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Ausgabe:

Januar/1999

Spalte:

37 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Pröbstl, Volker

Titel/Untertitel:

Nehemia 9, Psalm 106 und Psalm 136 und die Rezeption des Pentateuchs.

Verlag:

Göttingen: Cuvillier Verlag 1997. 289 S. 8. ISBN 3-89588-819-2.

Rezensent:

Erhard Blum

Die Erlanger Dissertation (bei L. Schmidt) erweitert die ohnedies bereits ansehnliche Reihe von Untersuchungen zu den Rekapitulationen der Heilsgeschichte in Gebeten/Liedern.

Für die behandelten Texte (die Beschränkung auf drei Beispiele wird nicht näher begründet) bekräftigt sie noch einmal, was in der neueren Forschung weithin als Konsens gelten kann: daß diese Gebete den im wesentlichen abgeschlossenen Pentateuch voraussetzen (Neh 9 und Ps 106 darüber hinaus die kontinuierlich anschließende Geschichtserzählung in Jos etc.). Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Frage, ob sich die Rezeption des Pentateuch von der der folgenden Geschichtsbücher unterscheidet. In den Textbearbeitungen folgen auf Übersetzung und Textkritik jeweils die Fragen nach Thema und Aufbau, Form und Gattung, und bes. detailliert: nach der Rezeption der vorgegebenen Überlieferungen und der darin sich artikulierenden Deutung des Pentateuch. Die Beobachtungen zur "Rezeption" werden in einem abschließenden Kapitel noch einmal zusammengestellt.

Für das am ausführlichsten behandelte Gebet in Neh 9,5-37 ergibt sich in den Grundzügen: Es bildet eine "nach-chronistische" Einschreibung in den literarischen Zusammenhang1, am ehesten aus spätpersischer Zeit. Formal handelt es sich um "gehobene Prosa", gattungsmäßig um eine "Weiterentwicklung der Volksklage". Diese gliedert sich in A 6-8 (Schöpfermacht JHWHs und Landverheißung für Abraham), B1 9-15 ("Erfüllungsgeschichte bis zum Auftrag zur Landnahme"), B2 16-22 (Abfall der Väter und Bewahrung in der Wüste), C 23-31 ("Landnahme der Söhne und deren Versagen"), D 32-37 (Appell an JHWH und Hoffnung auf seine Intervention). Tragendes Grundthema bildet die Verheißung des Landes2 (V. 8), deren Realisierung von den "Vätern" schuldhaft verweigert (V. 15/16 f.), von den "Söhnen" ebenso schuldhaft aufs Spiel gesetzt (V. 26) und von den Betern wieder ohne Einschränkungen erhofft wird (V. 32 ff.).

Die im einzelnen besprochene Rezeption der Traditionsstoffe ergibt für den Pentateuch einerseits eine enge Anlehnung an dessen bereits "kanonischen" Text (von Anspielungen an markante Erzählepisoden bis zu wörtlichen Zitaten), andererseits eine gestalterische Freiheit, zumal in der Anordnung der erinnerten Ereignisse. Demgegenüber werde die Zeit von der Landnahme an weitgehend summarisch präsentiert (als zunehmende Entfernung des Volkes von seinem Gott gegen dessen vermahnende und verschonende Langmut). Darin und in der angeblich singulären3 Väter-Söhne-Periodisierung spiegele sich auch eine besondere Dignität des Pentateuch. Gegenüber älteren "überlieferungsgeschichtlichen" Überlegungen wird mit Recht betont, daß gelegentliche Abweichungen4 keine Hinweise auf traditionsgeschichtliche Prozesse bieten, sondern als eine von den kommunikativen Intentionen des Vf.s bestimmte Rezeption des Gesamtpentateuch zu lesen sind.5 Dies gilt auch für die anderen beiden Texte.

Ps 106 wird vom Vf. als (diachron einheitliche) "Volksklage mit hymnischem Aufgesang" bestimmt, welche die Pentateucherzählung eigenständig auslegt, insbesondere als Darstellung einer Geschichte des Versagens der Väter, aber auch als "Paradigma des anbrechenden Heilshandelns" JHWHs (Ägyptenzeit, Meerwunder) (177). Abgesehen von möglichen Rückfragen an einzelne Deutungen (zur eigenwilligen Interpretation von V. 2-3 als "Einlaßtora" [120 ff.]6, zur Beschränkung von V. 44-46 auf eine "Wende im Exil" [131 f.]7 oder zur angeblich deutlich markierten Grenze zwischen Pentateuch und Jos etc. bei V. 32 f. [167.169]8) ist bei diesem Text grundsätzlich zu fragen, ob nicht eine Mitbearbeitung des "Zwillingspsalms" 105 aus methodischen Gründen angezeigt gewesen wäre.

Ps 136 wird gegen diverse neuere Schichtungshypothesen mit guten Gründen als einheitlicher Hymnus ausgewiesen, dessen Substanz bereits den ausgearbeiteten Pentateuch voraussetzt und der sich in der ’Erzählung’ an diesem Basisdokument orientiert (s. V. 17-22).

Die Auslegungen werden unprätentiös im Gespräch mit der einschlägigen Literatur von den Texten her entwickelt (auch wenn der Verzicht auf dezidierte Strukturanalysen bei dieser Art von Texten etwas verwundert). Weiterführendes findet sich wohl vor allem in Einzelaspekten; der leitende Fragehorizont bleibt jedenfalls im Rahmen bisheriger Arbeiten zur Thematik.

Fussnoten:

1) S. schon A. H. J. Gunneweg, KAT XIX,2; die hierfür genannten Beobachtungen (48 f.100) ließen sich freilich auch mit der Aufnahme eines vorgegebenen Textes erklären.

2) Dies dürfte jedoch eine Engführung darstellen. Zumindest hat der Topos der Landverheißung durch die Verbindung mit dem Thema der Knechtschaft/Fremdherrschaft (17.36 f.) gegenüber der Überlieferung eine wesentliche Transformation erfahren; auch ist der Ungehorsam der Väter nicht exklusiv auf die Landnahme bezogen (V. 16: "Sie hörten nicht auf deine Gebote").

3) Vgl. aber Jos 5,4-7; vorbereitet in Dtn 2,14-16; Num 14,30-33. Das Ungewöhnliche ist vielmehr, daß auch die Josua-Generation in die Ungehorsamgeschichte einbezogen wird.

4) Nicht immer sind sie so eindeutig. Im Falle von 9,17a // Num 14 (65 f.) resultiert das Problem aus einer bestimmten Übersetzung von ntn r’sh.

5) Um so erstaunlicher ist die mehrfach wiederholte These (62, 213 f.), die Verfasser hätten sich bei der Zuordnung von Plagen, Schilfmeerwunder und Führung in der Wüste gegen den Endtext an einem (ihnen nicht mehr vorliegenden) Gliederungsmuster von P orientiert; dabei sind 9,10-12 ohne weiteres mit der Pentateucherzählung kompatibel.

6) Läßt sich der Makarismus von V. 3 als Antwort auf die nicht-rhetorisch verstandene Frage von V. 2 lesen? Geht es in V. 2 wirklich um ein künftiges Gotteslob (vgl. kl thltw und Ps 105 als Vorkontext)?

7) Die Frage ist, ob V. 43 als abschließende Zusammenfassung oder als Markierung der rekurrenten Struktur von Abfall-Preisgabe (V. 34-42) und heilvoller Zuwendung (V. 44-46) gelesen sein will.

8) Die indirekte Rede von Moses Tod in V. 32b mag für die Leser einen Hinweis auf den Pentateuchschluß implizieren, von einer Markierung läßt sich kaum sprechen.