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Ausgabe:

Dezember/2013

Spalte:

1345–1346

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Sallmann, Martin, u. Karlfried Froehlich [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Zehn Jahre nach Oskar Cullmanns Tod: Rückblick und Ausblick.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2012. 220 S. m. Abb. = Basler und Berner Studien zur historischen Theologie, 75. Kart. EUR 29,20. ISBN 978-3-290-17634-1.

Rezensent:

Konrad Hammann

Der Name Oscar Cullmanns hatte in der neutestamentlichen Wissenschaft des 20. Jh.s einen guten Klang. Die Stimme des elsässischen Theologen ist inzwischen zwar noch nicht ganz verhallt, sie findet aber in den neueren Diskursen seines Faches kaum noch Gehör. Der vorliegende Band, der die Beiträge zu einem im Juni 2009 in Basel abgehaltenen Symposium enthält, erinnert an das Leben und Werk des Neutestamentlers und Ökumenikers, eröffnet aber auch Perspektiven für die weitere Forschung.
Im ersten von vier Themenfeldern berichtet Karlfried Froehlich, der sich um die Sichtung und Erschließung des 133 Kartons umfassenden Nachlasses Cullmans verdient gemacht hat, über die Arbeit an Cullmanns Archiv, das 2009 von Chamonix nach Basel überführt wurde und das nun in der dortigen Universitätsbibliothek der Forschung zur Verfügung steht (11–21). Martin Sallmann erschließt biographische, institutionelle, korrespondenzgemäße, thematische und werkgeschichtliche Zugänge zu diesem sehr umfangreichen Nachlass (23–39). Die zweite, der Zeitgeschichte gewidmete Sektion wird eröffnet durch einen Beitrag Karlfried Froehlichs, der in den frühen Briefwechsel zwischen Rudolf Bultmann und Oscar Cullmann einführt und diese Korrespondenz, soweit erhalten, auch ediert. Der Austausch ging – unter den schwierigen Rahmenbedingungen der deutsch-französischen Beziehungen nach dem Ersten Weltkrieg – der Publikation von Bultmanns Aufsatz »Aimer son prochain, commendement de Dieu« in der Straßburger »Revue d’Histoire et de Philosophie religieuses« 10, 1930, voraus (43–68). Sodann beleuchtet Matthieu Arnold die lebensgeschichtlich be­deutsame Beziehung Cullmanns zu seiner Geburtsstadt Straßburg (69–78), während Willy Rordorf an einer Predigt und drei An­dachten Cullmanns ekklesiologisches Konzept »Einheit durch Vielfalt« aufzeigt (79–85). Rudolf Brändle zeichnet Cullmanns behutsame Be­stimmung des Verhältnisses von Christentum und Kultur im kontrastierenden Vergleich mit der radikal kulturkritischen Position Franz Overbecks nach (87–94). Zdeněk Kučera gibt einen exemplarischen Einblick in die vielfältige Wirkungsgeschichte Cullmanns anhand der Rezeption seines Werkes in der hussitischen Theologie (95–98).
Ein dritter Themenbereich ist der Behandlung der heilsgeschichtlichen Auffassung der neutestamentlichen Theologie bei Cullmann vorbehalten. Dietrich Braun interpretiert diesen Ansatz unter systematisch-theologischen Fragestellungen und zeichnet ihn in die zeitgenössischen Diskussionen zur Eschatologie ein. Dabei bezieht er sich vor allem auf die präsentische Eschatologie Rudolf Bultmanns, daneben aber auch auf die Entwürfe Jürgen Moltmanns und Gerhard Sauters (101–124). Krzysztof Góźdź stellt die zentrale Funktion des Christusgeschehens für Cullmanns Verständnis der Geschichte post Christum heraus (125–133), und David P. Moessner hebt die besondere Bedeutung des lukanischen Schrifttums für das heilsgeschichtliche Konzept Cullmanns hervor (135–145). Die abschließende Sektion enthält vier Beiträge zum ökumenischen Engagement Cullmanns. Armin Mettler stellt die im Nachlass des gewissermaßen geborenen Ökumenikers aufbewahrten Materialien zum Zweiten Vatikanischen Konzil vor (149–160), und Margarethe Hopf beschreibt anschließend in einem mit Bilddokumenten ansprechend illustrierten Text Cullmanns Rolle als Gast des Zweiten Vatikanums (161–178). André Birmelé erinnert an die ökumenische Vision des Neutestamentlers, wie sie in dessen Buchtitel »Einheit durch Vielfalt« komprimiert begegnet (179–184), und Wolfgang Lienemann nennt in seiner Bestandsaufnahme des Cullmannschen ökumenischen Projektes einige Desiderata, die die zukünftige Forschung bearbeiten sollte (Biographie, Briefeditionen, Reaktionen auf Cullmanns ökumenisches Programm, Ekklesiologie und Kirchenrecht, kirchliche Rezeptionen ökumenischer Initiativen sowie die Verortung der Position Cullmanns in ökumenischen Einheitskonzeptionen; 185–201).
Ein Abkürzungsverzeichnis, ein Personen- und Ortsregister sowie ein Autorenverzeichnis schließen den Band ab. In nahezu allen Beiträgen klingt der Wunsch an, dass es zu weiterer Beschäftigung mit dem Leben und Werk Cullmanns kommen möge. Solche neuerliche Forschung müsste freilich stärker noch als das vorliegende Buch auch die offenkundigen wirkungsgeschichtlichen Begrenzungen erfassen, durch die das theologische Werk Cullmanns nicht ganz ohne Grund eingehegt wird. Ob es gelingen wird, über die museale Archivierung des Erbes des französischen Theologen hinaus gegenwartsbezogene Impulse seines Denkens freizulegen?