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Ausgabe:

Dezember/2013

Spalte:

1414–1416

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Pfaff, Petra

Titel/Untertitel:

Der Schulgottesdienst als Partizipationsgeschehen. Überlegungen zur leiblich-sinnlichen Wahrnehmung im Schulgottesdienst.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2012. 335 S. Kart. EUR 48,00. ISBN 978-3-374-02996-9.

Rezensent:

Bernhard Dressler

Dieser Neuendettelsauer Habilitationsschrift ist die langjährige praktische Erfahrung von Petra Pfaff bei der Planung, Gestaltung und Auswertung von Schulgottesdiensten durchweg abzuspüren. Gleichwohl werden die erfahrungsgesättigten Teile im Rahmen einer auch theoretisch weiter ausholenden historischen und praktisch-theologischen Reflexion zum Schulgottesdienst entfaltet, einer Gottesdienstgestalt also, der in Wissenschaft und Kirche noch längst nicht die nötige Beachtung zukommt. Das ist, trotz mancher kritischer Einwände, gewiss ein Verdienst dieses Buches. Maßgeblich ist dabei die Betrachtung von Schulgottesdiensten »konsequent im Horizont der […] Anwesenden und nicht aus der Sicht der den Gottesdienst Verantwortenden und Gestaltenden« (17).
Immerhin kommt aber die Sicht der »Gestaltenden« darin zum Zuge, dass immer wieder nach den Bedingungen des Gelingens oder danach gefragt wird, an welchen sensiblen Schlüsselstellen ein Schulgottesdienst atmosphärisch »kippt«. Zentral ist die Frage, ob »sich der Umgang mit leiblich-sinnlicher Wahrnehmung für den Schulgottesdienst in eine Theorie kleiden [lässt], die dann auch konkrete Folgen für die Praxis hat« (25). Etwas salopp wird öfter nach einem »Geheimrezept« gefragt, das es nun aber angesichts der hochkomplexen Lage der Dinge gerade nicht geben kann.
Nach einer u. a. den Forschungsstand knapp resümierenden »Einleitung« (I, 12–26) wird in Kapitel II (»Schulgottesdienst: Eine Grundlegung«, 27–116) die Entwicklung von den mittelalterlichen Klosterschulen bis in die Gegenwart nachgezeichnet. Neuere »liturgiedidaktische Inszenierungsansätze« (74 ff.) werden im Blick auf den Schulgottesdienst herangezogen und kritisch abgewogen. Zugleich wird untersucht, was aus Jugend-Milieustudien hinsichtlich der Erwartungen und Erlebnisweisen der Teilnehmenden zu ermitteln ist. In Kapitel III (»Schulgottesdienst: Ein Partizipationsgeschehen«, 117–172) werden unterschiedliche theologische und phänomenologische, u. a. auch liturgiedidaktische Konzepte von »Partizipation« durchgemustert. Kapitel IV (»Schulgottesdienst: Ein Weg zur Verdichtung«, 173–260) ist dann m. E. das Schlüsselkapitel. Hier stellt die Vfn. ihr leibphänomenologisch begründetes Konzept »elementarer Verdichtung« als »eine didaktische Kategorie der Verdichtung von leiblich-sinnlicher Wahrnehmung« vor, bevor dann abschließend (V. »Schulgottesdienst: Evangeliumskommunikation«, 261–287) im Anschluss an den gegenwärtig stark (und kontrovers) diskutierten Begriff der »Kommunikation des Evangeliums« der Schulgottesdienst »als ein Modell leiblich-sinnlicher Evangeliumskommunikation qualifiziert« (26) wird. »Ertrag und Ausblick« (VI., 288–302) ist ein – gut am Anfang zu lesendes – Resümee, das zugleich einige Desiderate für die weitere Forschung formuliert.
Etwas unentschieden geht die Vfn. mit ihren empirischen An­sätzen um (Auswertung von Schülerinterviews, II.4; über das Buch verstreute »dichte Beschreibungen« von Schulgottesdiensten aus Teilnehmerperspektiven). Wären sie methodisch stärker ausgefeilt und gewichtet worden, hätte das möglicherweise den Rahmen der Arbeit gesprengt. So aber sind sie bestenfalls illustratives Material.
Ihre Position zeichnet die Vfn. in kräftigen Strichen: Schulgottesdienste finden »grundsätzlich in liturgischer Gastfreundschaft statt« (16), was sie auf bestimmte Weise »als Partizipationsgeschehen qualifizieren lässt« (17). Im Anschluss an Ursula Roths rezeptionsästhetisch und theatral begründete Gottesdiensttheorie wird der Begriff des »Publikums« auch für die Schulgottesdienstgemeinde verteidigt (87 u. ö.): Unter rezeptionsästhetischen Aspekten sei auch unabhängig von Formen aktiver Teilnahme von Partizipation zu sprechen. Wohl aber soll »Partizipation als leibliche Teilhabe aller Sinne« (144) verstanden werden können. Dieses Geschehen freilich sei »unverfügbar und kann nicht automatisch erfüllt werden« (147). Andererseits sei es geboten, »mit Hilfe dichter Beschreibung mögliche Gründe des Scheiterns herauszufiltern und daran kreativ zu arbeiten« (147). Immer wieder wendet sich die Vfn. gegen »Missionierung« und »Vereinnahmung«. »Elementarisierte liturgische Formen« laden »sowohl zum Mitmachen als auch zum Zu­schauen« ein (98). Schließlich wird die »Zuschauerperspektive« über einen von aktiven Teilnahmemustern unterschiedenen und zu rechtfertigenden Partizipationsmodus hinaus ganz in den »Fokus« gerückt (173). Die »Chance des Schulgottesdienstes« wird darin gesehen, dass er »wie eine religiöse Insel im Jugend-Milieu« (98) gestaltet wird und damit für die »gottesfreundliche Religionslosigkeit« der Jugendlichen einen »religiösen Erfahrungsraum« anbiete (99). Folgerichtig ist die scharfe Abgrenzung gegen Christian Grethleins Vorschlag, Einschulungsgottesdienst als neue Kasualie zu verstehen und zu gestalten: Schulgottesdienste »dürfen nicht unter der Hand als Gottesdienste der Kirche für die Schule wiederentdeckt und kasualtheoretisch umgewidmet werden« (106).
»Letzten Endes« gehe es »darum, eine Gottesdienstpraxis mit einer Didaktik und einem entsprechenden Methodenrepertoire zur Verfügung zu stellen, die ganz wesentlich aus human- und kulturwissenschaftlichen Erkenntnissen gespeist ist« – mit dem Ziel, dass die »frohe Botschaft [den Gottesdienstbesucher] auch treffen kann«, ja »ein Volltreffer ist«, weil »ungeachtet des Geistes, der weht, wo er will, alles Menschen Mögliche getan wird, den Volltreffer nicht zu verhindern« (160). Zumindest missverständlich scheint es mir, das Konzept »elementarer Verdichtung« als einen die »phänomenologisch-ästhetische Wahrnehmung« fördernden »religionsdidaktisch orientierten Theorieansatz« zu verstehen. Wenn die »innere Bereitschaft, sich auf die Nähe Gottes ein[zu]lassen […] didaktisch angebahnt« werden soll (173 u. ö.), wird doch wohl der Eigensinn des gottesdienstlichen Geschehens gegenüber anderen Lernprozessen zu wenig beachtet und das verbreitete Missverständnis gefördert, der Schulgottesdienst sei die Fortsetzung des Religionsunterrichts mit anderen Mitteln. Insgesamt wird zwischen Liturgiedidaktik und »didaktischer Verdichtung der sinnlichen Wahrnehmung« (mehr noch: der didaktischen »Intensivierung der unbewussten Wahrnehmung aus der Zuschauerperspektive«!) im Gottesdienst nicht genügend unterschieden (184 ff.). »Performative Religionsdidaktik« wird m. E. zudem, wenn auch in diesem Rahmen verständlich, zu stark auf Liturgiedidaktik reduziert (166 u. ö.).
Eine ekklesiologische Würdigung des Schulgottesdienstes als einer vollwertigen Gottesdienstform, die Analyse ihrer religionspolitischen Bedeutung für die Inanspruchnahme des Rechts auf öffentliche Religionsausübung und ihrer Einordnung in eine sich gegenwärtig stark wandelnde Schulkultur erscheinen, wenn überhaupt, eher am Rande. Die Zuordnung der Entwicklungsgeschichte des Schulgottesdienstes zur Abfolge religionspädagogischer Kon­zeptionen erfolgt etwas schlagwortartig. Dass »die lange Leidensgeschichte der Lehrer mit der geistlichen Schulaufsicht« erst »Mitte der 1960er Jahre durch die Abschaffung der Vocatio« ein Ende gefunden habe (61), kann man nun wirklich nicht sagen.
Phänomenologie und das eher semiotisch orientierte Konzept »dichter Beschreibung« (Clifford Geertz) sind nicht wirklich theoretisch kompatibel. Um »dichte Beschreibungen« im Geertzschen Sinne handelt es sich bei den in die einzelnen Abschnitte eingestellten Gottesdienstbeschreibungen denn auch kaum.
Die Arbeit liest sich über weite Strecken, in denen die praktischen Erfahrungen der Vfn. zum Zuge kommen, erfrischend frei von theoretischem Jargon, jedoch gelingt es nicht immer, die eher essayistischen Passagen an die in Anspruch genommenen Theoriemodelle begrifflich präzise anzuschließen. So fügen sich die einzelnen Theorieperspektiven insgesamt nicht ganz schlüssig ineinander. So anregend und erhellend sich das Buch in vielen Teilen liest: Eine (überfällige) praktisch-theologische Theorie des Schulgottesdienstes bleibt ein Desiderat.