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Ausgabe:

Dezember/2013

Spalte:

1313–1316

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Albertz, Rainer, and Jakob Wöhrle [Eds.]

Titel/Untertitel:

Between Cooperation and Hostility. Multiple Identities in Ancient Judaism and the Interaction with Foreign Powers.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013. 280 S. m. 16 Abb. = Journal of Ancient Judaism. Supplements, 11. Geb. EUR 89,99. ISBN 978-3-525-55051-9.

Rezensent:

Thomas Hieke

Der lehrreiche Sammelband verfolgt die wichtige historische Frage, warum es zwischen den Juden und dem Perser- sowie dem Ptolemäerreich zu einer Zusammenarbeit kam, diese aber unter der Herrschaft der Seleukiden und Römer scheiterte und zu militärisch ausgetragener Feindschaft führte. Die Beiträge gehen auf eine Tagung im Juni 2011 in Münster zurück. Sie zeigen, dass sich im nachexilischen Frühjudentum unterschiedliche Identitäten ausprägten, die sich zwar alle auf Tora, Propheten und Psalmen stützten, aber in ihren divergierenden Interpretationen ganz verschiedene Positionen zu den fremden Mächten entwickelten. Die theologischen und ethischen Konzepte der verschiedenen Gruppierungen bewegen sich zwischen Anpassung und Widerstand gegenüber den Forderungen der fremden Herrscher. Die keiner zentralen Steuerung unterliegende Interpretation der Tradition und der Schriften führte schließlich unter dem Druck der politischen und sozialen Spannungssituationen zu gewaltsamen internen Konflikten und zu Kämpfen mit den Besatzern des Landes. Die Artikel betreiben dazu bemerkenswerte Fallstudien aus verschiedenen Perspektiven und sind chronologisch geordnet: von der »Persian Period« zur Römerzeit. Jeder Essay dient in wertvoller Weise dem tieferen Verständnis der Ereignisse dieser Epochen.
D. R. Schwartz beginnt mit einem Grundsatzartikel zur Identitätsfrage an­hand der Begriffe »Juden« (»Jews«) und »Judäer« (»Judaeans«). In der deutsch- wie englischsprachigen Literatur werden sie unterschiedlich verwendet. Hinter der Differenz steht die Frage, wie judäische/jüdische Identität bestimmt wird: politisch-sozial (»Judäer«) oder religiös-ethnisch (»Juden«)? Die unterschiedlichen Ansätze zeigt ein Vergleich von 1Makk (politisch) mit 2Makk (religiös). Ähnliche Tendenzen ergeben sich bei Josephus (Bellum vs. Antiquitates). Schwartz plädiert dafür, beide Begriffe jeweils gezielt (je nach Kontext) einzusetzen.
Ausgehend von der positiven Sicht der Perserherrschaft in der Hebräischen Bibel skizziert T. Römer eine Literargeschichte der Tora (bzw. des Tanak) in Verbindung mit den in Konkurrenz zueinander stehenden Identitätsauffassungen der Juden/Judäer in der Perserzeit. Letztlich siegt im redaktionellen Prozess diejenige Position, die die Autorität der Tora des Mose voranstellt und sie als Erfüllung der Geschichte sieht. Geschichtsschreibung und prophetische Literatur werden dem zentralen pro-persischen Mose-Dokument nach- und untergeordnet.
J. Wöhrle geht von einer literarkritisch uneinheitlichen biblischen Josefsgeschichte aus, die in der Grunderzählung und den verschiedenen redaktionellen Erweiterungen je unterschiedliche Perspektiven auf das Leben in einem fremden Land zeige. Im zweiten Teil des Aufsatzes erarbeitet Wöhrle, wie sich diese divergierenden Positionen in der Rezeption der biblischen Geschichte in der frühjüdischen Literatur (Ben Sira, 1Makkabäer, Testamente der Zwölf Patriarchen) fortsetzen.
Identitätsbildung ist immer auch ein Abgrenzungsprozess von anderen. Daher fokussiert S. Grätz auf die Darstellung der »Feinde« im Esra-Nehemiabuch, näherhin in Esr 4–6 und in der Nehemia-Denkschrift. Die genaue Identifizierung fällt schwer; daher liegt es näher, in diesen »Feinden« fiktive Symbolgrößen zu sehen, die die vielfachen Schwierigkeiten des nachexilischen Wiederaufbaus in Juda/Jehud illustrieren sollen. So erscheint alles Fremde als feindlich und ist daher abzulehnen.
Vor dem Hintergrund historisch belegter Genozide im Umfeld der Bibel (z. B. die neuassyrische Kriegsstrategie) interpretiert R. Achenbach die Ester-Novelle als narratives Bekenntnis dazu, dass das jüdische Volk sein fundamentales Recht auf ethnische, kulturelle und religiöse Integrität verteidigen darf, selbst wenn es den Status einer ethnischen Minderheit unter fremder Herrschaft hat; zugleich gebe es das grundsätzliche Recht auf Widerstand gegen die Verletzung der Menschenrechte insbesondere unter dem drohenden Eindruck eines bevorstehenden Genozids. Aufgrund historischer Überlegungen und literarischer Textvergleiche optiert Achenbach für eine Datierung des Esterbuches zwischen der Entstehung des 1. und des 2. Makkabäerbuches.
Am Vorabend des ersten jüdischen Krieges setzte sich eine bestimmte pries­terliche Gruppe am Tempel in Jerusalem mit der Forderung durch, Opfer von Fremden (und damit auch das Opfer für das Wohlergehen des römischen Kaisers) nicht mehr durchzuführen. R. Albertz untersucht die religiösen Identitäten und Argumente der beiden Parteien: diejenige, die Opfer von Fremden zuließ, und diejenige, die diese Opfer ablehnte.
S. Schorch datiert das Aufkommen der samaritanischen Identität ins 2. Jh. v. Chr. und präsentiert einen Überblick über die verschiedenen Theorien zur Entstehung der Eigenständigkeit dieser religiösen Gruppe. Er beleuchtet den Prozess näher aus innersamaritanischen Quellen und aus Stellungnahmen des Jerusalemer Judentums. Schließlich betrachtet er den wechselseitigen Einfluss zwischen Samaritanern und Juden hinsichtlich der Einstellung gegenüber den fremden Mächten.
Aus archäologischer Perspektive untersucht A. M. Berlin die Zeit nach der Eroberung der Akra in Jerusalem durch Simeon und der Vertreibung der seleukidischen Garnison (142 v. Chr.). Es geht ihr um den Konflikt zwischen explizit »jüdischer« Lebensweise in Judäa einerseits und der Tendenz zu hellenistischem Kosmopolitismus andererseits. Die archäologisch zu erhebenden materialen Überreste zeigen bemerkenswerte Veränderungen in der 2. Hälfte des 2. Jh.s v. Chr.: die Ablehnung von Importwaren und fremder Keramik, die Gestaltung eigener, schlichter Keramik, die Einrichtung von Ritualbädern (Mikwaot). Damit wird die intentionale Abgrenzung von der umgebenden hellenistischen Kultur demonstriert und die Entscheidung für eine stark religiös geprägte und bewusst einfache Lebensweise dokumentiert. 16 Illustrationen unterstützen die Ausführungen; leider sind die Karten (»Figure« 1, 3, 5 und 12) zu klein und unscharf gedruckt.
D. Mendels untersucht »Ehre« und »Demütigung« sowie »Rache« als Faktoren hasmonäischer Politik in den Erzählungen des 1. Makkabäerbuches. Insbesondere doxa und doxazein sind Schlüsselbegriffe für 1Makk. Nach der Diskussion der einzelnen Stellen ist am Ende eine Antiklimax festzustellen: Der vom Autor von 1Makk hochgelobte Simeon (1Makk 14) erleidet einen schmählichen Tod (1Makk 16) – die historische Wirklichkeit schlägt der Ideologie ins Gesicht. Nur das ehrenhafte Handeln von Simeons Sohn Johannes Hyrkan rettet die Situation und das Buch vor einem allzu enttäuschenden Ende.
Das 2. Makkabäerbuch nimmt J. Schnocks in den Blick und untersucht dessen Darstellung der fremden Militärbefehlshaber. Nach einer Diskussion des Charakters von 2Makk und einer Reflexion des Schicksals der Feinde in den Asafpsalmen und 1/2Makk befasst sich Schnocks mit Lysias und Nikanor im 2. Makkabäerbuch, das offensichtlich das literarische Muster einiger Asafpsalmen übernimmt, was sich auch auf die Präsentation fremder Herrscher auswirkt.
Die Makkabäerbücher vermitteln den Eindruck, das jüdische Volk dieser Zeit sei ständig auf den Kampf gegen fremde Machthaber aus gewesen. C. Hezser zeigt demgegenüber, dass es auch Gruppen gab, die nicht gegen die helle­nistische und römische Herrschaft kämpften, sich mit den fremden Mächten arrangierten oder sie sogar willkommen hießen. Als Quellen dafür untersucht Hezser die Makkabäerbücher, Josephus, Philos Legatio ad Gaium, die synop­tischen Evangelien und die palästinische rabbinische Literatur. Juden wie Christen bevorzugten in der Regel gewaltlose Konfliktlösungen, wann immer sie möglich waren.
Insbesondere in Contra Apionem vertritt Josephus ein theokratisches Ideal einer Herrschaft durch einen Hohepriester aus uraltem Geschlecht. K. Trampedach untersucht in seinem Beitrag, wie dieses Konzept in der Zeit der römischen Direktverwaltung Judas (zwischen 6 und 66 n. Chr.) seine Möglichkeiten und Grenzen fand, wie die jüdischen Hohepriester mit der römischen Besatzungsmacht zu einer asymmetrischen Kooperation zusammentrafen und diese schließlich scheiterte.
Der Band wird durch Indizes für Stellen in den antiken Quellen sowie für moderne Autoren erschlossen. Die Beiträge, deren Qualität durchgehend auf hohem Niveau steht, verbindet eine klare gemeinsame Linie. Im Verlauf der Lektüre ergibt sich ein differenziertes Bild der jüdischen/judäischen Identitäten und ihrer Positionen zu den fremden Machthabern. Die historische Spannung »zwischen Zusammenarbeit und Feindseligkeit« wird von den Artikeln in hervorragender Weise facettenreich beleuchtet.