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Ausgabe:

Januar/2014

Spalte:

47–49

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Brünenberg, Esther

Titel/Untertitel:

Der Mensch in Gottes Herrlichkeit. Psalm 8 und seine Rezeption im Neuen Testament.

Verlag:

Würzburg: Echter 2009. 313 S. = Forschung zur Bibel, 119. Kart. EUR 36,00. ISBN 978-3-429-03073-5.

Rezensent:

Johannes Schnocks

Die Studie von Esther Brünenberg wurde 2008 an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Bochum mit Gutachten von Thomas Söding, Peter Dschulnigg und Christian Frevel als Dissertation angenommen. Bereits die Disposition weist sie als eine im besten Sinne bibeltheologische Arbeit aus: Nach der Einleitung [»Thematische Einführung, Fragestellung und methodische Begründung«; 13–24] folgen die beiden fast gleich umfangreichen Hauptteile der Arbeit, die Ps 8 jeweils im Alten [25–134] und im Neuen Testament [135–242] gewidmet sind. Dabei liegt ein besonderer Akzent auf der Anthropologie des Psalms und ihrer (christologischen) Rezeption.
Der alttestamentliche Hauptteil zu Ps 8 beginnt mit Abschnitt »A) Der hebräische Text« [26–80]. Er behandelt Text [26–47], Komposition [48–54] und Auslegung [54–80] des Psalms. Am Ende können bereits anthropologische Kernaussagen festgehalten werden: »Im Unterschied zu altorientalischen Vorstellungen erhalten nicht nur (oder gerade nicht) bestimmte herausragende Menschen königliche Zuschreibung, sondern es ist jeder einzelne Mensch, dem diese Auszeichnung, aber auch die damit verbundene Aufgabe, Verantwortung und Verpflichtung zuteil wird.« [79] Aus der Position des betenden und bekennenden Ichs des Psalms werden Aussagen über jeden Menschen gemacht: »Die anthropologischen Aussagen des Psalms verweisen alle auf Gott als Schöpfer. […] Im Mittelpunkt des Psalms steht nicht der Mensch, sondern Gott. Ohne ein persönliches Gottesverhältnis ist der Mensch nach Psalm 8 nicht denkbar. Denn von Gott her erhält er seine Würde wie seine Aufgabe.« [79 f.] Diese Aussagen seien freilich im Psalm ein Idealentwurf, der auch um die realen Schwächen weiß: »Das Ideal besagt zudem, dass der Mensch in seiner realen Existenz lediglich eine Orientierung am Idealentwurf findet, hinter diesem jedoch zurückbleibt. […] Eine Herrschaft des Menschen über Menschen thematisiert der Psalm nicht.« [80]
Der Abschnitt »B) Der griechische Text« [81–91] behandelt Text – auch im Vergleich mit dem hebräischen Text – und Komposition der griechischen Fassung. Für die neutestamentliche Rezeption ergeben sich hier wichtige Akzentverschiebungen. Dabei rückt besonders V. 6 in den Blick. B. übersetzt den hebräischen Text: »Du ließest ihm nur wenig fehlen zu Gott« [27] und den griechischen mit: »Du hast ihn für kurze Zeit geringer sein lassen unter den Engeln« [82]. Sie nimmt dabei an, dass der Übersetzer bei der Wahl von »Engel« für »Gott/Götter« an den himmlischen Hofstaat ge­dacht hat.
Der Abschnitt »C) Psalm 8 und seine inneralttestamentlichen Bezüge« [92–134] vergleicht den Psalm in anthropologischer Hinsicht mit Gen 1 [92–114] und weisheitlichen Texten [115–134], im Einzelnen: Ijob 7; 15; 19; 25; Ps 144; Sir 18. Wie kaum anders zu erwarten, findet B. eine Nähe des Psalms zu Gen 1 und Distanz zu den eher pessimistischen, um die Vergänglichkeit kreisenden weisheitlichen Passagen. Hier könnten sich weiterführende Fragen an­schließen. Wenn man etwa zu Gen 1,26–28 noch die in der Priesterschrift komplementäre nachsintflutliche Lebensordnung Gen 9,1–7 hinzugenommen hätte, so hätte der Herrschaftsauftrag über die Tiere nochmals eine völlig andere – auch problembewusstere – Qualität bekommen. Die hinzugezogenen weisheitlichen Texte sind unter dem Aspekt einer möglichen Rezeption von Ps 8 ausgewählt – und als solche zweifellos spannend, weil sie zeigen, dass man in alttestamentlicher Literatur auch ganz andere Antworten auf die Frage »Was ist der Mensch?« geben konnte. Allerdings wird hier der Bereich der Anthropologie aus alttestamentlicher Perspektive weit geöffnet, ohne dann mit entsprechender Tiefe und im Dialog mit der Literatur eingeholt werden zu können. Die Studie bleibt an dieser Stelle daher skizzenhaft, was aber angesichts des neutestamentlichen Fokus kein Mangel ist.
Der neutestamentliche Hauptteil beginnt mit der Rezeption von Ps 8,3 in Mt 21,1–17 [135–152]. Die Rede vom Lob aus dem »Mund der Unmündigen und Säuglinge« des Psalms wird hier von Jesus mit den Rufen »Hosanna dem Sohn Davids« der Kinder im Tempel verbunden. »Mt schafft in der Aufnahme dieses Zitats im Rahmen der Schilderung des ersten Tages Jesu in Jerusalem eine christologische Deutung, freilich in theozentrischer Perspektive, insofern sich gerade in der Messianität und Davidssohnschaft Jesu, im Chris­tusereignis, das Thema des 8. Psalms: die ›Offenbarung der Herrlichkeit des Namens Gottes auf der Erde‹ ereignet.« [152]
Der nächste Abschnitt widmet sich der Aufnahme von Ps 8,7 in 1Kor 15,20–28 [153–181]. Das Zitat steht hier im Zusammenhang mit dem Zitat von Ps 110,1 in 1Kor 15,25. »Als gemeinsames Motiv beider Psalmen gilt die Unterwerfung der Mächte bis hin zum Tod.« Was ursprünglich vom König galt (Ps 110), dem als Herrn über die Schöpfung die Lebewesen anvertraut waren (Psalm 8), »deutet Paulus auf Chris­tus als eschatologischen König und Herrscher« (181).
Mit dem Zitat desselben Verses in Eph 1,18–23 beschäftigt sich der folgende kurze Abschnitt [181–186]. Gegenüber der Rezeption in 1Kor kommt hier die ekklesiologische Dimension einer präsentischen Herrschaft Christi hinzu [vgl. 186].
Mit der Analyse von Hebr 2,6–9 und seinem ausführlichen Zitat aus Ps 8 LXX erreicht die Studie ihr letztes Hauptkapitel und in mancher Hinsicht ihren Höhepunkt [187–239]. Der analysierte Ab­schnitt wird hier sorgfältig im Kontext des Hebräerbriefes und seiner Schrifthermeneutik eingebettet. Der Abschnitt »Die Anthropologie als Schlüssel für die Christologie: Psalm 8,5–7 in Hebr 2,6–9« [228–239] wird so zu einer eindrucksvollen und plausiblen Rekonstruktion der anspruchsvollen Argumentationswege des Hebräerbriefes.
Im kurzen Auswertungskapitel [240–242] wird festgehalten, »dass die in der Theologie begründete Anthropologie grundlegende Bedeutung für die Christologie des Neuen Testaments hat, in eschatologischer Ausrichtung (1Kor 15,27; Hebr 2,6–8) ebenso wie in ekklesiologischer (Eph 1,22). Im Neuen Testament gewinnt die Zitation von Psalm 8 Brisanz, weil sie die Anthropologie auf die Christologie bezieht. Das Menschsein Jesu zeigt in der neutestamentlichen Christologie eine hohe Relevanz.« [241]
Das Literaturverzeichnis [243–311] und ein sehr knappes »Stellenregister (in Auswahl)« [312 f.] schließen den Band ab.
B. hat eine gut lesbare breit angelegte Studie vorgelegt, deren besonderes Verdienst darin besteht, die Einheit alt- und neutestamentlicher Rede von Gott und vom Menschen theologisch produktiv zu demonstrieren. Im Blick auf Ps 8 hat der rezeptionsorientierte Zugang die oft attestierte Relevanz des Textes unterstrichen. Hier werden Maßstäbe für die weitere exegetische Arbeit an diesem Text, aber auch für das Feld der Psalmenrezeption im Neuen Testament gesetzt.