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Ausgabe:

Dezember/2013

Spalte:

1404–1406

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Inhoffen, Peter

Titel/Untertitel:

Moraltheologie zwischen Recht und Ethik. Beiträge zu allgemeinen Fragen zu Ehe und Familie, zu Bioethik und zum Recht.

Verlag:

Berlin u. a.: LIT Verlag 2012. XV, 404 S. = Theologie: Forschung und Wissenschaft, 34. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-643-11493-8.

Rezensent:

Gotlind Ulshöfer

Die gesammelten Aufsätze und Vorträge des Moraltheologen Peter Inhoffen aus den Jahren 1997 bis 2009, die unter dem Titel »Moraltheologie zwischen Recht und Ethik. Beiträge zu allgemeinen Fragen zu Ehe und Familie, zu Bioethik und zum Recht« im Jahr 2012 veröffentlich wurden, behandeln ein breites Spektrum an Fragestellungen aus der Rechts-, Bio- und Medizinethik sowie grundlegende moraltheologische Themen wie Schuld und Sühne oder Kennzeichen und Aufgabe der Moraltheologie. Moraltheologie versteht I. als »Reflexion des christlichen Lebensvollzuges« (63), welche »die Leitlinien« entwirft »für ein rechtes Verhalten als Christ in der Gemeinschaft der Kirche« (63). I. wählt den Ansatz einer – wie er es nennt – »lebensweltliche[n] Hermeneutik« (64), womit er zum Ausdruck bringen will, dass sein theologisches Denken mit Analysen der Gegenwart verbunden ist. In Anlehnung an die aristotelisch-thomistische Tradition nimmt er die Vorstellung von Gott als dem »letzten Ziel alles Strebens«, als höchstem Gut, auf und verknüpft sie mit dem Inkarnationsgedanken, um so zu einer normativen Anthropologie zu kommen: »Wenn Gott sich im Menschen verleiblicht hat, dann ist das Menschenbild der Offenbarung der Fixpunkt ethischer Normierung« (66). Die Normierung vollzieht sich auf drei Ebenen: Eine erste Ebene stellen für I. das »Prinzip der Sittlichkeit, das Gute zu tun und das Böse zu lassen« (70) und weitere »Leitsätze« wie die Goldene Regel dar. Auf einer zweiten Ebene verortet er »exis­tenzielle Wertmaterien« (ebd.) wie den Dekalog und die Menschenrechte sowie die »Grundrechtsgüter der Staatsverfassung«, und auf der dritten und untersten Ebene werden »durch Ableitung kasuistische Normen« aufgestellt, die für ihn »der Anpassung an den jeweiligen soziokulturellen Wandel« (71) bedürfen. Moraltheologie hat dann auch die Aufgabe der »normative[n] Regelung einer sittlich geordneten Befriedigung der natürlichen Neigungen oder naturhaften Antriebe des Menschen« (68). Für diese Normierungen beansprucht I. universale Geltung. Ob diese Normierungen sich tatsächlich universal verwirklichen lassen, ist fraglich, auch wenn I. den Bezugspunkt zumindest zur philosophischen Diskursethik in der gemeinsamen Annahme der Menschenwürde sieht (73).
Zentral ist für I. seine Vorstellung eines christlichen Welt- und Menschenbilds, das ihn dazu führt, unter dieser Perspektive in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen ethische Fragestellungen zu diskutieren, die er in Bezug zu lehramtlichen Verlautbarungen der katholischen Kirche setzt. Dadurch werden theologische Themen aus katholischer Perspektive – wie beispielsweise die Erbsündenlehre (40) – in einen Dialog geführt mit gesellschafts­politischen Diskussionen wie der Debatte um eine Kollektivschuld in Verbindung mit dem öffentlichen Erinnern an den Holocaust und an die Aktivitäten der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, ver mittelt in der Wehrmachtsausstellung, und im Hinblick auf die Veröffentlichung des Buches »Hitlers willige Vollstrecker« von Daniel J. Goldhagen. Dieser Dialog wird um Aspekte wie die »so­ziale Sünde« angereichert und mit der Erklärung der vatikanischen Kommission für die religiöse Beziehung zum Judentum »Wir erinnern: Eine Reflexion über die Shoa« verknüpft. Dass I.s gesellschaftliche Analysen jedoch erstens nicht ganz den aktuellen sozialwissenschaftlichen Forschungsstand wiedergeben und zweitens teilweise von einer Art »Verfallsvorstellung« geprägt sind – wie sich in seiner Erklärung über ein »Verblassen einer religiösen Prägung« zeigt, die er versteht als »eine Folge davon, dass alle Bereiche der Gesellschaft vom abgesunkenen Ideengut einer Nachaufklärung durchdrängt sind, von Psychoanalyse, Sexualaufklärung als Sexualanimation, von Wellneßdenken [sic!] bis hin zu einer gnostisierenden Esoterik« (103) –, erschwert die Annahme der universalen Gültigkeit der Normierungen. Eine ähnliche Struktur bezüglich einer theologischen Interpretation gesellschaftlicher bzw. religiöser Phä­nomene zeigt sich im Artikel über »Grundzüge einer buddhis­tischen Ethik«. Obgleich sich hierin auch die Weite der von I. bearbeiteten Themen zeigt, wirft der Artikel durch die vergleichenden Elemente mit dem Christentum die Frage auf, inwiefern hier I. der beschriebenen Religion gerecht wird, wenn er mit Kategorien wie »Antiklerikalismus« arbeitet. Des Weiteren stellt sich die Frage, welchen An­spruch I. dem Christentum zuschreibt, wenn er anstelle eines Fazits aus Gertrud von Le Forts »Hymnen an die Kirche« zitiert, in denen die »Stimme der Kirche« sagt: »Ich war heimlich in den Tempeln ihrer Götter […] Ich bin ihr großes Zusammen, ich bin ihr ewiges Einig. Ich bin die Straße aller ihrer Straßen, auf mir ziehen die Jahrtausende zu Gott!« (17).
Wie problematisch sein Ansatz sein kann, weil I. den eigenen Anspruch einer Orientierung an der Respektierung der Menschenwürde und damit auch dem Recht auf die individuelle Entfaltung des eigenen Lebens nicht immer einlöst, zeigt sich beispielsweise in den Problemfeldern, die er im Blick auf die Familie konstatiert. Die Problembereiche, die I. hier benennt: »verantwortete Elternschaft – Familienplanung – Geburtenregelung«, die »vorehelichen Beziehungen und das nichteheliche Zusammenleben«, die »Ehescheidung und Wiederverheiratung« und die »Partnerschaftlichkeit, Hausfrauenehe und Berufstätigkeit der Frau« (148), sind in Bezug auf einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs akzeptierte Lebensformen, deren Beschreibung als Problematik sich aus der von I. vertretenen Positionalität ergibt. Seine Analysen zur Familie, Bio- und Medizinethik nehmen ihren Ausgangspunkt in traditioneller ka­tholischer Moraltheologie, und dieses Fundament zeigt sich auch in seinen beiden Aufsätzen zur Rechtsethik, zur »Blutrache oder Feindesliebe« und zum »Naturrecht im demokratischen Prozeß«. Hier wird deutlich, dass das Anliegen I.s auch darin liegt, in demokratischen Gesellschaften zu einem moralischen Konsens beizutragen, der mit seiner eigenen Position kompatibel ist. Dass dies möglich ist, hat für I. seinen inneren Grund in seinem Verständnis des Naturrechts, das aufgrund der Vernunft des Menschen erkannt werden kann und dem er zumindest auf dessen Anwendungsebene eine Wandelbarkeit, aber auch eine allgemeine Vermittelbarkeit zuspricht.
Zusammenfassend lässt sich konstatieren: Mit diesem Band präsentiert sich eine katholische Position, welche die kirchliche Lehrmeinung zu aktualisieren und verbinden sucht mit gesellschaftlichen Analysen. Wer eine diesbezügliche Position kennenlernen will, dem sei dieses Buch anempfohlen. Abstriche müssen jedoch hinsichtlich der Auseinandersetzung mit gesellschafts- und sozialwissenschaftlichen Analysen gemacht werden. Hier wäre es wünschenswert gewesen, wenn eine stärkere Rezeption aktueller Ansätze vorgenommen worden wäre.