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Ausgabe:

Dezember/2013

Spalte:

1379–1380

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Andres, Stefan

Titel/Untertitel:

Die Versuchung des Synesios. Roman. Hrsg. v. S. v. Blumenthal u. D. Weirich.

Verlag:

Göttingen: Wallstein Verlag 2013. 461 S. = Werke in Einzelausgaben. Geb. EUR 32,00. ISBN 978-3-8353-1188-6.

Rezensent:

Horst Schwebel

Angesichts der Marginalisierung der christlich geprägten Literatur in zeitgenössischen Diskursen ist es bemerkenswert, dass im Wallstein Verlag ein Hauptwerk von Stefan Andres, »Die Versuchung des Synesios«, wieder herausgegeben wurde. Das erste Mal geschah dies im Jahr 1971 im Piper Verlag, nachdem ein Jahr zuvor A. in Rom verstorben war. Der jetzigen, von Sieghild von Blumenthal und Doris Weirich verantworteten Herausgabe liegt diese Fassung von 1971 zugrunde; sie wurde durch ein Nachwort und »Erläuterungen« ergänzt.
Die »Erläuterungen« erweisen sich als hilfreich, handelt es sich doch um einen Roman über eine historisch greifbare Person, die im Übergang vom 4. zum 5. Jh. in der Kyrenaika, dem heutigen Lybien, gelebt hat. Die Leistung der beiden Herausgeberinnen besteht darin, dass sie in einem Glossar das zeitgeschichtliche Umfeld ins Verständnis gebracht haben: die Personen, Einrichtungen, gesellschaftlichen Kräfte, Philosophie, Mythologie, aber auch die kirchlichen Strukturen und dogmatischen Streitigkeiten. Ohne dies bliebe selbst für einen gebildeten Leser vieles unverständlich.
A. (1906–1970), an der Mosel geboren und aufgewachsen, durchlief eine katholische Sozialisation. Obwohl er seinen jugendlichen Wunsch, Geistlicher zu werden, in der Studienzeit aufgab, blieb er trotz mancher Distanz zur Dogmatik der katholischen Kirche verbunden. Seine letzten Jahre verbrachte er in Rom, erlebte das Zweite Vatikanische Konzil und liegt auf dem Campo Santo Teutonico begraben.
Synesios, eine Gestalt, mit der sich der Dichter etwa 20 Jahre lang beschäftigt hat, war für A. eine Art Alter Ego. Es handelt sich um einen »biografischen Roman«, in dem Synesios die Rolle eines Spiegels der Gedanken und Einstellungen des Dichters einnimmt.
Synesios von Kyrene (370–412), von vornehmer Abstammung, war Schüler der Philosophin Hypatia, die 415, also nach Synesios’ Tod, in Alexandria von einer Mönchshorde auf grausame Weise umgebracht wurde. Den Neuplatonismus gab Synesios niemals auf, selbst als er zum Bischof von Ptolemais gewählt wurde. Auch an seiner Ehe hielt er fest, als er nach anfänglichem Sträuben sein Amt antrat. A. schildert ihn als einen großmütigen, toleranten Gutsherrn, auf dessen Gut mehrere Religionsgemeinschaften ihr Existenzrecht hatten, wo selbst der jüdische Verwalter seinen Gottesdienst feiern durfte. Bischof wollte er gar nicht werden, zumal er den Glauben an die »Auferstehung des Fleisches« verneinte und weiterhin an der »Unsterblichkeit der Seele« festhielt. Obwohl Synesios sozusagen »Bischof wider Willen« war, verkörpert er nach A. gleichwohl ein bischöfliches Ideal. Welche Seite schließlich überwiegt, das Christentum oder der Neuplatonismus, bleibt offen.
Historisch korrekt ist, dass Synesios der erste Bischof war, der einen Bann ausgesprochen hat. Das tat er, als der Präfekt Andro­-nikus in der Cyrenaika ein Unrechtsregime aufrichtete. Angesichts der Charakterisierung des Andronikus wird im Nachwort eine Verbindung zu Adolf Hitler gezogen und seitens A.s eine Kritik an der eher zögerlichen Haltung der Kirche vermutet. Hätte sich die Kirche damals nicht ähnlich verhalten können oder sogar müssen? Zumindest hätte sie nach A. ein deutliches Zeichen setzen müssen.
Im Roman lässt A. Prisca, die Frau von Synesios, die Geschichte erzählen, nachdem er selbst in die Wüste gelockt wurde und dort umgekommen war. Der zeitliche Abstand zu Synesios’ Tod ermöglicht der fiktiven Erzählerin die Schilderung der Ermordung der Hypatia durch die Mönchshorden. Für den Dichter mochte diese von Christen vollzogene, mit unbeschreiblicher Grausamkeit vollzogene Tat eine stetige Glaubensanfechtung gewesen sein. Ob – wie von A. beschrieben – der historische Synesios bis zum Schluss am Neuplatonismus festhielt, wissen wir nicht. Bei A. jedenfalls kommt es zwischen neuplatonischer Philosophie und Christentum zu dem, was in der postkolonialen Literaturtheorie ein »Hy­-brid« genannt wird. Gemeint ist, dass zwei weltanschauliche Sichtweisen mit unterschiedlichem Ursprung zusammenkommen und zu einem Neuen zusammenfinden. Homi K. Bhaba, ein prominenter Vertreter dieser Literaturtheorie, spricht davon, dass bei der Hybridisierung ein »dritter Raum« aufgetan werde.
In der ausgehenden Spätantike ist Synesios nicht der Einzige, bei dem sich zwischen Christentum und hellenistischer Kultur eine Hybridisierung beobachten lässt. Dies betrifft beispielsweise auch Ausonius, den Verfasser der »Mosella«. Bei Ausonius, der nicht nur Dichter und Lehrer der Rhetorik, sondern auch Prinzenerzieher und Konsul war, ist sich die Forschung noch immer nicht einig, ob er überhaupt zum Christentum gefunden hat und ob seine späten christlich anmutenden Gedichte lediglich als Anpassung an den inzwischen vom Christentum dominierten Zeitgeist zu deuten sind. Bei Synesios kommt hinzu, dass er als neuplatonischer Philosoph es sogar bis zum Bischof und damit zum höchsten kirchlichen Amtsträger in seiner Region gebracht hat. Mit Personen, deren Denken zwischen spätantiker Kultur und Christentum oszillierte, tat man sich bislang schwer und begnügte sich damit, diese Haltung mit dem Begriff »Synkretismus« zu belegen. Das mit »Synkretismus« Gemeinte war aus christlicher Sicht dabei aufgrund seines Mangels an Entschiedenheit negativ konnotiert.
Mag »Hybrid« als Wort aufgrund seines im Griechischen eher negativen Gebrauchs zunächst befremden, so ist mit einem Hybrid nicht allein im Automobilbau, sondern auch in der Literaturtheorie etwas ganz und gar Positives verbunden. Gemeint ist, dass durch das Zusammenkommen zweier unterschiedlich verwurzelter weltanschaulicher Gebilde das neu entstandene Dritte mit einem spezifischen Mehrwert behaftet ist. Was zuvor als synkre­tistisch und als mit einem Mangel versehen eingestuft wurde, gilt nun als ein das Frühere sogar Überbietendes. In diesem Sinn wäre die von A. beschriebene, bei Synesios zu Tage tretende Vermischung von Platonismus und Christentum ein Hybrid zu nennen. Ob­gleich Anfang der 70er Jahre in der Literaturwissenschaft davon noch nicht die Rede war und der Prozess der Hybridisierung noch nicht als solcher erkannt wurde, hat A. avant la lettre aufgezeigt, was in einer Person vor sich geht, die einem solchen Prozess ausgesetzt ist.