste »Kommunikationsstrukturen« tendiert das Verfahren zu einem eher losen Umgang mit der opinio textus. F. analysiert das umfängliche, in sieben Jahrzehnten entstandene übersetzungstheoretische Werk von Nida erstmals in seiner ganzen Breite. Er stellt es zunächst überaus wohlwollend dar (Teil 2) und schließt dann (Teil 3) eine theologisch tiefgehende Kritik an. Er entwickelt allerdings bereits im Darstellungsteil mögliche Ansätze der Kritik, die dann aufgenommen werden.
Die Darstellung von Nidas oft schwer zugänglichen Arbeiten zeigt, dass der Ansatz dynamischer Äquivalenz auf leichtverständliche Kommunikation als Mittel der Mission abzielt. Am Ausgangs­text orientierte Übersetzungen werden als »gesetzlich-buchstäb- lich« abgewertet. Nida fordert von gelingender Übersetzung, drei Kriterien einzulösen: faithfulness, expressiveness und die Erfassung des Geistes (spirit) des Originals. Dass sein eigener Versuch einer Unterteilung des Übersetzungsvorgangs in verschiedene Phasen, namentlich die Scheidung von »Analyse« und »Neuaufbau« nicht sensu strictu durchzuführen war, dass Exegese, Analyse und Übertragung ineinandergreifen, scheint Nida in den 80er Jahren indessen selbst erkannt zu haben. Unter »Analyse« verstand Nida dabei die Zerlegung der Texte in Elementarbestandteile (grammatische Tiefenstrukturen), die er in enge Anlehnung an Chomskys generative Transformationsgrammatik als kernels bestimmt. Der »Stilist« müsse auf der Grundlage der Analyse den Text neu zusam­menfügen. Nida hat später, wie F. zeigt, das Gelingen von Übersetzungen stärker den Fähigkeiten und dem Takt erfahrener Übersetzer zugewiesen. Auch aus der weltweiten Rezeption, insbesondere aus China, meldeten sich kritische Stimmen, die vermutlich nicht ohne Wirkung geblieben sind. Ebenso kann F. in den späteren Arbeiten Nidas eine stärkere Rückbindung an Kirche und Gemeinde ausmachen. Ein Grundmangel wird jedoch auch in Nidas Spätwerk nicht beseitigt: dass tiefergehende hermeneutische und exegetische Be­zugnahmen auf den Ausgangstext ausbleiben. Gerade an Nidas exegetischem Lieblingsbeispiel Mk 1,1 ff. kann F. die Unzulänglichkeit von dessen Exegese aufweisen und verdeutlichen, wie eine genaue Exegese zu einer möglichst getreuen Übersetzung führt.
F. widmet sich in seiner Kritik differenziert den sprachphilosophischen Prämissen von Nida: Nida selbst beruft sich auf Chomskys »generative Grammatik«, die nicht die Oberflächenstruktur, sondern ein elementarisiertes Tiefenraster ins Zentrum rückt. Ob sich tatsächlich legitimerweise eine Linie von der Logik von Port Royal über den Cartesianismus bis zu Chomsky konstruieren lässt und ob ein das Wort Gottes überformender Logizismus schon aufgrund der philosophischen Prämissen zu fragwürdigen Ergebnissen führen muss, lässt F. zu Recht offen. Hanspeter Hempelmann hatte stark in diese Richtung argumentiert. F. erwägt aber zu Recht, ob nicht bei Nida weniger ein rationalistisches, »platonistisches«, sondern ein empiristisches Sprachverständnis im Hintergrund stehe, das im Blick auf instrumentelle diesseitige Zusam­menhänge geprägt worden sei. Auch hier wird die Frage unausweichlich, inwieweit schon eine solche Konzeption überhaupt zur Übersetzung des bib­lischen Textes geeignet ist. Dies hat auch linguistische Folgen: Die kernels der Transformationsgrammatik setzen voraus, dass verschiedene Oberflächenstrukturen auf identische »Tiefenstrukturen« verweisen. Die Legitimität eben dieses Rückschlusses aber ist höchst zweifelhaft: Sprache und Kultur stehen in einem dichten Interdependenzverhältnis. Gravierender aber noch ist es, dass auf diesem Wege verkannt wird, dass Sprache mehr ist als nur Kommunikation. Worte sind mehr als Zeichen, zumal wenn es um die Modi der Anrede Gottes an den Menschen und seines Handelns an ihm geht. Nidas Methodik erfordert einen allzu hohen Preis: Die Eigenprägung von Psalmen und Liedern geht verloren, ja, es zeichnet sich ein dramatischer Sprach- und damit Theologie- und Glaubensverlust ab, sodass nur eine vage Hoffnung bleibt.
Die Orientierung an der Consumer Language und der kommu­nikationstheoretischen Übermittlung von Nachrichten reagiert durchaus zu Recht auf das Problem der Fremdheit. F. zeigt aber eindrucksvoll, wie auf diese Weise die Bindekraft des Wortes und der Bilder bis zu den »Herzwörtern« der Bibel (F. Melzer) nivelliert wird, sodass eine Bedeutungsäquivalenz von vorneherein nicht erreicht werden kann. Und: Es ist nicht zuerst das Sprechen Gottes und dann das Hören des Menschen, das so in den Blick kommt. Vielmehr vollzieht, wie F. zeigt, Nida implizit einen Blickwechsel, der die Autorität des Wortes Gottes, auch wider Willen, relativieren kann.
Auf Luther als Vorläufer kann sich das Äquivalenzmodell gerade nicht beziehen, ungeachtet des viel zitierten Diktums des Reformators, dem Volk »aufs Maul« geschaut zu haben. Luther orientierte sich gerade nicht an der Vulgärsprache, die Schrift war für ihn unbezweifelbare Letztinstanz. F. hebt positiv hervor, dass Nida die Freude an der Vielfalt der Sprachen und der Wirkung des biblischen Wortes in deren Kraftfeld angetrieben habe. Doch er fordert eine ganz andere Antwort in der Ära nach Nida ein: Übersetzer und Revisoren sollten »sich einer neuen Wertschätzung der Fremdheit der Ausgangstexte, ihrer Oberflächenstruktur und ihrer literarischen Ge­stalt […] befleißigen« (391). Die Luther-Bibel, aber auch die King James Version oder die Buber-Rosenzweigsche Verdeutschung des Alten Testamentes gelten F. als exemplarische Vorbilder: Sie wurden in ihrer Treue zum biblischen Text und ihrer eigenen Sprachmacht selbst zu sprachprägenden Texten, gerade in ihrer je spezifischen Treue zum Urtext. Darüber hinaus formuliert F. deutlich, dass sich eine Übersetzung um desto größere Wortgenauigkeit bemühen wird, je genauer die zugrundeliegende Exegese ausfällt. F. akzentuiert erfreulich klar, dass es beim Wort Gottes nicht nur um leichten Konsum gehen kann und nicht um ein billiges Verständnis, das die Erwartung einer »billigen Gnade« (Bonhoeffer) nahelegt. Ge­rade auch die Andersheit, der Anspruch und die Schönheit des biblischen Wortes sind zu berücksichtigen. Es zu erfassen und zu verstehen, bedarf einer Anstrengung, die aber geeignet sein wird, tiefer in den Reichtum des Wortes Gottes einzuführen.
Man wünscht dieser zugleich hochgelehrten und für Theologie, Kirche und Gemeinde höchst relevanten Untersuchung die Anerkennung und Verbreitung, die eine solche bahnbrechende Arbeit verdient.