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Ausgabe:

Dezember/2013

Spalte:

1387–1389

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Schüz, Peter, u. Thomas Erne [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Der religiöse Charme der Kunst.

Verlag:

Paderborn: Ferdinand Schöningh 2012. 328 S. m. zahlr. Abb. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-506-77185-8.

Rezensent:

Rainer Marten

Die Handwerkerleiter auf dem Titelbild, Symbol für den Auferstandenen, lässt an die von Jakob geträumte, mit Engeln bevölkerte Himmelsleiter denken, mehr noch an leere Leitern auf den südöstlichen Molukken, die dem Himmelsgott dienen, vorübergehend in einer ihm zugedachten Stele präsent zu sein. 17 Beiträge enthält der Band, überwiegend von Theologen, die der möglichen Bedeutung von Kunst für Religion, im Wesentlichen von christlicher Kunst für christliche Religion nachgehen. Der Fokus auf Charme, eine Kraft, der wir nur zu gerne erliegen, soll helfen, diese Konstellation von Zeugnissen sinnlich-geistigen Empfindens und gelebtem Mysterium zu erhellen. Der Christ, verstört durch die Tödlichkeit seines Lebens, sinnt auf ein neues Leben in einer anderen Welt; der Maler, fasziniert von Sichtbarem, sieht sich gefordert, es zu verändern und in gesteigerter Wirklichkeit neu zu erschaffen. Es könnte sein, dass religiöser und ästhetischer Zauber im Wechselspiel das Nachdenken über geglaubte und erfahrene Transzendenz beflügeln.
Nun zeigen sich die Theologen zwar an der Brauchbarkeit von Malerei für die Religion interessiert, eine Autonomie der Kunst ist ihnen jedoch eher suspekt. Dass künstlerische und gläubig-hoffende Veränderung der Welt eines Stammes sind, wollen sie nicht zugestehen, spielen sie doch das Unendliche, einen Begriff des endlichen Bewusstseins, gegen das Endliche aus. Werden die wirklichere Wirklichkeit der Kunst und die ganz andere Wirklichkeit der Religion nicht als autonome Welten gesehen, die dem Menschen zugehören, dann findet ein durch die Wechselseitigkeit des Charmes inspirierter Dialog zwischen zum Malen und zum Glauben Berufenen keine gemeinsame Basis. Wer die Welt als Schöpfung sieht, hat den gläubigen, für Glaubenstatsachen geeigneten Blick; wer seine Spontaneität geweckt sieht, gestaltend einzugreifen, hat den künstlerischen, für Tatsachen sinnlich-geistigen Empfindens geeigneten Blick.
Der Homo fidens ist gefragt, ob ihm in Bildern bisweilen der Charme der Religion, der Homo spectans, ob ihm in der christlichen Botschaft bisweilen der Charme der Kunst begegnet. Hätte nämlich jeweils die eine Welt der anderen etwas zu vermitteln, das eine signifikante Bereicherung des Eigenen bedeutete, so wäre dem Homo fidens zu raten, den Homo spectans in sich zu fördern, dem Homo spectans, ebenso mit dem Homo fidens in sich zu verfahren. Ob es dazu kommt, entscheidet die Praxis.
Ein Christus, von Georg Baselitz gemalt und auf den Kopf ge­stellt, ist eine Revolution der Darstellung. In eine Dorfkirche ge­hängt, vermittelt das Bild den Gläubigen keinen religiösen Charme. Die Ensemblebildung von Gläubigen und Bildkunst scheitert. Der Gläubige findet beim Schauen nicht zu dem ihm Eigenen. – Eine Kreuzigung und Auferstehung Christi ohne Kreuz und Christus, ein Abendmahl ohne Sypoten und Symphagen, beides von Ben Willikens gemalt, wagen neue Symbolik, Die Ensemblebildung ge­lingt. Die Herausgeber selbst bekennen, durch die neuartigen Bilder Impulse für ihren Glauben zu empfangen. – Ein Christus der Volkskunst mit einer Eskalation des Blutverstrahlens wirkt derb. Doch Kunst muss nicht Herrschaftskunst sein. Das Stilmittel der Übertreibung wirkt hier so unmittelbar, dass der Gläubige tatsächlich Kunst sieht und zugleich mit neuem Anstoß in den Bann seines Glaubens gerät. Das ist der kritische Moment, an dem Schauender und Glaubender gemeinsam zu handeln beginnen und mitschöpferisch im Bilden wie im Glauben werden: Aus Repräsentanz wird Präsenz ( Philipp Stoellger). Wirken Bilder sakral, dann gibt es diese Wirkung nicht ohne die Kraft des Glaubens. Die Augen zu nutzen, um in einem Bild die Realpräsenz des Gottessohnes zu er­fahren, das ist etwas Unmögliches und eben ein Wunder, das allein ein Glaubender als Ästhet und ein Ästhet als Glaubender möglich macht. Die Frage der Vera icon (Reinhard Hoeps) ist unabdingbar für das gestellte Thema und verdient keine Antwort aus Bilderstürmerzeiten. Das Tuchbild mit dem Antlitz Christi aus Nowgorod ist in seinem heilsamen Wirken von einer Wahrheit, die allein der Glaube zu verifizieren vermag.
Aber auch Kunst ohne sichtbaren religiösen Gehalt kann offensichtlich für Religiosität bedeutsam sein. Eröffnet die Begegnung mit einem abstrakten Bild von Bernett Newman die Möglichkeit zur Selbsttranszendenz (Martin Seel: »etwas aus sich machen zu können, was man alleine nicht machen kann«), die religiös erlebt werden kann, dann möchte man weiterfragen, ob das nicht auch bei darstellenden Bildern gelingt, die, wie etwa ein Stillleben mit Kardone von Juan Sánchez-Cotán, durch Einfachheit, Ernst und verhaltene Feierlichkeit den Betrachter über das Dargestellte hinaus in eine andere Wirklichkeit versetzen. Etwas anderes ist es, wenn Gerhard Richter sein »Seestück (bewölkt)« dadurch zu einem religiösen Kunstwerk macht, dass er es zu einem solchen erklärt. Aus dem Bildkünstler ist ein die Sprache nutzender Glaubenskünstler geworden. Wer die Transzendenzmöglichkeit durch Bildbegegnung an eine transmundane Ursache zurückzubinden vorgibt, denkt nicht mehr in der Sprache der Blick- und Lebenswelt, sondern in der des Glaubens. Dass jedes Gesagte von Ungesagtem lebt, jedes Gezeigte von Ungezeigtem, ist für Verständige eine Tatsache, aus der sich nichts Außerweltliches als Realität ableiten lässt. Soll Religion gegenüber der Transzendenz der Kunst zu einer erweiterten Transzendenz taugen, die die Kontaktsuche zu einer jenseits der Welt liegenden Macht möglich macht ( Martin Seel), dann ändert sich durch die Idee dieser Möglichkeit nicht nur der Sinn von Welt, sondern auch der von Transzendenz. Über die »immanente Transzendenz« der Kunst hinaus ist an die menschliches »Sein« übersteigende transzendente Transzendenz des christlichen Wunderglaubens gedacht.
Die Vorstellung, dass der mögliche Selbstüberstieg des Gläubigen ungleich weiter reicht als der des Kunstbetrachters, stärkt die Tendenz, die Autonomie der Kunst in Frage zu stellen. Wer allein von ihrem Autonomwerden spricht, das sich komparativisch im Dienstfreiwerden gegenüber der Religion vollziehe (Jörg Lauster), vergibt die Chance, die Autonomie des Glaubens als von vergleichbarer Stärke wie die Autonomie der Kunst zu sehen. Kunst, als Kunst genommen, hat keine soziale, politische oder religiöse Mission, sehr wohl aber eine humane. In ihr ergreift der Mensch die einzigartige Chance, sich selbst notwendig zu werden und sich selbst zu bejahen. Wie Paulus im Römerbrief christliches Glauben und Hoffen in ihrem ineinander Bedingen entwirft, zeigt Religion eine Chance von vergleichbarer Einzigartigkeit.
Verhalten sich Glauben und Hoffen gemeinsam proleptisch (Klaas Huizing), indem sie auf die Wiederkehr Christi bauen, dann lagern sie doch ihre Wahrheit nicht »realantizipatorisch« in eine absolute Zukunft aus. Unbeschadet der Möglichkeit von Glaubenszweifel, Glaubensverlust und Hoffnungslosigkeit, sind sie als die geistig-geistlichen Vollzüge, die sie sind, unfalsifizierbar und in sich vollkommen.
Reichtum der Perspektiven, eigenwilliger Umgang mit dem The­ma und wissenschaftliche Kompetenz machen aus dem Buch weit mehr als eine bloß anregende Lektüre. Wie sich die Autoren als Grenzgänger versuchen und ihre Möglichkeiten bis ins Äußerste ausloten, ist es, dem Reizwort Charme sei Dank, eher zu einem Buch der Transzendenz geworden als zu einem Buch über sie.