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Ausgabe:

November/2013

Spalte:

1278–1279

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Green, Todd H.

Titel/Untertitel:

Responding to Secularization. The Deaconess Movement in Nineteenth-Century Sweden.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2011. XI, 188 S. m. Tab. = Studies in the History of Christian Traditions, 153. Geb. EUR 102,00. ISBN 978-90-04-19479-3.

Rezensent:

Ute Gause

Der Autor Todd Green, derzeit Assistant Professor am Luther Col­-lege in Decorah, Iowa, stellt mit seiner Arbeit zunächst keine weltbewegend neue These auf, wenn er die Meinung vertritt, dass Fortschritt und Religion nicht zwangsläufig zu einer Marginalisierung von Religion und zu Säkularisierung führen. Verdienst der Arbeit ist es aber vor allem, dass sie die Anfänge des schwedischen Diakonissenwesens und seine Ausgestaltung kompakt und fundiert aufarbeitet.
Beschäftigt sich das einleitende Kapitel ausführlich mit der Debatte um Säkularisierung und funktionale Differenzierung moderner Gesellschaften, so führt G. hier als Gewährsleute für seinen eigenen Standpunkt neuere Positionen an, die nicht mehr von einer Säkularisierung in modernen westlichen Gesellschaften im Sinne eines Verlusts religiöser Einflüsse sprechen, sondern von einer Pluralisierung, innerhalb der auch religiöse Standpunkte und Organisationen durchaus Positionen besetzten (u. a. Thomas Kselman, Jeffrey Cox, Hugh McLeod und Callum Brown), so dass religious decline kein kohärenter und somit zwangsläufiger Prozess von Modernisierung sei (vgl. 12).
In Schweden sieht G. vor allem die Entwicklung von der lutherischen Staatskirche zur Entstehung zahlreicher Freikirchen während des 19. Jh.s als Motor für einen Prozess religiöser Individualisierung und als erkennbaren Schritt hin zu einer Differenzierung von Religion und Kultur. Diese modifizierte Säkularisierungthese teilt G. jedoch nicht, sondern vertritt auch für Schweden die Position, dass es keinen zwangsläufigen Konnex zwischen Pluralismus und Säkularisierung gäbe, sondern dass es zu einem gesteigerten Wettbewerb der Deutungsangebote und ihrer Dienstleistungen käme, in dem sich gerade die schwedische Diakonie des 19. Jh.s gut behauptet hätte. Durchgängig mitreflektiert wird die wichtige Rolle, die das lutherische Frauenideal für diesen Prozess gespielt hat, in dem die Diakonie die Arbeit der diakonisch tätigen Frauen als eine Fortsetzung des lutherischen Oeconomia-Ideals in die Ge­sellschaft hinein verstand, als »extension of the household sphere« (23). Diese Konstruktion eröffnete langfristig eine Partizipation der Frauen auch in der Öffentlichkeit. Diese These ist auch in der deutschen Forschung breit diskutiert und meist bejaht worden.
Wie diese Diakonie entstand und wie ihre Dienstleistungen aussahen, das wird nun in den nächsten Kapiteln entfaltet. Dabei geht G. davon aus, dass es die weibliche Diakonie in Schweden war, die auf die fortschreitende funktionale Differenzierung der Gesellschaft erfolgreich reagierte und von ihr profitierte, insofern als sie konkrete Problemlösungen anbot. »The case of the female diaconate in Sweden clearly shows that religious organizations and personnel were not always victims of modernization; sometimes, they were beneficiaries of it.« (31)
Während das zweite Kapitel einen Überblick über die Entwick-lung des Diakonissenwesens in Schweden gibt, widmen sich die drei folgenden den hauptsächlichen Arbeitsfeldern der Diakonissen: Erziehung, Krankenpflege und Armenfürsorge. Das Überblickskapitel (2) zeigt die verschiedenen Einflüsse auf, die zur Entstehung der Diakonie in Schweden geführt haben: u. a. deutsche Einflüsse, wie Wicherns Programm der Inneren Mission, Amalie Sieveking und natürlich maßgeblich Theodor Fliedner, bei dem auch die erste Leiterin der Schwedischen Diakonissenanstalt Marie Cederschiöld ausgebildet wurde. Initialzündung für die Gründung der späteren Swedish Deaconess Institution, die 1851 eröffnet wurde, war allerdings wohl ein Bericht über die Straßburger Diakonissenanstalt (vgl. 38). Die Gründungsmitglieder kamen aus erweckten Kreisen, so dass das Verhältnis zur Church of Sweden in den ersten Jahren (1851–1861) distanziert war. In dieser ersten Phase war ein Schwerpunkt der Ausbildung und Tätigkeit der Diakonissen das schulische Lehramt, mit dieser Phase befasst sich Kapitel 3: Education. In der zweiten Periode von 1862 bis 1871 verbesserte sich das Verhältnis zur schwedischen Kirche dadurch, dass ein lutherischer Pfarrer derselben, Johan Chris­toffer Bring, Leiter der Anstalt wurde. Nun wurde der Einfluss der Erweckungsbewegung geringer, da Bring als Lutheraner Laienprediger und separatistische Tendenzen strikt ablehnte. Neben seiner Leitungstätigkeit war er selbstverständlich Pfarrer und damit Seelsorger der Schwestern. An seine Seite wurde eine neue Hausmutter, Clara Eckerström, gestellt. Die Ausbildung verlagerte sich unter seiner Ägide auf Gemeindediakonie und Krankenpflege, dem sich Kapitel 4: Health Care widmet. Bring stellte den Gemeindedienst in den Vordergrund, um damit den Kontakt zu seiner Kirche zu verstärken. Zwischen 1872 und 1901 wiederum lag der Akzent dann auf Krankenpflege und Armenfürsorge, die dezentral entweder in Armenhäusern oder in den Gemeinden erfolgte (vgl. Kapitel 5: Poor Relief).
G. konstatiert abschließend, dass das Institut als religiöse Organisation erfolgreich war und einen zentralen gesellschaftlichen Stellenwert für die Bereiche Erziehung, Krankenpflege und Armenfürsorge besaß. Letztlich wurde hier – genau wie dies in Kaiserswerth der Fall war – trotz eines Familienmodells, in dem die Diakonissen sich dem lutherischen Frauenideal fügen mussten, das ihnen nur sehr eingeschränkt eigenes Agieren erlaubte – der Weg in die öffentliche Arbeit und damit in die Emanzipation gebahnt.