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Ausgabe:

Mai/1999

Spalte:

561–563

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Dvorak, Vladimír, u. Jan B. Lasek [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Comenius als Theologe. Beiträge zur Internationalen wissenschaftlichen Konferenz "Comenius’ Erbe und die Erziehung des Menschen für das 21. Jahrhundert" (Sektion VII) anläßlich des 400. Geburtstages von Jan Amos Comenius.

Verlag:

Prag: Nadace Comenius 1998. 266 S. 8 = Pontes Pragenses, 1. ISBN 80-902424-0-5.

Rezensent:

Helmut Hanisch

Der vorliegende Sammelband "Comenius als Theologe" ist die erste Publikation der Schriftenreihe Pontes Pragenses, die von der Hussitischen Theologischen Fakultät der Karlsuniversität Prag herausgegeben wird. Sie ist in dreifacher Hinsicht als historisch zu bezeichnen:

1. In neuerer Zeit war es zum ersten Mal nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Herrschaftssysteme im Osten Europas im Jahr 1992 möglich, im Rahmen einer internationalen Konferenz auf Comenius nicht nur als Pädagogen, sondern vor allem als Theologen einzugehen. 2. Die einzelnen Beiträge in diesem Sammelband beschäftigen sich mit dem Gedankengut von Jan Amos Comenius aus historischer Sicht. Im Kontext seiner Zeit werden die theologischen Voraussetzungen im Denken Comenius’ aufgegriffen und diskutiert. 3. In Ansätzen wird danach gefragt, welche Bedeutung das theologische Denken des Gelehrten der Barockzeit für die aktuelle geschichtliche Situation besitzt und für die Bewältigung von Zukunftsaufgaben haben kann.

Leider ist es aufgrund des vorgegebenen Rahmens dieser Buchbesprechung nicht möglich, auf alle 25 Aufsätze eigens einzugehen. Deshalb müssen wir uns auf einige wenige markante Punkte beschränken, die diesen wichtigen Beitrag zur Comenius-Forschung auszeichnen. Zunächst gilt es hervorzuheben, daß - von einzelnen Forschungsberichten im Westen wie im Osten Europas abgesehen - zum ersten Mal der systematische Versuch unternommen wird, sich Comenius als Theologen zuzuwenden. Dabei wird erkennbar, daß es nicht genügt, auf den böhmischen Exulanten nur als theologischen Gelehrten seiner Zeit zu blicken, sondern daß es für das Gesamtverständnis seines Werkes ebenso grundlegend ist, ihn als glaubenden Christen zu sehen. Trotz persönlicher Schicksalsschläge und Niederlagen hat er an seinem Glauben stets festgehalten und daraus immer wieder neuen Ansporn gewonnen, sich den Herausforderungen seiner Zeit zu stellen und gestaltend auf sie einzuwirken. Eine für ihn unverzichtbare Quelle war dabei die Bibel. In der Beschäftigung mit ihr gewinnt er die Einsicht, daß sie neben dem Buch der Natur und des Geistes die entscheidende "Quelle aller Weisheit" sei. Mit Comenius’ biblischer Orientierung als glaubender Christ beschäftigen sich vor allem die Beiträge von Jan Ligus, Iva Pospisilova, Zdenek Sazava und Jan B. Lasek.

Neben den metaphysischen Voraussetzungen des theologischen Denkens des böhmischen Gelehrten, auf die sich der Beitrag von Ludger Honnefelder bezieht, nimmt die Darstellung des Chiliasmus innerhalb der comenischen Theologie in dem vorliegenden Sammelband einen breiten Raum ein. Comenius war seit seiner Studienzeit in Deutschland von dem Gedanken bestimmt, daß die Wiederkunft Christi nahe bevorstand. Mit ihr verband er weniger die Vorstellung des Weltgerichtes als vielmehr den Beginn eines ewigen Friedensreiches. Seine chiliastischen Vorstellungen hatten einen entscheidenden Einfluß auf seine Geschichtsphilosophie, seine Eschatologie, die Rechtfertigungslehre und nicht zuletzt den Synergismus in seiner Theologie. Dabei läßt er sich von dem Gedanken leiten, daß der Mensch als Mitarbeiter Gottes gesehen werden muß. Der Mensch hat die Aufgabe und das Vermögen, an der Vervollkommnung aller Dinge mitzuarbeiten. Dies wird ihm dann gelingen, wenn er sich von Jesus Christus leiten läßt und sich in das von Gott gewiesene Zentrum zurück begibt, aus dem er sich aufgrund seiner "Selbsteigenheit" entfernt hat. Da dies der Mensch nicht allein kann, sind umfassende pädagogische und politische Anstrengungen notwendig, um ihm den Weg in die Mitte zu weisen. Die Beiträge von Wilhelm Schmidt-Biggemann, Zdenek Kucera, Alexander Kolesnyk, Otokar A. Funda, Igor Kiss, Norbert Kotowski und Stanislaw Sousedik konzentrieren sich auf das chiliastische Denken und dessen Implikationen innerhalb der Theologie Comenius’.

Ein weiteres zentrales Thema, dem sich einzelne Beiträge zuwenden, ist das Thema "Ökumene". Zeit seines Lebens litt Comenius unter der Spaltung der Konfessionen, deren grausame politischen und militärischen Auswirkungen er am eigenen Leibe zu spüren bekam. Sie waren es, die dazu führten, daß er nach einigen glücklichen Jahren Zeit seines Lebens als Heimatvertriebener sein Dasein fristen mußte. Dennoch hielt er an der Idee der einen Kirche fest. Dabei war es für ihn ein wesentliches Anliegen, zur Aussöhnung zwischen den Konfessionen beizutragen. Mit den theologischen Implikationen seines ökumenischen und eirenischen Engagements beschäftigen sich die Beiträge von Jan Milic Lochman, Josef Smolik und Jerzy Cygan.

Daneben finden sich in dem Sammelband wichtige Beiträge, die sich u. a. den theokratischen Voraussetzungen der comenischen Staatslehre (Jiri Bily und Jakub S. Trojan), dem triadischen Denken (Karel Floss) und dem kirchengeschichtlichen Vermächtnis (Vladimir Sakar) des großen Böhmen zuwenden. Die Aufsätze von Eva Melmuková und von Markku Leinonen befassen sich mit Aspekten der Wirkungsgeschichte des comenischen Werkes. Melmukova wendet sich der Frage der Erziehung der Geheimprotestanten in Böhmen im 18. Jahrhundert zu. Leinonen stellt am Beispiel von Johannes Gezelius dar, welche Bedeutung die Pädagogik Comenius’ in Finnland hatte. Schließlich ist in diesem Zusammenhang noch auf den Beitrag von David Schattschneider hinzuweisen. Er arbeitet heraus, welche wirkungsgeschichtliche Bedeutung Comenius bei den Böhmischen Brüdern in Bethlehem, Pennsylvania, zukommt.

Abschließend bedürfen noch drei Beiträge der Erwähnung: Egon Pfeifer geht ausführlich auf die Gartenmetaphern in den Werken des böhmischen Gelehrten ein. Blanka Karlsson nimmt eine Bestandsaufnahme der Werke von Jan Amos Comenius in der Finsponger Sammlung in Norköpping vor, die auf den niederländischen Kaufmann Louis de Geer zurückgeht. Und Zdenek Dittrich schildert die kirchlichen Verhältnisse in den Niederlanden zu der Zeit, als Comenius dort seinen Lebensabend verbrachte.

Der Sammelband gibt einen hervorragenden Einblick in das theologische Denken des böhmischen Exulanten. Sowohl die Voraussetzungen seiner Theologie als auch die pädagogischen, politischen und ökumenischen Konsequenzen, die sich daraus ergeben, werden überzeugend und nachvollziehbar dargestellt. Die Kürze, die Prägnanz und die unterschiedlichen thematischen Akzentuierungen der einzelnen Beiträge bieten in vielerlei Hinsicht Zugänge zu einem vertieften Verständnis des comenischen Gesamtwerkes und motivieren zum weiteren Nachdenken, das neue Forschungsperspektiven eröffnet. Zu dem großen Horizont, das dieses Werk auszeichnet, trägt die internationale Verfasserschaft bei. Dies findet nicht zuletzt seinen Niederschlag darin, daß einige Beiträge in englischer Sprache verfaßt sind. Leider haben sich dabei eine Reihe von sprachlichen Fehlern und Druckfehlern eingeschlichen, die bei sorgsamer Redaktion hätten ausgemerzt werden können (vgl. z.B. den Beitrag von Igor Kiss).

In vielen Beiträgen wird die Brücke zur Gegenwart geschlagen. Im Rückgriff auf Comenius werden Denkanstöße gegeben, Zukunftsaufgaben im pädagogischen, politischen und ökumenischen Bereich zu meistern. Als Anregung läßt sich aus der Lektüre des Sammelbandes zweierlei ableiten: Zum einen erscheint es wichtig, daß sich die zukünftige Comenius-Forschung verstärkt mit Rezeptionsproblemen des comenischen Gedankenguts angesichts postmodernen Denkens befaßt. Zum anderen gilt es, das theologische Denken Comenius’ im Horizont moderner Theologie zu bedenken.

Der vorliegenden Studie ist eine breite Leserschaft zu wünschen. Dabei geht es vor allem darum, neben der historischen Perspektive die Aktualität des comenischen Denkens für die Gegenwart zu erkennen und Anstöße zu gewinnen, den Herausforderungen unserer Zeit beherzt entgegenzutreten.