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Ausgabe:

Mai/1999

Spalte:

534 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Hirzel, Martin:

Titel/Untertitel:

Lebensgeschichte als Verkündigung. Johann Heinrich Jung-Stilling - Ami Bost - Johann Arnold Kanne.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1998. 241 S. gr.8 = Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, 33. Lw. DM 98,-. ISBN 3-525-55817-1.

Rezensent:

Gustav Adolf Benrath

Die dreiteilige Studie, eine von Ulrich Gäbler in Basel betreute Dissertation, widmet sich drei Autoren der reformierten Konfession, die ihren Lebenslauf als göttliche Führung begriffen und die mit ihren autobiographischen Schriften bei ihren Lesern den Glauben an die unmittelbare, beständige Einwirkung Gottes auf das eigene Leben wachrufen wollten: Lebensgeschichte als Gottesbeweis im Dienst der Erweckung (78). Bei allen individuellen Unterschieden hatten diese Autoren jeweils einen erlebnisreichen, spannungsvollen Lebenslauf mit auffallend häufigen Berufs- und Stellungswechseln und mit vielerlei Hoffnungen und Enttäuschungen, äußeren und inneren Höhen und Tiefen und, vor allem, Gottesnähe und Gottesferne hinter sich. Es waren aber Lebensläufe, die schließlich, nach längerem Ringen mit dem vorherrschenden aufklärerischen Zeitgeist, im Glauben an den hier und heute eingreifenden gnädigen Gott und an den Heiland und Erlöser ihren festen Grund und ihren klaren Sinn fanden oder wiederfanden (156). So wurde Jung-Stilling in den 1790er Jahren zur Rückkehr zu vol-len Versöhnungslehre und auf das Bekenntnis zum "wahren altevangelischen System" (Lebensgeschichte, 455, 469, 618-625) hingeführt, Ami Bost nach seinem Austritt aus der reformierten Staatskirche im Jahre 1819 (Bekehrungserlebnisse 1818 und 1827, Hirzel, 118 f.) zum späteren Wiedereintritt im Jahre 1840, und Kanne gelangte, nach seinen abenteuerlichen Irrgängen während der Kriegsjahre nach 1803, zum Erlebnis der Bekehrung, Gnadenerfahrung und Wiedergeburt im Jahre 1814, so daß er "Gehabthaben, Verlieren und Wiederfinden" des Glaubens zum Thema seiner (selektiven) Autobiographie erhob (156).

Wie verschiedene Erwägungen (z. B. 79-81, 92, 149 f., bes. 209-219) zeigen, war es dem Verfasser mit seiner Studie vorwiegend um kritische und systematische Gesichtspunkte zum Thema "Lebensgeschichte als Verkündigung" zu tun. Die chronologische Abfolge ist vernachlässigt, und der zwischen 1789, 1813 und 1848 jeweils veränderte geistesgeschichtliche Kontext tritt bei ihm erheblich zurück. So sind, nach der polemisch noch gegen die Französische Revolution und gegen die alte Neologie gerichteten Lebensgeschichte Jung-Stillings (V, 1804), im zweiten Teil der Studie zunächst die Memoiren von Bost mit ihrem späten Rückblick auf die Erfolgsgeschichte des Réveil (1854) besprochen, während die Autobiographie Kannes (1816) mit ihrem Nachhall der napoleonischen Kriegswirren erst im dritten Teil behandelt ist. Außerdem gewinnt bei Kanne eine andersartige literarische Gattung, die Sammelbiographie der von Dritten in erbaulicher Absicht geschilderten fremden Lebensläufe, das Übergewicht über das eigene Erlebnis und das autobiographische Zeugnis. Allgemein gehaltene Hinweise des Vf.s z. B. darauf, daß in diesen Schriften "die alte christliche Tradition der Biographik" fortgesetzt werden (203), oder darauf, daß "Pietismus und Aufklärung sich ... gegenseitig beeinflußt haben" (35) verdecken die historische Einmaligkeit, die Besonderheit und die jeweils erst allmählich errungene Entschiedenheit und Schärfe im Kampf gegen die übermächtige Aufklärung und ihre Auswirkungen, den die drei Autoren mit ihren zeugnishaften Schriften so mutig zu führen versuchten.

Kleine Richtigstellungen: S. 39 f.: "Tuchtfeld" statt Tuchfeld; S. 107: "Waldersbach" statt Waldbach; S. 155: "nichts Geringeres als" anstatt: Nichts weniger als ... (= alles andere als ...).