Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2013

Spalte:

1343–1345

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Prostredník, Ondrej [Ed.]

Titel/Untertitel:

Justification According to Paul. Exegetical and Theological Perspectives.

Verlag:

Bratislava: Comenius University 2012. 296 S. Kart. EUR 15,00. ISBN 978-80-225-3174-6.

Rezensent:

Jens-Christian Maschmeier

Der Sammelband vereint Beiträge einer interdisziplinären und interkonfessionellen Konferenz, die vom 5. bis 6. Mai 2011 in Bratislava (Slowakei) stattgefunden hat. Die Konferenz war Teil eines 2009 von Neutestamentlern der Comenius Universität (Bratislava) mit der Zielsetzung initiierten Forschungsprojekts, Paulustexte für den interreligiösen, insbesondere den christlich-jüdischen Dialog fruchtbar zu machen. Die Neuinterpretation der Paulustexte erfolgte vor dem Hintergrund der Debatten um alte und neue Paulusperspektiven, die auch die Beiträge in dem von Michael Bachmann 2005 herausgegebenen Sammelband »Lutherische und neue Paulusperspektive« (WUNT 182) oder den u. a. von Donald A. Carson 2004 herausgegebenen zweiten Teilband von »Justification and Variegated Nomism. Vol II: The Paradoxes of Paul« (WUNT 2/181) prägen. Der Sammelband ist in drei Teile gegliedert.
Aus dem ersten Teil »Rethinking Justification in Key Passages of Paul’s Texts« ist vor allem der Beitrag von František Ábel hervorzuheben. Ábel versucht die immer wieder diskutierte Spannung zwischen der Vorstellung des Gerichts nach Werken und der Rechtfertigung aus Glauben einer Lösung zuzuführen, indem er Rechtfertigung auf die Befreiung von der Sündenmacht und nicht auf das Urteil Gottes im eschatologischen Gericht bezieht. Zudem zeigt Ábel an Röm 3,21–26 auf, dass das paulinische Konzept einer Israel und die Völker umfassenden Rechtfertigung aus Glauben auf analogen Ideen im antiken Judentum (insbesondere PsSal 18,5) beruhe, die Paulus kreativ weiterentwickele. Es folgt ein Beitrag von Ondrej Prostredník, der an Röm 4,23–5,2 aufzeigt, dass Paulus – anders als die radikale neue Paulusperspektive annimmt, keine Zwei-Bünde-Theologie vertritt: Rechtfertigung und Versöhnung von Juden und Nichtjuden sei nur durch Christus möglich.
In seinem Beitrag zur Rolle des Rühmens innerhalb der paulinischen Theologie unterbreitet Otto Pecsuk den Vorschlag, unter Einbezug kulturanthropologischer und -psychologischer Forschung die Frage vom Was? auf das Warum? des Rühmens zu richten und so die Dichotomie zwischen Old und New Perspective, die er zuvor anhand der Interpretation von drei Textstellen (Röm 2,17–24; 3, 27–4,8; 5,1–11) durch Vertreter der jeweiligen Richtung dargestellt hatte, zu überwinden. – Den Abschluss des ersten Teils bildet ein Beitrag von František Trstenský zum Verhältnis von Glauben und Werken im Jakobusbrief. Die Hauptthese lautet, dass Jakobus Röm, Gal und 1Kor gekannt habe und mit seiner Zuordnung der Werke zum Glauben das paulinische Rechtfertigungsverständnis »vervollständige« (84), unter Umständen um das Rechtfertigungsverständnis jüdischer und nichtjüdischer Christusgläubiger miteinander zu versöhnen.
Der zweite Teil »Theological Concepts which Influenced Paul« beginnt mit einem Beitrag von Karl-Wilhelm Niebuhr, der die formative Bedeutung der jüdischen Identität des Paulus auch für seine theologischen Grundüberzeugungen als Apostel hervorhebt. Gerade im Hinblick auf das Verständnis der göttlichen Gerechtigkeit knüpfe Paulus an frühjüdische Traditionen an, in denen Gottes Gerechtigkeit als sein heilvoller Wille für sein Volk verstanden wurde. Allerdings verbinde Paulus die Hoffnung auf Gottes rettende Gerechtigkeit nicht mit Befolgung der Tora, sondern mit dem Glauben an Christus.
Die drei folgenden Beiträge beschäftigen sich mit der Bedeutung Abrahams für Paulus. Im ersten Beitrag vertritt Meira Ryšková die These, dass Paulus sein Verständnis der Glaubensgerechtigkeit Abrahams in Opposition zur alt- und zwischentestamentlichen Literatur entwickle: Hier stünden sich das Ver­ständnis menschlicher Treue (»faithfulness«) als »juridico-ethical performance« (126) und Vertrauen (»faith«) als existentiale Haltung, menschliche Aktivität und menschliche Passivität gegenüber. Im Rahmen ihrer Bultmannschen existentialen Paulusinterpretation nimmt Ry šková an, dass Paulus den Bund ausschließlich über den Glauben definiert. Anders hingegen der Beitrag von Miroslava Franková, in dem die Autorin auf Grundlage ihrer Interpretation des Syntagmas »Segen Abrahams« (Gal 3,6–14) die Opposition Christus-Tora der Frage der Integration nichtjüdischer Menschen ins Gottesvolk untergeordnet sieht. Im dritten Abrahamsbeitrag skizziert der Alttestamentler Istvan Karasszon einige Aspekte der literarischen »Weiterentwicklung« Abrahams in den verschiedenen Schichten des Alten Testaments. Er zeigt u. a. auf, wie das Verhältnis Israel – Völker in den jüngeren Schichten zunehmend an der Figur Abrahams entfaltet wird. Trotz wesentlicher Differenzen lasse sich Paulus in diesen Traditionsstrom einordnen. Anschließend illustriert Martin Rothgangel am Beispiel von Röm 9–11 und unter Rückgriff auf psychologische Modelle der Identitätskonstruktion, wie es gelingen kann, christusgläubige Identität nicht in Opposition zu jüdischer Identität und damit auf Kosten der eigenen christlichen Identität zu entwerfen.
Im dritten Teil »Justification as a Trigger for Intellectual Processes« sind Beiträge von Vertretern unterschiedlicher Disziplinen versammelt. Dieser Teil beginnt mit einem Beitrag von Vaclav Ježek zum Verhältnis orthodoxer und lutherischer Theologie. Nach Auffassung von Ježek überwiegen die Gemeinsamkeiten. Die Betonung der Notwendigkeit, die geschenkte Gottesebenbildlichkeit durch menschliches Handeln zu realisieren, dürfte allerdings zu­mindest bei weiteren Beitragenden auf Kritik stoßen, die ein lutherisches Verständnis von Rechtfertigung gegen kritische Anfragen von Vertretern der New Perspective verteidigen (Michal Valčo) bzw. die Ergebnisse ökumenischer Erklärungen zur Rechtfertigung (insbeson­dere die Gemeinsame Erklärung) hinsichtlich der Rolle, die dem Glaubenden als Subjekt seines Tuns zuerkannt wird, hinterfragen (Ján Henžel). Die Definition von Gnade als Ausschluss eines wie auch immer gearteten selbst verantworteten menschlichen Handelns coram Deo müsse, so Henžel, weiterhin entscheidendes Kriterium in ökumenischen Verhandlungen bleiben. Hinsichtlich des Rechtfertigungsverständnisses passt nach Ansicht dieser Autoren kein Blatt zwischen Luther und Paulus. Hans Schwarz hingegen betont in einem Vergleich zwischen Paulus und dem jüdischen Psychotherapeuten Ernst Fromm, dass trotz der im eschatologischen Wirklichkeitsverständnis wurzelnden Differenzen zwischen jüdischer und christlicher Anthropologie eine grundlegende Ge­meinsamkeit darin bestehe, dass Paulus und Fromm das Handeln des Menschen als Geschöpf bzw. als Neuschöpfung betonten, dessen Ausgangspunkt jeweils ein gnädiges Handeln Gottes sei.
Die Beiträge von John T. Pawlikovski, Karl Olav Sandnes und Wolfgang Greive beschäftigen sich mit der Frage der paulinischen Verhältnisbestimmung von Universalismus und Partikularismus sowie deren Konsequenzen für den jüdisch-christlichen Dialog. Alle betonen die bleibende Erwählung Israels selbst dann, wenn davon ausgegangen wird, dass nach paulinischer Auffassung Israel sein Heil verloren habe und die Kirche das neue Israel konstituiere (Greive, 277).
Der Sammelband zeichnet sich insbesondere durch seine Interkonfessionalität und Interdisziplinarität aus: Immer wieder spannend und auch im Blick auf das Reformationsjubiläum wegweisend scheint mir vor allem der insbesondere im dritten Teil ge­-führte Diskurs, welche Rolle den Glaubenden als Subjekt ihres Handelns zugestanden wird. Es wäre zu wünschen, dass dieser Diskurs zwischen Neutestamentlern und Systematikern vermehrt geführt würde. Die Diskussionen über die paulinische Verhältnisbestimmung von Universalismus und Partikularismus scheinen mir angesichts einer bestenfalls neutralen Bewertung des Partikularen zu kurz gegriffen. Unter Rückgriff auf das paulinische Bild vom Leib und seinen Gliedern (1Kor 12,12–31) wäre die Würde des Partikularen, im Hinblick auf den christlich-jüdischen Dialog die theologische Würde des Judentums als Gottesvolk, hervorzuheben. Ebenso wenig wie das Partikulare die Einheit gefährden darf (vgl. 1Kor 7,17–24), darf die Polarität zwischen Partikularismus und Universalismus aufgehoben werden (1Kor 12,12–31).