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Ausgabe:

Dezember/2013

Spalte:

1328–1330

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Robker, Jonathan Miles

Titel/Untertitel:

The Jehu Revolution. A Royal Tradition of the Northern Kingdom and Its Ramifications.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2012. X, 343 S. = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 435. Geb. EUR 129,95. ISBN 978-3-11-028489-8.

Rezensent:

Georg Freuling

In seiner Erlangener Dissertation beschäftigt sich Jonathan Miles Robker mit der Überlieferung der Jehu-Revolution, ihrem litera­rischen Kontext und ihrem historischen Zusammenhang im Nord­reich des 9. Jh.s v. Chr.
Im ersten Hauptteil der Arbeit entfaltet R. nach dem ersten einleitenden Kapitel seine literargeschichtliche Hauptthese: Wesentliche Teile der relevanten Texte aus Kön gehen demnach auf eine Quellenschrift höfischer Provenienz aus dem Nordreich zur Zeit Jerobeams II. (»Israel-Source«) zurück. Diese Quellenschrift wird in drei Schritten rekonstruiert.
Ausgangspunkt ist im 2. Kapitel die Erzählung der Jehu-Revolution. R. identifiziert in seiner literarkritischen Analyse vier Schichten: die ursprüngliche Jehu-Erzählung, eine judäische Überarbeitung, eine dtr Redaktion und Glossen, die sich nicht näher zuordnen lassen. Die ursprüngliche Erzählung profiliert R. inhaltlich als Propagandaschrift zur Rechtfertigung der Jehu-Dynastie in der Zeit Jerobeams II.; die Verfasser sind entsprechend im höfischen Milieu zu suchen.
Im 3. Kapitel rekonstruiert R. den Fortlauf der Israel-Source als Kontext dieser ursprünglichen Jehu-Erzählung. Die literarkritische Analyse bestätigt die im vorhergehenden Kapitel eruierten Schichten; ausführlich und grundsätzlich wird dieses Modell auf die chronologischen Rahmenstücke angewandt, die eine israeli­tische Vorlage mit judäischer Überarbeitung und dtr Redaktion (nur in der Bewertung der Herrscher) zeigen. Auf diesem Weg gelangt R. zur Rekonstruktion der Israel-Source, die neben Texten aus 2Kön 13 und 14 auch einen Grundbestand aus 1Kön 20 enthält, der die narrative Lücke zwischen 2Kön 13,24 und 25 schließt. Das Ende findet sich in 2Kön 14,28 und deutet auf einen Abschluss der Quelle zu Lebzeiten Jerobeams II. hin. Auch das inhaltliche Profil der Quellenschrift bleibt in diesem Abschnitt erhalten: Joahas, Joasch und Jerobeam II. erscheinen als legitime und tatkräftige Nachfolger des Dynastiegründers, die Vorzüge ihrer Herrschaft werden betont.
Im 4. Kapitel rekonstruiert R. die vorauslaufenden Stücke der Quellenschrift in 1Kön 11,26–14,20; 15,25–16,24; 22 und 2Kön 1: Ihren Anfang findet er in 1Kön 11,26 mit dem Aufstieg Jerobeams I., der im Gegensatz zu den Omriden als unfähigen Vorgängern der Jehu-Dynastie in positivem Licht erscheint. 1Kön 22* handelt ur­sprünglich von einem gemeinsamen Feldzug Jorams und Ahasjas zur Rückeroberung von Ramot in Gilead; mit 1Kön 22,35a ist damit nach Einordnung des Textes hinter 2Kön 1* der Punkt erreicht, an dem die Erzählung der Jehu-Revolution in der Israel-Source an­setzt.
Im zweiten Hauptteil seiner Arbeit widmet sich R. dann der historischen Rekonstruktion der Epoche. Zunächst werden in den folgenden drei Kapiteln die relevanten Quellen auf ihre historische Belastbarkeit hin befragt und ausgewertet.
Im 5. Kapitel überprüft R. die biblischen Quellen: Die vorhergehend analysierten Texte der Israel-Source und auch noch die judäische Überarbeitung zeigen in vielen Details historische Zuverlässigkeit; Unstimmigkeiten erklären sich durch die Tendenz der Quelle. Historisch verwertbare Hinweise eher auf die soziale und politische Situation zur Zeit Jerobeams II. als auf konkrete historische Ereignisse liefern die Prophetien Hoseas und Amos’ (R. greift dazu auf vorliegende redaktionsgeschichtliche Arbeit zurück). Chronik und Josephus sind hinsichtlich ihres Quellenwertes kaum historisch verwertbar, bieten aber Hinweise auf Textgeschichte und das Image der Jehu-Dynastie in späterer Zeit.
Assyrische Inschriften (6. Kapitel) geben einen Einblick in die politische Großwetterlage: Während der Feldzüge Salmanassars III. zwischen 853 und 845 v. Chr. stehen Israel und Aram zusammen in einer antiassyrischen Koalition; Auseinandersetzungen, wie sie 1Kön 20 und 22 im jetzigen Kontext zur Zeit Ahabs voraussetzen, erscheinen damit unwahrscheinlich. Zwischen 838 und 805 v. Chr. zeigten die Assyrer in der Levante keine Präsenz, was die auch in der Israel-Source vorausgesetzte Vormachtstellung der Aramäer von Damaskus ermöglichte.
Ähnlich werden dann im 7. Kapitel die Inschriften aus dem Raum der Levante ausgewertet: Der in der Mescha-Inschrift berichtete Abfall Moabs von Israel erfolgte wahrscheinlich unter Joram; das Engagement in der antiassyrischen Koalition führte auf Dauer zur Schwächung der omridischen Herrschaft und zur Revolution Jehus.
Die von R. ausführlich eigens rekonstruierte Tell-Dan-In­schrift belegt aus aramäischer Perspektive den Zerfall der Koalition zwischen Israel und damaszenischem Aramäerreich; der Verfasser– vermutlich Hasael – rühmt sich militärischer Erfolge über Israel. Dass er Hadadezer als seinen Vater bezeichnet und den Mord an Joram und Ahasja gegen 2Kön 9 und 10 für sich beansprucht, ist nach R. der Tendenz dieser Quelle geschuldet. Die Zakkur-Inschrift deutet wiederum darauf hin, dass Ben-Hadad, der Sohn Hasaels, in Kämpfe gegen Hamat verstrickt war und eventuell auch des-halb Ge­bietsverluste an Joasch hinnehmen musste. Die Samaria-Ostraka geben allerding lediglich einen Einblick in die wirtschaftliche und administrative Entwicklung Israels in der fraglichen Zeit.
Im 8. Kapitel fasst R. die Ergebnisse seiner historischen Rekonstruktion zusammen. Vor dem Hintergrund älterer Arbeiten zum Thema (Jepsen, Thiel) erwarten Leserinnen und Leser hier zwar keine grundlegend neuen Perspektiven, aber doch eine ausgewogene Darstellung: So erlebt Israel unter den Omriden eine Blüte, die u. a. das Engagement in der antiassyrischen Koalition zwischen 853 und 845 v. Chr. erlaubt. Mit der Herrschaft Hasaels, wahrscheinlich unter Joram, zerbricht diese Koalition; ein neues Kapitel der Beziehungen zwischen Aram und Israel beginnt. In Abwesenheit der Assyerer kann Damaskus seine Vormachtstellung in der Region auf Kosten des Nordreiches ausbauen. Das erneute Engagement der Assyrer bringt unter Joasch die Wende und eine letzte Prosperität Israels unter Jerobeam II.
Der rekonstruierte Text der Israel-Source (hebräisch und englisch), Literatur- und Bibelstellenverzeichnis runden den Band ab.
Seine literargeschichtliche Hauptthese verbindet R. mit der Selbsteinschätzung: »[…] I am perhaps more ›conservative‹ than many of my contemporaries.« (5) Tatsächlich überrascht die Arbeit durch die konsequente Rückfrage nach dem vordtr Bestand der Königebücher. Der Rezensent sieht sich durch dieses Vorgehen aber nicht nur überrascht, sondern auch überzeugt und findet hier die eigentliche Stärke der Arbeit.
Weniger spektakulär wirkt hingegen der zweite Hauptteil der historischen Rekonstruktion. Hier vermisst der Rezensent eine Berücksichtigung archäologischer Quellen (auch Ikonographie) über die Inschriften hinaus. Weitere kritische Rückfragen seien kurz genannt:
Ist bei der historischen Rekonstruktion eine vorübergehende Rückkehr Israels unter Jehu in das antiassyrische Bündnis (292) tatsächlich wahrscheinlich? Und: War der religiöse Anspruch der Jehu-Revolution tatsächlich so marginal (296)? Im exegetischen Teil der Arbeit scheint der textkritische Wert der LXX mitunter sehr hoch angesetzt (z. B. 21 zu 2Kön 9,16). Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob R. hinsichtlich der Herkunft der Israel-Source die Alternative prophetisches versus höfisches Milieu nicht zu sehr betont (u. a. 113 gegen Cogan/Tadmor, vgl. aber schon Noth, Überlieferungsgeschichtliche Studien).
All das schmälert aber nicht den Wert der Arbeit, der gute Aufnahme zu wünschen ist.