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Ausgabe:

Mai/1999

Spalte:

545 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Heimbucher, Martin:

Titel/Untertitel:

Christusfriede - Weltfrieden. Dietrich Bonhoeffers kirchlicher und politischer Kampf gegen den Krieg Hitlers und seine theologische Begründung.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1997. 416 S. gr.8. Kart. DM 88,-. ISBN 3-579-01899-X.

Rezensent:

Christoph Strohm

Die Frage, wie sich Bonhoeffers "pazifistische" Äußerungen mit seiner Beteiligung an Umsturzvorbereitungen vereinbaren lassen, ist eine Schlüsselfrage zum Verständnis des gesamten theologisch-ethischen Werkes Bonhoeffers. Die im Jahre 1992 bei der Göttinger Theologischen Fakultät eingereichte Dissertation macht diese Fragestellung zum Ausgangspunkt einer umfassenden Darstellung der Ethik des Politischen und ihren theologischen Grundentscheidungen bei Bonhoeffer. Dabei geht der Vf. primär chronologisch vor und interepretiert die relevanten Quellen in ihren zeitgeschichtlichen Bezügen. In der Einleitung wird ein ausführlicher Überblick über den Stand der Forschung gegeben, eine detaillierte, vielfach kritische Auseinandersetzung mit den Positionen der Forschung begleitet die gesamte Darstellung. Der erste von vier Teilen widmet sich den "Entwicklungen in Bonhoeffers Denken über Krieg und Frieden bis zur Position von Fanø" (27-111). Aufbauend auf den vorliegenden Forschungen zum zeit- und theologiegeschichtliche Kontext der frühen Ethik Bonhoeffers hebt der Vf. die Bedeutung des ökumenischen Engagements seit 1931 für die Formierung Bonhoefferscher Theologie und Ethik hervor. Mancher neue Akzent wird gesetzt, so z. B. die Interpretation des Vortrages "Das Recht auf Selbstbehauptung" vom Februar 1932 im Kontext der Auseinandersetzungen um Günther Dehns Äußerungen zur Frage der ethischen Bewertung des Krieges (vgl. 49-52). Den Überlegungen Otto Dibelius’, Emil Brunners und Walter Künneths zum Problem des modernen Krieges wird ein eigener Exkurs gewidmet (vgl. 76-81). Schon im Winter 1932/33 finden sich Ansätze der Ausrichtung auf den einfältigen Bergpredigt-Gehorsam, wie sie dann für die folgenden Jahre charakteristisch wird.

Der zweite und dritte Teil der Arbeit untersuchen "Bonhoeffers Beiträge zur Konferenz von Fanø 1934" (113-166) sowie "Bonhoeffers Stimme in den Bemühungen um ein Friedenszeugnis von Bekennender Kirche und Ökumene" (167-272). In diesen beiden Teilen liegt der Schwerpunkt der Arbeit und hier bietet sie den größten Erkenntnisfortschritt. Durch langjährige Bonhoeffer-Studien und die Mitarbeit an dem die Jahre 1933-1935 betreffenden Band der neuen Bonhoeffer-Ausgabe mit auch bislang noch nicht berücksichtigten Quellen vertraut, gelangt der Vf. hier auch zu wichtigen Korrekturen der bisherigen Forschung. Danach entstammt Bonhoeffers berühmte Fanøer "Friedenspredigt" nicht einer Morgenandacht der Ökumenischen Konferenz, sondern sie wurde im Plenum vorgetragen als eines der vier Einleitungsreferate zum Thema des Tages. Damit muß der Hinweis auf den Ort der "gottesdienstlichen Verkündigung" relativiert werden. Andererseits ist es gerade bedeutsam, daß Bonhoeffer seinem "Referat" in dieser Situation tatsächlich den Charakter einer Predigt gab (Vgl. 141-158). Bonhoeffer geht es hier pointiert darum, daß die Ökumene als Kirche das Wort Gottes hört und tut. Die Frage der politischen Möglichkeiten und Notwendigkeiten will Bonhoeffer ausklammern. "... die Ökumene fragt nicht nach diesen, sondern nach den Geboten Gottes und ruft diese Gebote Gottes ohne Rücksicht mit hinein in die Welt" (DBW 13, 298, zit. 143). In einem späteren Abschnitt setzt sich der Vf. mit der Kritik auseinander, daß Bonhoeffer mit seiner "pazifistischen" Option von Fanø, "wäre sie denn wirksamer geworden, nolens volens den ,Appeasement’-Tendenzen in der westlichen Welt Vorschub geleistet hätte. Dieser Vorwurf träfe mit Bonhoeffer dann auch die wiederholten Friedensinitiativen aus der Ökumene Mitte der dreißiger Jahre. Die Antwort lautet: Gerade weil und sofern diese ökumenischen Vorstöße in eminenter Weise als kirchliche Aktionen angelegt waren, konnten sie kein Appeasement sein" (372). Hier wünschte man sich neben der historischen Rekonstruktion eine umfassendere und auch kritischere Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen der Bonhoefferschen Position.

Der dritte Teil stellt Bonhoeffers Bemühungen um ein Friedenszeugnis von Bekennender Kirche und Ökumene in einen weiteren Horizont. Nicht nur die Diskussionen um die theologische Bewertung der Kriegsdienstverweigerung in Finkenwalde und innerhalb der Bekennenden Kirche, sondern auch die Vorbereitungen der Weltkirchenkonferenz in Oxford im Jahre 1937, welche sich dem Thema "Kirche, Krieg und Frieden" widmen sollte. Unter Berücksichtigung wenig bekannter Quellen und Archivmaterialien werden hier verschiedenste Positionen dargestellt, so auch Paul Althaus’ (vgl. 222-230). Neue Zusammenhänge werden erschlossen, so z. B. der Sachverhalt, daß ein Vortrag Karl Barths Ende August 1935 vor einer Pfarrkonferenz in Mähren über "Die theologischen Voraussetzungen kirchlicher Gestaltung" (= ThExh 28, 1935) eine kritische Auseinandersetzung mit dem "Projekt Finkenwalde" und der Nachfolge-Theologie insgesamt darstellt (vgl. 179-184).

Der vierte Teil über "Bonhoeffers Beteiligung an der Konspiration gegen Hitler in der Verantwortung für einen künftigen Frieden" setzt die Akzente bei der Beantwortung der Frage nach den Gründen des Entschlusses zur Beteiligung an konspirativen Umsturzvorbereitungen anders, als das in der Forschung der letzten zwanzig Jahre geschehen ist. Während man hier die Verfolgung und Ermordung der jüdischen Mitbürger in Deutschland und Europa als den entscheidenden Grund betont, hebt Heimbucher die Verhinderung bzw. Beendigung des von Hitler begonnenen Krieges als entscheidend hervor. Gerade die Entwürfe einer christlichen Ethik zeigen, wie stark Bonhoeffers Denken um das eine "christliche Abendland", die "westliche Zivilisation" kreiste. Dies anschaulich gemacht zu haben, ist eins der vielen Verdienste dieser Arbeit. Trotz der vielfältigen Literatur zum Thema gelingt es Heimbucher, durch umfassende Quellenkenntnis und differenzierte Analyse eine einleuchtende Gesamtdarstellung des für Bonhoeffers Denken und Handeln zentralen Themas.