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Ausgabe:

Dezember/2013

Spalte:

1334–1335

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Witte, Markus, u. Johannes F. Diehl[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Orakel und Gebete. Interdisziplinäre Studien zur Sprache der Religion in Ägypten, Vorderasien und Griechenland in hellenistischer Zeit.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2009. X, 303 S. = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 38. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-16-150044-2.

Rezensent:

Alexandra von Lieven

Der Band befasst sich mit Orakeln und Gebeten als zwei verschiedenen Arten der Kommunikation zwischen Menschen und Gott/ Göttern. Der erste Teil »Orakel und Texte prophetischen Inhalts« wird eingeleitet durch Eva Cancik-Kirschbaum, »Literarische Weissagungen aus spätbabylonisch-hellenistischer Zeit«. Konkret behandelt sie die sogenannte Uruk-Prophetie, die Dynastische Weissagung und Text A (KAR 421). Diese Werke werden in ihrem engen Verhältnis zu Omensammlungen einerseits und Chroniken andererseits situiert.
Einen strukturell recht ähnlichen Text untersucht Joachim Friedrich Quack, »Menetekel an der Wand? Zur Deutung der ›Demotischen Chronik‹«. Er analysiert die Aussagen des Textes und kommt zu dem Schluss, dass er in der erhaltenen Form das Produkt einer mehrstufigen Redaktionsgeschichte ist. Die älteste Fassung war eine Propagandaschrift zugunsten König Nektanebos, später wurde das Werk antiptolemäisch überarbeitet. Sowohl Cancik-Kirschbaum als auch Quack ziehen andeutungsweise Verbindungslinien zum biblischen Buch Daniel.
Michael Erler, »Epikureismus als Orakelphilosophie. Orakel und Mantik in der hellenistischen Philosophie«, widmet sich der Frage, welche Haltung verschiedene griechische Philosophenschulen zum Orakelwesen einnahmen, wobei sein besonderes Interesse Epikur gilt, der einerseits der Ansicht war, dass die Götter sich überhaupt nicht mit den Menschen befassten, andererseits aber selbst in religiöser Diktion lehrte. Erler kann plausibel machen, dass die Absicht dahinter gerade war, ein philosophisches Alternativangebot zur Religion zu liefern, indem man sich selbst zum Orakel stilisierte.
Markus Witte, »Orakel und Gebete im Buch Habakuk«, unternimmt eine Analyse des Buches Habakuk. Er kommt zu dem Schluss, dass es sich um ein Lesedrama mit apokalyptischen Elementen handele, wobei Habakuk sich in der Nachfolge des Mose sehe.
Anselm C. Hagedorn, »›Über jedes Land der Sünder kommt einst ein Sausen‹. Überlegungen zu einigen Fremdvölkerworten der Sibyllinen«, beschäftigt sich mit dem dritten der Sibyllinischen Bücher. Dabei diskutiert er die Frage der Prophetie nach dem Ende der Prophetie in jüdischer Vorstellung und das Motiv der Sibylle im paganen, jüdischen und christlichen Kontext. Bemerkenswertestes Ergebnis der Betrachtung des Textes selbst ist, dass die jüdische Gemeinde keineswegs als abgeschlossenes Gebilde verstanden wird, sondern dass den anderen Völkern ebenfalls die Option der Rettung zukommt, vorausgesetzt, sie bekehren sich zu dem wahren, d. h. jüdischen Gott.
Im zweiten Teil »Gebete« liefert zunächst Karin Stella Schmidt einen Beitrag »Zur Struktur mesopotamischer Gebete in hellenistischer Zeit«. Nach einem umfangreichen Überblick über die Materialgattungen widmet sie sich im Detail drei an verschiedene Gottheiten gerichteten balaĝ-Klageliedern. Als Haupttypen seleukidenzeitlicher Gebete kann sie die Gebetsklage, das persönlichere Bittgebet und als Kurzgebete formulierte Personennamen festmachen, wobei alle eine lange Tradition aufweisen. Besonders interessant im Hinblick auf die hellenistische Zeit ist ein in eine Bauinschrift integriertes akkadisches Gebet Antiochos I. Soter an Nabû, das eindeutig von der Phraseologie alter Mo­delle inspiriert ist.
Martin Andreas Stadler, »Spätägyptische Hymnen als Quellen für den interkulturellen Austausch und den Umgang mit dem eigenen Erbe – drei Fallstudien«, umreißt an drei Beispielen das Datierungsproblem, welche Texte wirklich spät entstanden und welche nur zufällig spät überliefert sind: Ostrakon Hor 18 ist eine demotische Redaktion eines alten Traditionstextes, das Gotteslob der 24. Lehre des Papyrus Insinger ist ein neuverfasster Text, der aber inhaltlich altbekannte Motive weiterführt, der Isishymnus des Papyrus Wien D. 6297+6329+10101 ist hingegen Stadler zufolge womöglich eine Übertragung eines griechischen Originals ins Ägyptische.
Thomas Paulsen, »Götterhymnen aus dem archaischen und hellenistischen Griechenland«, liefert einen 30-seitigen handbuchartigen Überblick über die Entwicklung griechischer Hymnen von Homer bis Kallimachos, in denen sich nicht nur die literarische, sondern auch die religionsgeschichtliche Entwick-lung sehr klar abzeichnet.
Andreas Wagner, »Strukturen des Gebets im Alten Testament«, betrachtet die Psalmen unter textlinguistischem Gesichtspunkt, wobei insbesondere der Sprechrichtungswechsel von Bedeutung ist. Abschließend vergleicht er seine Befunde mit Hymnen benachbarter Kulturen anhand der Übersetzungen in TUAT. Das Ergebnis ist überraschend: Die sumerischen, akkadischen und hethitischen Texte weisen keine Ähnlichkeiten im Sprechrichtungswechsel zu den Psalmen auf, die ägyptischen hingegen häufig. Der Befund bedürfte einer Absicherung auf breiterer Materialbasis in größerer chronologischer Tiefe und mit genauer Kontextanalyse, doch sollte er sich erhärten, hätte das einige Implikationen für die beteiligten Kulturen und die Frage ihres Verhältnisses zueinander.
Der ähnlich betitelte Beitrag »Strukturen des Gebets im frühesten Chris­tentum (1./2. Jh. n. Chr.)« von Hermut Löhr hat hingegen eine andere Stoßrichtung. Hier geht es um die Frage, wer welche Art von Gebet zu welchem Anlass verwendete und welche inhaltlichen und formalen Elemente diese enthielten. Betrachtet werden Origenes, De Oratione 33, Apostelgeschichte 4,24–30, der 1. Clemensbrief, die Didache und das Martyrium des Polykarp 14. Abschließend zeigt Löhr auf, dass gerade das christliche Gebet par excellence, das Vaterunser, eigentlich völlig atypisch für die frühchristlichen Gebete in ihrer Gesamtheit ist. Gerade dies dürfte ein gutes Argument dafür sein, dass der Text tatsächlich ein authentisches Gebet des historischen Jesus ist.
Ein Appendix von Beat Weber, »Asaf – ein Name, seine Träger und ihre Bedeutung in biblischen Zeiten«, widmet sich der Figur Asaf, der als Autor der Psalmen 50 und 73–83 bezeichnet wird, aber auch in einigen anderen biblischen Büchern, insbesondere denen der Chronik, auftritt. Seine Nachfahren scheinen eine spezielle Sängergilde gebildet zu haben. Die Textbelege werden archäologischen Belegen in Form von Siegeln mit dem Namen Asaf gegenübergestellt, so dass sich ein Gesamtbild ergibt.
Die Nutzerfreundlichkeit der Beiträge gerade auch im Hinblick auf eine interdisziplinäre Leserschaft ist sehr unterschiedlich. Be­sonders lobend sind hier die Beiträge hervorzuheben, die nicht nur von einem Publikum ausgehen, das die betreffenden Texte selbstverständlich kennt bzw. im Regal zugänglich hat, sondern die tatsächlich die besprochenen Texte auch vollständig oder zumindest in substantiellen Auszügen in Übersetzung zur Verfügung stellen.
Der Band wird durch eine Gesamtbibliographie, ein Autorenverzeichnis und ein Register abgeschlossen.