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Ausgabe:

Dezember/2013

Spalte:

1375–1378

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Hirschfeld, Michael

Titel/Untertitel:

Die Bischofswahlen im Deutschen Reich 1887 bis 1914. Ein Konfliktfeld zwischen Staat und katholischer Kirche zwischen dem Ende des Kulturkampfes und dem Ersten Weltkrieg.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2012. 1003 S. Geb. EUR 78,00. ISBN 978-3-402-12963-0.

Rezensent:

Martin H. Jung

Die geschichtswissenschaftliche Habilitationsschrift von Michael Hirschfeld (geb. 1971), entstanden an der Universität Vechta und angenommen im Jahre 2011, behandelt, wie der Untertitel sagt, ein »Konfliktfeld«, konzentriert sich aber keineswegs nur auf Konflikte. H., derzeit Studienrat in Lohne und Privatdozent in Vechta, Mitglied der Arbeitsstelle Katholizismus- und Widerstandsforschung der Universität Vechta, behandelt in seiner fleißigen, sorgfältigen und soliden Arbeit anhand von Quellenstudien, unter anderem in den Archiven des Vatikans, detailliert sämtliche Bischofswahlen im Deutschen Reich zwischen den Jahren 1887 und 1914. Die mehr als 1000 Seiten zählende Studie geht dabei nach Territorien vor und behandelt der Reihe nach Preußen, Elsass-Lothringen, Baden, Hessen-Darmstadt, Württemberg, Bayern, Sachsen und Oldenburg mit den jeweiligen Erzbistümern und Bistümern. Für jedes Erzbistum und Bistum werden im Einzelnen die geschichtlichen Ereignisse im Zusammenhang mit Bischofswahlen von 1887 an, mitunter, wenn nötig, auch bereits vor diesem Jahr ansetzend, geschildert. Jeweils werden nach einem einleitenden Teil die zur Wahl aufgestellten Kandidaten im Einzelnen vorgestellt und der Ablauf der Wahl, die nicht immer eine wirkliche Wahl war, geschildert. Dann schreitet die Darstellung nach gleichem Muster gegebenenfalls zur nächsten und übernächsten Wahl weiter, bis das Jahr 1914 erreicht ist.
Das Augenmerk H.s ist auf die Zusammensetzung und das Profil des jeweiligen Domkapitels gerichtet, auf die Kooperation und die Konflikte zwischen Staat und Kirche, auf die Persönlichkeit, den Werdegang und die kirchliche und politische Positionierung der Kandidaten.
Anhand des Werks kann sich der Leser also leicht und zuverlässig über den Ablauf und die Ergebnisse jeder Bischofswahl im Deutschen Reich zwischen 1887 und 1914 informieren sowie über die Biographie und das Profil der Kandidaten und der Gewählten. Nicht behandelt werden jedoch theologisch-inhaltliche Fragen oder interkonfessionelle Perspektiven der Wahlen, auch nicht Öffentlichkeits- und Medienaspekte.
In der Einleitung werden die Ziele der Untersuchung formuliert. H. will einen Beitrag zur, von der Forschung vernachlässigten, »kirchliche[n] Personengeschichte« leisten (12) und sich dem »Beziehungsgefüge von Nation und Religion« im Allgemeinen (15) und dem »Dualismus […] Staat und Kirche« im Besonderen (15) zuwenden. Das »Verhältnis von Kirche und Staat« wird, mit Konrad Repgen (1987), als »Forschungsdesiderat« angesehen (31). Konkret geht es H. um die Frage, ob der Kulturkampf Ende der 80er Jahre »auf Null ab[ebbt]« und die Epoche von 1887 bis 1914 kirchenpolitisch durch »relative Ereignislosigkeit« (Hans-Michael Körner, 1977) gekennzeichnet war, oder ob »von einer Prolongierung des Kulturkampfes bis zum Ersten Weltkrieg« gesprochen werden muss (41). Er will nach den »Strategien« der Staatsbehörden sowie der Domkapitel »bei der Rekrutierung episkopaler Geistlicher« und nach ihrem jeweiligen »Erfolg« fragen (41), nach »Netzwerke[n]« und »Seilschaften« (41) und nach den Chancen extremer, entweder dezidiert »ultramontane[r]« oder »staatsloyale[r]« Kandidaten (41). Ferner stellt er die Frage, ob Unterschiede bei Wahlen zwischen bedeutenden und unbedeutenden Bistümern festzustellen sind (41). Auch nach der speziellen Rolle von Kaiser Wilhelm II., allgemein als »Integrationsfigur für die deutschen Katholiken« angesehen, soll gefragt werden (41) und nach dem Interesse des jeweiligen Papstes und seines Kardinalstaatsekretärs an den Neubesetzungen (42).
H. gelingt es, diese Fragen tatsächlich zu verfolgen und differenzierte Antworten zu finden. Am Schluss der Untersuchungen werden die Ergebnisse auf 29 Seiten zusammengefasst. Überwiegend suchten die Domkapitel nach geeigneten Kandidaten unter »Männer[n] aus den eigenen Reihen« (806). Die Staatsbehörden hatten ein Interesse, dass staatsloyale Kandidaten gewählt würden, sogenannte »Staatskatholiken«. Insbesondere Preußen suchte dies zu erreichen, indem es die Domkapitel »mit staatsloyalen« Klerikern zu durchsetzen versuchte. Kritisch aus staatlicher Sicht war es, wenn sich ein Kandidat in der Zentrumspartei engagiert oder am Collegium Germanicum in Rom studiert hatte. Solche »Germa­niker« galten als verkappte Jesuiten und hatten praktisch keine Chancen auf ein Bischofsamt. Nicht immer gelang es den Staatsbehörden, ausgesprochene Staatskatholiken in das Bischofsamt zu heben. So waren nicht selten »Geistliche, die sich Meriten in der Pastoral erworben hatten, sich dabei als kirchlich gesinnt erwiesen hatten, es gleichzeitig aber verstanden hatten, den staatlichen Behörden maßvoll und ausgleichend gegenüber zu treten«, die »[l]achenden Dritte[n]« (817).
Nüchtern stellt H. aber fest, das sich das »Gros des Episkopats in der Zeit zwischen 1887 und 1914 […] weder aus einer pastoralen noch aus einer wissenschaftlichen Elite [rekrutierte]« (818). Die Einflussnahmen des Staates waren nur selten direkte Einflussnahmen der Monarchen. Die Vorstellung, die Monarchen selbst hätten die Bischöfe ausgewählt, verweist H. »in das Reich der Legende« (820). Allerdings hatte Wilhelm II. »persönlichen Anteil« an Besetzungen in Köln und Breslau (820). Was die Kurie anbelangt, so stellt H. eine »vergleichsweise starke Zurückhaltung« fest (825), ja spricht sogar von einer »Lethargie« hinsichtlich deutscher Personalfragen (826). Was den Kulturkampfkontext anbelangt, so mündet die Untersuchung in das Ergebnis, »dass der Konflikt auf dem Feld der kirchlichen Personalpolitik in allen Staaten des Deutschen Reiches bis zum Ersten Weltkrieg unvermindert andauerte« (833). Die Ergebnisse sind eindeutig und interessant, aber nicht überraschend und hätten sich auch durch exemplarische Studien gewinnen lassen.
Die prominenteste unter den behandelten Gestalten ist Adolf Bertram (1859–1945), zu dessen Biographie der Band sicher nicht wenig Neues an Erkenntnissen beisteuert. Der originellste unter den behandelten Männern ist Max von Sachsen (1870–1951), Spross des Hauses Wettin, promovierter Jurist und promovierter Theologe. Mehrfach wurde er als Bischofsanwärter gehandelt, kam jedoch nie zum Zuge.
Für den theologisch und kirchenhistorisch interessierten Leser ist das Werk als Nachschlagewerk brauchbar, aber in der Lektüre ziemlich langweilig und im Ertrag bescheiden. Es fehlen, wie schon gesagt, theologisch-inhaltliche Aspekte. Auch die zentrale Staat-Kirche-Thematik wird zwar geschichtlich überblicksartig, in die Alte Kirche und das Mittelalter zurückgreifend, abgehandelt, aber an keiner Stelle bezogen auf den eigentlichen Untersuchungszeit­raum inhaltlich-grundsätzlich, unter theologischen, juristischen, politischen, philosophischen Aspekten, untersucht.
Das Buch ist aufwändig und sorgfältig gestaltet. Der Text ist lesbar und durch Zwischenüberschriften gut gegliedert. Nicht gut gelungen ist allerdings der Versuch einer weiteren Binnengliederung durch Unzialen, durch die die Abschnitte hervorgehoben werden, die in Form von Kurzbiographien die Kandidaten für das Bischofsamt vorstellen. Teilweise, aber nicht immer, ist die Unziale der erste Buchstabe des Vornamens des Kandidaten. Dies hätte man mit Leichtigkeit einheitlich und damit für den Leser übersichtlicher gestalten können.
Nicht gut gelungen ist auch die doppelt (warum eigentlich?) hinter dem vorderen und vor dem hinteren Einband präsentierte Karte der Staaten und der Bistümer. Flussläufe lassen sich kaum von politischen und kirchlichen Grenzen unterscheiden, und die Abstufungen der Grautöne erlauben es nicht immer, das Gemeinte nachzuvollziehen.
Zuverlässige Personen- und Ortsregister erschließen den Text und ermöglichen eine gezielte Verwertung. Einen schnellen Überblick über zentrale Fakten bieten die Bischofswahllisten (geordnet nach Ländern, beginnend mit Preußen, wie im Buch selbst) und die Liste der Bischöfe (geordnet nach Ländern, konsequent alphabetisch) im Anhang. Unklar ist aber, warum die Reihung nicht einheitlichen Kriterien folgt. Die – eindrucksvolle – Auflistung der besuchten Archive ist, was die Örtlichkeiten anbelangt, uneinheitlich und deshalb etwas unübersichtlich.