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Ausgabe:

Dezember/2013

Spalte:

1318–1321

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Henze, Matthias [Ed.]

Titel/Untertitel:

A Companion to Biblical Interpretation in Early Judaism.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2012. XI, 568 S. Kart. US$ 50,00. ISBN 978-0-8028-0388-7.

Rezensent:

Ann-Christin Heine

Das Werk ist als Überblick über den Bereich der biblischen Interpretation in frühjüdischer Literatur zu verstehen. Wie der Herausgeber in seinem Vorwort aufzeigt, beschäftigen sich die meisten bisherigen Arbeiten zur Biblical Interpretation nur mit einem einzigen Textkomplex (z. B. Biblical Interpretation at Qumran). Dieser Band soll diese Lücke nun schließen und bietet so 17 Aufsätze zur biblischen Interpretation in verschiedenen Schriften des antiken Judentums vom 3. Jh. v. Chr. bis in das 2. Jh. n. Chr. Da eine Besprechung aller Aufsätze dieses Werkes den zur Verfügung stehenden Rahmen sprengen würde, wurden für die Besprechung exemplarisch einzelne Aufsätze ausgewählt, die den Charakter des Werkes beleuchten.
Der einleitende Beitrag von J. L. Kugel (3–23) zeigt, wie die Erfahrungen des Babylonischen Exils die Bedeutung der Tora stärkten. Diese Bestrebungen mündeten in der Notwendigkeit, Texte der Vergangenheit neu zu studieren, wodurch sich die Interpretation der Tradition zum major undertaking (7) entwickelte. In dem Ab­schnitt »How Interpretation Worked« zeigt Kugel beispielhaft anhand von Gen 5,21–24 die Vielfältigkeit der Auslegungen, wie die entsprechenden Bezugstexte im 1Henoch, in der LXX oder bei Philo von Alexandrien belegen.
Im zweiten Teil des Werks widmen sich Y. Zakovitch (Inner-biblical Interpretation, 27–63) und E. M. Cook (The Interpretation of the Hebrew Bibel in the Targum, 92–117) den Interpretationen innerhalb der Hebräischen Bibel. M. Rösel beschreibt in seinem Beitrag »Translators as Interpreters: Scriptural Interpretation in the Septuagint« (64–91), wie die Übersetzerarbeit in der Septuaginta auf Interpretationen hin untersucht wird. Besonders hilfreich ist Ps 9,21 als Beispiel einer interpretierenden Übersetzung der LXX, ebenso wie die Hinweise auf linguistische Schwierigkeiten der Übersetzer oder Bemühungen einen Text zu harmonisieren. Trotz unterschiedlicher Übersetzungszugänge darf nach Rösel nicht verkannt werden, dass das Ziel stets die Produktion einer autoritativen griechischen Bibelversion der hebräischen Vorlage war.
Der dritte Teil des Buches zur Rewritten Bible enthält Beiträge zur Schriftinterpretation im Jubiläenbuch (Jacques van Ruiten, Biblical Interpretation in the Book of Jubilees: The Case of the Early Abram [Jub 11,14–12,15], 121–156), im Genesis-Apokryphon und Liber Antiquitatum Biblicarum (Howard Jacobson, Biblical Interpretation in Pseudo-Philos Liber Antiquitatum Biblicarum, 180–199). Moshe J. Bernstein stellt in seinem Artikel »The Genesis Apocryphon: Compositional and Interpretive Perspectives« (157–179) diesen Text aus Qumran vor, der hauptsächlich von den Figuren Noah und Abram handelt. Dabei zeigt er deutlich, dass die Forschung in vielen Punkten noch längst keinen Konsens bilden konnte. Besonders die Beziehung zum 1. Henochbuch und zum Ju­biläenbuch sowie die damit zusammenhängende Frage der Datierung sind nach wie vor strittig. Nachfolgend beobachtet Bernstein Neuordnungen und Auslassungen des biblischen Stoffes im Genesis-Apokryphon. Die auf Aramäisch verfasste Schrift lässt bspw. Noah das Opfer nicht auf Erden darbringen, sondern noch während er sich mit seiner Familie in der Arche befindet. So wird der Umstand vermieden, dass die Überlebenden der Flut nicht sofort selbst unrein werden, wenn sie die unreine Erde betreten. Die Raben- bzw. Taubenszene fehlt im Genesis-Apokryphon gänzlich; hierfür gibt es bislang keine Erklärung, so Bernstein. Weiterhin erkennt er Hinzufügungen und Ergänzungen, wie die Visionen Noahs (GenAp 6 und 7) oder den Traum Abrams (GenAp 19), die außerbiblisches Material darstellen und für die Zeichnung der Figuren von großer Wichtigkeit sind. Auch im Detail ist zu erkennen, dass sich das Genesis-Apokryphon auf das hebräische Origi-nal bezieht, wenn bspw. das Fromm-Sein (קידצ) Noahs auf ver-schiedenste Weisen interpretiert und ausgeschmückt wird (vgl. GenAp 6).
Den Texten aus Qumran ist das vierte Kapitel gewidmet, in dem Shani Tzoref (The Use of Scripture in the Community Rule, 203–234) und Sarah J. Tanzer (Biblical Interpretation in the Hodayot, 255–275) erläutern, wo biblische Interpretation in Qumrantexten vorkommt und welche Motivationen hierfür vorliegen können. George J. Brooke untersucht in seinem Beitrag »Prophetic Interpretation in the Pesharim« (235–254) die parabiblischen Schriften »Jeremiah Apocrypha (A–Ca–f)« und »Pseudo-Ezekiela–d«. Die Propheten selbst wurden von der Qumrangemeinde als vorausblickend und zukunftsweisend wahrgenommen. Erzählkomplexe wurden ausgeweitet, einer Neubearbeitung unterzogen und Dialoge zwischen Prophet und Gott nacherzählt. Dieser imitative character (241) zeigt, dass die Verfasser dieser parabiblischen Schriften sich mit den Traditionen der Propheten identifizierten und dass sie beabsichtigten, die Bedeutsamkeit der Prophetenworte für die eigene Generation darzulegen. Der rewriting process (241) der Schriftpropheten markiert die Bemühungen, die prophetischen Vorhersagen nicht nur zu begreifen, sondern sie für die eigene Generation fruchtbar zu machen, so dass parabiblische Schriften in zweierlei Weise als ongoing prophetic activity (241) anzusehen sind.
Das fünfte Kapitel nimmt die Apokalyptik und die Testamentenliteratur in den Blick. Der Herausgeber Matthias Henze eröffnet die Thematik mit seinem Beitrag »The Use of Scripture in the Book of Daniel« (279–308) und untersucht die Erzählungen in Dan 2; 7–8 und 10–12 exemplarisch. Die legendarische Geschichte von Daniel am Hofe Nebukadnezars steht in klarer Verbindung zur Josephsgeschichte in Gen 40–41. Allein die aufgelisteten Gemeinsamkeiten der Protagonisten überzeugen: Daniel und Joseph wurden gegen ihren Willen verschleppt, beide haben eine attraktive Erscheinung, sind weise und steigen zum Höfling auf. Aber auch auf narrativer Ebene lassen sich schnell Parallelen finden, denn sowohl Nebukadnezar als auch der Pharao haben geheimnisvolle Träume, die zu deuten sind, und in beiden Erzählungen wird explizit darauf hingewiesen, dass nicht Daniel bzw. Joseph das Rätsel löst, sondern nur Gott dies obliegt (vgl. Gen 40,8; 41,16; Dan 2,28). Nach seinen Ausführungen zu Dan 7 und 8 kommt Henze zu dem Schluss, dass Dan 8 die vorherige Vision »reinforces and elaborates« (289). Daniels Begegnung mit dem Engel in Dan 10 scheint in der Tradition der Visionserfahrungen der Propheten Jesaja und Ezechiel zu stehen. Es folgen die Beiträge zu 4Ezra und 2Baruch von Hindy Najman in Zusammenarbeit mit Ithamar Manoff und Eva Mrozek (How to Make Sense of Pseudonymous Attribution: The Cases of 4 Ezra and 2 Baruch, 308–336) und zu den Testamenten der Zwölf Patriarchen von Robert Kugler (The Testaments of the Twelve Patriarchs: A Not-So-Ambiguous Witness to Early Jewish Interpretative Practices, 337–360).
Der sechste Teil »Wisdom Literature« beginnt mit dem Beitrag »Biblical Interpretation in the Book of Ben Sira« (363–388), verfasst von Benjamin G. Wright III. Nach einigen einführenden Seiten zur eigentümlichen Verwendung biblischer Texte und zum aktuellen Forschungsstand des Buches Ben Sira demonstriert Wright III. bspw. anhand von Sir 17,1–12, dass Ben Sira deutlich die Schöpfungserzählungen der Genesis gekannt haben muss. Es werden die Gottes­ebenbildlichkeit, die Erschaffung des Menschen aus Erde und die Herrschaft über die Tiere genannt; den Sündenfall Adams und Evas hingegen spart der Autor aus und fügt direkt nach der Schöpfung des Menschen eine Notiz zur limitierten Lebenszeit ein (Sir 17,2; 377). Wright III. konstatiert, dass Ben Sira offenbar den Tod als in Gottes Plan inbegriffen versteht, unabhängig davon, ob die Menschen seine Gebote achten oder nicht. Ben Sira nimmt somit biblischen Stoff auf, den er jedoch in seiner eigenen Autorität als Weiser umwandelt und dadurch eine Alternative zum Genesistext schafft. Der Beitrag zur Weisheit Salomos von Peter Enns (Pseudo-Solomon and His Scripture: Biblical Interpretation in the Wisdom of Solomon, 389–412) beendet das Kapitel.
Im siebenten Teil »Hellenistic Judaism« beschreibt Gregory E. Sterling in »The Interpreter of Moses: Philo of Alexandria and the Biblical Text« (415–435) den jüdischen Schriftsteller als leidenschaftlichen und authentischen Leser und Erklärer der Schrift, insbesondere des Pentateuchs. Sterling konzentriert sich auf die Beschreibung der Verhältnisse von Text und Kommentierung in den Werken »Questions and Answers on Genesis and Exodus«, »Allegorical Commentary« und »Exposition of the Law«. In den erstgenannten Werken zitiert Philo vielfach den Text des Genesis- und Exodusbuches, während er in »Exposition of the Law« den gesamten Pentateuch einbezieht und hier meist den biblischen Text paraphrasiert, bevor er seinen Kommentar anschließt. Nach einem weiteren Beitrag von Zuleika Rodgers (Josephus’ Biblical Interpretation, 436–464) schließt der Band mit einem Aufsatz unter dem Titel »Biblical Exegesis and Interpretations from Qumran to the Rabbis« (467–489) von Aharon Schemesh.
Dieser Sammelband ist nicht nur äußerst informativ und größtenteils gut verständlich, sondern lädt immer auch zum näheren Hinsehen und Weiterarbeiten ein; besonders hilfreich hierfür sind die Bibliographien am Ende jedes einzelnen Beitrages. Das abschließende Literaturverzeichnis (492–527) sowie ein Autoren-, Sach- und Stellenregister (528–568) runden das Werk in bester Weise ab.