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Ausgabe:

November/2013

Spalte:

1291–1293

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hardmeier, Roland

Titel/Untertitel:

Geliebte Welt. Auf dem Weg zu einem missionarischen Paradigma.

Verlag:

Schwarzenfeld: Neufeld Verlag 2012. 318 S. = Edition IGW, 4. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-86256-026-4.

Rezensent:

Matti Justus Schindehütte

»Geliebte Welt« heißt die Fortsetzung des 2009 erschienenen Bandes »Kirche ist Mission«, der als Beitrag zur evangelikalen Missiologie Wertschätzung fand. Roland Hardmeier wirbt für einen Weg zu einem neuen missionarischen Paradigma. Der Umbruch an Werten in unserer Zeit müsse zu einem neuen Verständnis von Kirche und ihrer Mission führen.
In sieben Kapiteln spannt H. einen weiten Bogen vom Blick auf die Welt bis hin zur Notwendigkeit der sozialen Aktion. Die Welt, in welche die Kirche im 21. Jh. gesandt ist, skizziert er als »postmodern« und »globalisiert«. Es werde in Zukunft nicht mehr möglich sein, ethisch zu leben, ohne die Mechanismen der Globalisierung zu hinterfragen. H. benennt Gewinner und Verlierer des Konsums und kritisiert den Geist des ungebremsten Wachstums, dessen Wurzeln in Europa und den Vereinigten Staaten liegen.
Den Umbruch vom »Kolonialismus zur Ganzheitlichkeit« (1.Kapitel) sieht H. mit dem Wertewandel einhergehen, der die Welt nicht mehr als böse, sondern als von Gott geliebt begreift. Ausgehend von seiner Analyse des biblischen Gerechtigkeitsbegriffs mit seiner sozialen Komponente (2. Kapitel: »Der gerechte Gott«) fragt er nach Inhalt und Grenzen des Heils (3. Kapitel: »Die Fülle des Heils«). H. bemüht sich um eine Verhältnisbestimmung zwischen sozialer Gerechtigkeit und Erlösung und stellt den biblischen Befund eines ganzheitlichen Heilsbegriffs ins Gegenüber zu den evangelikalen Begriffbestimmungen sowie den Heilsbegriffen des Social Gospel, der Befreiungstheologie und der Ökumene.
Schon »die urchristliche Mission« (4. Kapitel) habe Paradigmenwechsel erfahren – für H. eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen der Mission. Dies wird anhand der Apostelgeschichte nachgezeichnet. Der Durchbruch des neuen Paradigmas auf dem Apostelkonzil wird in seiner Relevanz für das 12. Jh. beleuchtet und die Notwendigkeit von Paradigmenwechseln für die Kirche heute hin­terfragt.
Auch »der Apostel Paulus« (5. Kapitel) habe das Geheimnis der Kirche verkündigt, dass eben auch die Heiden Miterben seien, die zu demselben Leib gehören und durch das Evangelium teilhaben an der Verheißung Christi (Eph 3,6). Das Reich Gottes verwirkliche sich bei Paulus jedoch noch nicht in einer transformierten Gesellschaft. Den bösen Strukturen der Welt setzt Paulus die Kirche als Ort gegenüber, in der sich die Visionen der Propheten und die ethischen Aufforderungen Jesu erfüllen können. Kirche habe ihre Gesellschaftsrelevanz als Antithese zur verdorbenen Welt entwi-ckelt. H. stellt in diesem Setting das Bemühen des Paulus heraus, Kirche kontextuelle Gestalt zu geben.
Zwischen Kapitel 5 und Kapitel 6 wagt H. einen großen historischen Sprung und steigt in die Erörterung seiner Sichtweise der »untrennbaren Partnerschaft« zwischen Evangelisation und sozialer Aktion ein. Die zurückhaltende Reaktion der Evangelikalen auf die Forderung nach mehr sozialer Verantwortung in den 1970er Jahren sei seit den 1990er Jahren einem Bewusstsein gewichen, dass mit der Mission auch die praktische Demonstration des Evangeliums in Form von persönlicher Hilfestellung und gesellschaftlichem Engagement einhergehe. Das Ziel, die Le­-bensumstände zu verbessern, gelte inzwischen als weltweiter Konsens der Evangelikalen, wenngleich die soziale Aktion im deutschsprachigen Europa immer noch als Gefahr wahrgenommen werde, die die Priorität der Verkündigung aufweichen und zu einer humanistischen Verflachung führen könne. Gesellschaftsrelevanz, ja, aber nicht zu jedem Preis. H. bezieht Position und argumentiert für die soziale Aktion als Konsequenz der Nachfolge, die nicht zuletzt auch zur Bewahrung der Evangelisation beitragen könne.
H. sieht gemäß der These seines Buches die evangelikale Missionstheologie im Übergang von einem eurozentristisch-kolonialen Paradigma der Aufklärungszeit zu einem missional-ganzheitlichen Paradigma der Postmoderne, wenngleich er eingesteht, dass die Geschichte diese These erst noch bestätigen müsse.
Für »das neue Paradigma« (7. Kapitel) entfaltet H. abschließend fünf Eckpunkte, die auch auf seinen Ausführungen im ersten Band »Kirche ist Mission« basieren: 1. ein umfassendes Heilsverständnis; 2. ein die soziale Aktion einschließendes Missionsverständnis; 3. eine missionale Ekklesiologie; 4. ein kontextuelles Schriftverständnis; 5. eine ganzheitliche Christologie.
H. zieht den – im evangelikalen Kontext sicher kontroverseren – Schluss, dass nicht erst in den Evangelien deutlich werde, was Heil bedeute, sondern schon viel früher: im Zusammenhang mit der Befreiung Israels aus Ägypten. Heil bestehe in umfassender Befreiung, die auch Einfluss auf die gesellschaftlichen Strukturen nehme. Dieses Heilsverständnis wird zur theologischen Grundlage für H.s Paradigma. Heil ziele nicht mehr nur auf den einzelnen Menschen, sondern schließe die ganze Schöpfung mit ein. Es gehe also nicht mehr nur um Wiederherstellung einer wie auch immer getrübten Beziehung des Menschen zu Gott, sondern auch um die Wiederherstellung der Beziehung der Menschen zueinander und um die aus den Fugen geratene Schöpfung.
Mit seinem mehrdimensionalen Heilsverständnis versucht H., die geliebte Welt als Identität stiftendes Kennzeichen evangelikaler Frömmigkeit zu erschließen, ohne die evangelikale Tradition zu verraten. Seine Schlussfolgerung, dass sich das evangelikale Missionsverständnis dahingehend ändern werde, dass alles, was die Kirche in der Welt zu tun gerufen ist, Mission sei, will sich mir jedoch nicht recht erschließen. Die Forderung, soziale Aktion dürfe nicht als evangelistische Arbeit bezeichnet werden, weil dadurch die Aufgabe, Menschen zu Christus zu führen, allmählich verloren gehe, verbleibt dann doch zu sehr im alten Denkmuster. Ist es doch Christus, der uns in der sozialen Tat begegnet (Mt 25,40).
Verwunderlich wirkt, wie H. um ein neues missionarisches Pa­radigma wirbt, ohne dabei auf die Sichtweise der großen volkskirchlichen Schwesterkirchen einzugehen. Hier hätten aus synodalen Verlautbarungen manche wichtige theologische Impulse fruchtbar gemacht werden können. Die Einbindung dieser Dis­kussion würde sicher auch zu einem Mehr an gegenseitiger Akzeptanzbereitschaft in der Argumentationsführung beitragen. Letztlich aber ist der Ansatz, die Welt nicht mehr als böse und den Menschen nicht per se als Sünder zu betrachten, ein wichtiger Impuls für den evangelikalen Kontext. »Bisher erfolgte die Missionsbegründung der Evangelikalen vom Kreuz und von Mt 28,18–20 her. Im anbrechenden Paradigma wird vermehrt vom Gesamtwerk Jesu ausgehend argumentiert. Der ganze Christus der ganzen Welt!« (308) Aus volkskirchlicher Perspektive möchte man sagen: endlich.
Ein entlastender Ausblick wäre m. E. auch die Fortführung der ganzheitlichen Christologie gewesen, in Jesus nicht nur Erlöser, Mensch, Vorbild und Prophet zu sehen, sondern auch denjenigen, der uns in aller Bemühung immer auch entgegenkommt und als Fürsprecher auftritt. »Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden.« (Joh 3,16)