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Ausgabe:

Dezember/2013

Spalte:

1352–1356

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Hamm, Berndt, Leppin, Volker, u. Gury Schneider-Ludorff[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Media Salutis. Gnaden- und Heilsmedien in der abendländischen Religiosität des Mittelalters und der frühen Neuzeit.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. VIII, 247 S. m. Abb. = Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, 58. Lw. EUR 84,00. ISBN 978-3-16-150672-7.

Rezensent:

Markus Wriedt

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Haberer, Johanna, u. Berndt Hamm [Hrsg.]: Medialität, Un­mittelbarkeit, Präsenz. Die Nähe des Heils im Verständnis der Reformation. Tübingen: Mohr Siebeck 2012. X, 390 S. = Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, 70. Lw. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-151735-8.


In rascher Folge erscheinen seit einiger Zeit Sammelbände zu ak­tuellen Forschungsthemen der frühneuzeitlichen Kirchen-, Theologie- und Religionsgeschichte in der von Volker Leppin in Zusam­menarbeit mit einem renommierten Beirat herausgegebenen Reihe »Spätmittelalter, Humanismus, Reformation«. Sie dokumentieren in der Regel Symposien und Kolloquien, in denen die Reihenherausgeber gemeinsam mit den ihnen verbundenen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, nicht selten Vertreter des wissenschaftlichen Nachwuchses, ein Forum erhalten, ihre Forschungen vorzutragen und über die Publikation einem weiteren Leserkreis vorzustellen. Dazu hilft die Aufnahme in die auch noch aus früherer Zeit unter dem Namen »Spätmittelalter und Reformation« bekannte und renommierte Reihe des Tübinger Verlages Mohr Siebeck. Und auch für den interessierten Leser ist es zunächst hochinteressant, gleichermaßen am Tisch zu sitzen und ein wenig an der Diskussion teilhaben zu können, wenn in den Bezugnahmen der für den Druck erweiterten Beiträge aktuelle Forschung vorgetragen wird. Das setzt freilich eine innere Kohärenz und gleichbleibende Qualität der Beiträge voraus, die nicht in jedem einzelnen Falle gewährleistet ist.
Die hier vorzustellenden Publikationen sind in mehrfacher Hinsicht miteinander verschränkt: zum einen durch die thematische Nähe. Beide konzentrieren sich im Kontext des allgemeinen aktuellen Forschungsinteresses an der Medialität historischer Phänomene nunmehr auf spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Themen im Kontext der abendländischen Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte. Zum anderen sind aber auch die enthaltenen Beiträge beider Bände eng aufeinander bezogen. So schreiben Chris­toph Burger, Johanna Haberer, Berndt Hamm, Volker Leppin und Gury Schneider-Ludorff in beiden Sammelbänden. Der Grund liegt in der »ungewöhnlich intensiven und guten kollegialen Zusam­menarbeit der Lehrstühle für Kirchengeschichte« in Erlangen, Neu­endettelsau und Jena, die seit 2003 bzw. 2005 gemeinsame Oberseminare abgehalten haben. Der erste Band bringt elf Aufsätze, die aus Beiträgen der gemeinsamen Arbeit im Oberseminar entwuchsen. Der zweite repräsentiert die Beiträge einer Tagung aus dem Oktober 2010 in Erlangen, deren 19 Vorträge in erweiterter Form vorgestellt werden. Mit der Frage nach dem Medienverständnis und der Medienpraxis in Spätmittelalter und früher Neuzeit reihen sich beide Bände bruchlos in eine inzwischen breite Mediendiskussion ein, die in den historisch arbeitenden Wissenschaften ebenso wie in den Kulturwissenschaften intensiv geführt wird. In ihrer spezifisch theologisch-frömmigkeitsgeschichtlichen Ausrichtung steht die Sammlung ebenfalls nicht allein. Das Spezifikum sehen die Herausgeber aber neben der Wahrnehmung von Fragen der inhaltlichen Charakteristik vor allem auch darin, dem inno­vativen Charakter der Nutzung teilweise neuer Medien nachzu­gehen.
Vor dem Hintergrund der bisher geleisteten Einzelformung inkriminieren die Herausgeber nun aber genau dies: zum einen die zu starke Entkoppelung spätmittelalterlicher Phänomene von denen der Reformationszeit, zum zweiten die Wahrnehmung der Medienvielfalt im Fokus der Entwicklungen der Buchdruckerkunst und zum dritten die auf die Medialität einwirkenden, im­pulsgebenden Dynamiken von Theologie, Frömmigkeit und Kirchlichkeit. Die insgesamt 30 Beiträge der Bände thematisieren das in einer höchst anspruchsvollen Vielfalt und Breite, der eine Rezension kaum gerecht zu werden vermag. Dies geht zuweilen zu Lasten der thematischen Kohärenz, die mit dem Fokus auf die aktuelle Mediendefinition in den sehr eng an diese Diskussionen angelegten Beiträgen im ersten Band noch stärker zu erkennen ist.
Im Sinne einer theoretischen Grundlegung referieren Johanna Haberer und Daniel Meier und stellen Bezugnahmen zu Kultur-, Kommunikations- und Medienwissenschaft aus der Sicht der Kirchengeschichte dar. Während Haberer die Relation zwischen Medium und Botschaft in das Bühlersche Organon-Modell einträgt und so gleichsam die vierte Seite des zum Quadrat erweiterten Dreiecks (kommunikationswissenschaftlich schon bei Fritz von Thun, freilich mit anderer Akzentuierung) im Blick auf die schwierige Verhältnisbestimmung von offenbarungsgeleiteter Botschaft und ihrer Medialität entwickelt, thematisiert Meier die sogenannte Nachrichtenwerttheorie, die im Kontext ökonomischer Zweckrationalität entwickelt wurde, und wendet diese kommunikationswissenschaftliche Fragestellung auf das kirchenhistorisch relevante Material an. Es folgen darauf insgesamt acht Detailstudien, deren innere Verbindung zueinander, zum Thema und im Ertrag der höchst divergenten methodischen Ansätze noch weiter expliziert werden müsste. Neben der Vorstellung von einzelnen Texten und Traktaten, die historisch-philologisch analysiert und interpretiert werden ( Susanne Schenk zum Briefwechsel von Königin Mathilde und Erzbischof Anselm im 11. Jh.; Christoph Burger zu zwei Predigten [von Jean Gerson und Johannes von Paltz] mit der Frage nach dem Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit der überlieferten Texte), thematisieren Christiane Magin und Falk Eisermann den Medienwechsel in ihren Untersuchungen zu Ablassinschriften zwischen Epigraphik und Einblattdrucken, und Peter Schmidt widmet sich noch einmal den Anfängen der gedruckten Gnadenbildreproduktion. Während diese drei Beiträge ausdrück-lich den Medienwechsel herausarbeiten und so deutlich machen können, wie das Thema der Theologie und Frömmigkeit sich der Medien bedient und sich den geeigneten Rahmen schafft, wenden sich Gury Schneider-Ludorff und Volker Leppin einem speziellen Medium zu und exemplifizieren die ständische, hier landesherrliche Repräsentation bzw. die ebenfalls von ständischen Einflüssen nicht freie Memorialkultur. Methodologisch sehr wichtig, freilich nunmehr den chronologischen Rahmen der Seminare etwas überschreitend, referiert Tim Lorentzen zu den Vorbereitungen des Münchner Datenbankprojektes zur konfessionellen Bildpublizistik in der frühen Neuzeit.
Methodisch verdient der Beitrag von Berndt Hamm zur Typologie spätmittelalterlicher Gnadenmedialität besondere Beachtung. Er wendet ein systematisierendes Verfahren auf die große Fülle von spätmittelalterlicher Vergegenwärtigung der Gnade Gottes an. Dabei erweist sich die in den Teil-Überschriften des Beitrags erwähnte Kategorialisierung als nicht unproblematisch: Hamm thematisiert zunächst die Bildmedien, geht dann aber – darin? – auf die Frage von Inkarnation und Leiblichkeit unter besonderer Berücksichtigung der Nacktheit, Körperstimulation (Lanzenstich, Herzwunde, Blutsühne), des Sich-Herabneigens, der Umarmung und Berührung Christi, mithin der Medialität ein. Diese Themen beziehen sich auf die Mediatisierung im Medium Bild und werden von Hamm zum Teil im Begriff des »Symbols« gefasst, dessen phänomenologisch-beschreibende Bedeutung nicht weiter erläutert wird.
In einem weiteren Abschnitt werden Basismedialität Christi, Mariens, der Heiligen und der Engel von der Partizipationsmedialität unterschieden. Hier kommt Hamm zurück zu seinem »Versuch einer Typologie der Gnaden- und Heilsmedialität« (59). Dem Leser bleibt der Bezug dieser Typologie auf die am Beginn des Beitrages angedeutete Unterscheidung verschiedener Medien insofern unklar, als hier nun doch stärker material-inhaltliche Unterscheidungen gewählt werden. Insbesondere die Partizipationsmedialität bezieht sich so­dann auf so unterschiedliche materiale Medien wie Bibel, Bußsakrament, Messkommunion, Reliquien und Ablässe sowie die Bildverehrung. Weniger die Medien als vielmehr deren Medialität werden hier also thema­tisiert. Einen dritten Typos erkennt Hamm sodann in der Erleichterungs- oder Hilfsmedialität, der Elevation der Hostie, den Heiltumsweisungen, Ostensorien, Schauspielen, handelnden Bildern und Liedern. Mit Blick auf die Drucktechnik wird die Popularisierungsdynamik der Erleichterungsmedien erwähnt und sodann werden vermittels eines exemplarischen Einblattholzschnittes die verschiedenen Dimensionen der Zuordnung vorgestellt. Dies wird erneut in einem Abschnitt zu den internen Relationen von Objektivität und Subjektivität, Außen und Innen, Zu- und Aneignung erläutert, bevor die mediale Vielfalt der Gnadenvergegenwärtigung mit der Zentrierung auf Christus und einer »ge­reinigten Partizipationsmedialität« abschließend auf den Umschwung in die Reformationszeit gewiesen wird. – Dieser Beitrag sucht innovativ und kreativ Schneisen in die Fülle an »Medialitäten« der spätmittelalterlichen Frömmigkeit zu schlagen. Aber nicht alle Typologisierungsversuche sind gleichermaßen überzeugend. Der Aufsatz könnte jedoch Anlass bieten, die systematische Frage nach medialer, mediatisierenden und materialen Querverbindungen innerhalb der Medienvielfalt des Spätmittelalters weiter zu bedenken und dabei die Anschlussfähigkeit der theologischen Historiographie zu gegenwärtigen Fragestellungen der kulturwissenschaftlichen Diskussion unter Beweis stellen.
Das systematische Problem einer präzisen Differenzierung der Kategorien von Medien und Medialität einerseits sowie der durch spezifische Entwicklungen von Frömmigkeit und der sie reflektierenden Theologie hervorgebrachten medialen und mediatisierenden Innovationen andererseits wird leider nicht weiter untersucht. Dabei liegt hier methodisch wie heuristisch das eigentliche Problem der Anwendung kulturwissenschaftlicher Fragen auf spezifisch theologisch charakterisiertes Quellenmaterial. Dieser theoretischen Frage nähert sich der zweite der hier zu besprechenden Bände mit der thematisch strengeren Konzentration auf die kulturellen und religiösen Implikationen von Medienwandel, Medienwechsel und Medienfunktionen. Hierbei ist also zu erwarten, dass die konkreten Medien in verschiedensten relationalen Bezügen erörtert werden. Bei näherem Hinsehen wird aber gerade diese Erwartung enttäuscht: Medien und Medialität stehen erneut in einem ungeklärten Verhältnis zueinander: Erneut gibt Johanna Haberer einen medientheoretischen Ein- und Überblick und ordnet die Fragen zur Medialität des Mediengeschehens im 16. Jh. in die moderne Theoriebildung ein.
Thomas Kaufmann, Berndt Hamm, Marcus Sandl und Gudrun Litz gehen dann auf verschiedene Aspekte der Medialität ein: Während Kaufmann die Sinn- und Leiblichkeit der Heilsaneignung im Umbruch von Spätmittelalter und Reformation aufnimmt, be­spricht Hamm die reformatorische Medialitätsproblematik im Blick auf die Rezeption Augustinischer Vorgaben von der Un­mittelbarkeit des göttlichen Gnadenwirkens. Sandl greift teilweise Kaufmanns Fragen auf und thematisiert Sinn und Präsenz in der frühen Reformation, wohingegen Litz die Depotenzierung traditioneller Heilsmedien untersucht. Neben der in den Aufsätzen kaum thematisierten Problematik der Epochenabgrenzung von Spätmittelalter und Reformation fällt auf, dass die ersten drei Beiträge weniger die Medien als deren mediale Funktion diskutieren, Gudrun Litz hingegen einen materialen Wandel zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit entdeckt, der auch nur teilweise mit einer Depotenzierung als vielmehr mit einer grundlegenden Verschiebung von heilsmittelnder Potenz identifiziert werden kann.
In den nachfolgenden Beiträgen werden nun die mehr summarisch genannten Medien im reformatorischen Wandel angeschaut: Sven Grosse widmet sich der Bibel und ihrer medialen Funktion in den Werken von Luther, Karlstadt und Franck, Christoph Burger vergleicht spätmittelalterliche und reformatorische Marienpredigten. Christine Magin und Sabine Greise beschäftigen sich mit inschriftlichen Medien sowie Andachts- und Gebetbüchlein. Die Vergegenwärtigung der evangelischen Gnadenbotschaft sucht Susanne Wegmann an lutherischen Altären zu verifizieren, während Gury Schneider-Ludorff sich auf die reformatorische Epitaph-Kultur kapriziert. Die Druck- und Buchkultur nimmt Ronald K. Rittgers auf, indem er sich mit einer Flugschrift Lazarus Spenglers auseinandersetzt.
Stärker systematische Topoi im Sinne einer evangelischen Lehrtradition verhandelt Matthieu Arnold im Blick auf die Frage von Gottes Allmacht und Nähe in den Briefen Luthers und Bucers. Wolfgang Simon untersucht das Amt als Medium und dessen Medialität. Die systematische Frage nach der Heilsvergegenwärtigung stellt Reinhold Friedrich im Kontext der reformatorischen Bildungsreformdiskussion, wobei zu fragen ist, was hier konkret das Medium ist: Bildung selbst ist wohl eher Gegenstand der Medialität der Medien Katechismus, Lied, Predigt, Unterricht etc. Noch schwerer ist das Medium in dem Beitrag von Susanne Köbele zu fassen, die Spielräume der Argumentation im Werk von Meister Eckhardt und Sebastian Franck vergleichend untersucht. Die sehr umfangreich konnotierten Überschriftstermini Metaphysik und Metapher sind jedenfalls nicht geeignet, das Phänomen der Medialität schärfer zu erfassen. Den Übergang von Spätmittelalter und Reformationszeit in Konkurrenz und Kontinuität ergründet Volker Leppin mit einem weniger den Medien als dem Thema der Heilsaneignung gewidmeten Überblick, der insbesondere die schwierige Frage der Verhältnisbestimmung von zwei unscharf abgegrenzten Epochen verhandelt. Systematisch bleiben schließlich auch die Beiträge von Andreas Zecherle zu obrigkeitlicher Kommunikationslenkung und von Martin Ohst zum Thema der Nähe und Ferne Gottes in der Theologie Martin Luthers.
Beide Bände zeigen den weiten Rahmen auf, in dem die Fragen der medialen Transformation des Spätmittelalters in der frühen Neuzeit bzw. deren innovative Strategien anhand zahlreicher, teilweise unbekannter Quellen analysiert werden. Gleichwohl bleibt die Frage nach einem systematisch zusammengefassten Ertrag der Tagungen offen: Weder wird der Medienbegriff noch die den einzelnen Medien innewohnende repräsentative, informative, kommunikative oder prohibitive Potenz schlüssig erfasst und rekonstruiert. Dies ist ein konkreter Punkt, an dem den Beiträgen und damit den Zusammenstellungen der Herausgeber mehr Kohärenz und Stimmigkeit zu wünschen gewesen wäre.
Die Gefahr dieses Mangels besteht nun schlicht darin, dass im Einzelnen hochinteressante und durchaus auch innovativ weiterführende Beiträge in der Fülle gegenwärtiger Beitragssammlungen zum Thema Medien und Frühe Neuzeit unterzugehen drohen. Nimmt man Aleida Assmans Behauptung auf, wonach die kul-turwissenschaftliche Disziplin geeignet ist, auf dem fachwissenschaftlichen Expertenwissen aufbauend zu einer thematischen, frageorientierten und zielführenden Synthese zu verhelfen, ist genau dieser Ansatz – jedenfalls ein Stück weit – verfehlt. Ob dieses Manko durch den Genuss der Lektüren und die partielle Teilnahme am wissenschaftlichen Diskurs wettgemacht wird, müssen die Lesenden dieser Bände je für sich entscheiden.