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Ausgabe:

November/2013

Spalte:

1269–1270

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Plasger, Georg

Titel/Untertitel:

Glauben heute mit dem Heidelberger Katechismus.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012. 212 S. m. 1 Abb. Kart. EUR 19,99. ISBN 978-3-525-55044-1.

Rezensent:

Boris Wagner-Peterson

Der Siegener Ordinarius für Evangelische Theologie Georg Plasger stellt mit diesem Werk den Heidelberger Katechismus 1563 zu dessen 450. Jubiläum in diesem Jahr vor. Gleichzeitig bietet er damit einer theologisch interessierten Leserschaft eine Einführung in den christlichen Glauben anhand eines wirkungsreichen reformierten Dokuments. Insofern kann dieses Werk als Fortsetzung von »Jo­-hannes Calvins Theologie – Eine Einführung« verstanden werden, das P. zum Calvin-Jubiläum 2009 vorgelegt hatte (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008). In 14 Kapiteln führt P. in zentrale Themen der Glaubenslehre und Glaubenspraxis ein. Er expliziert darin jeweils ausgewählte Fragen des Heidelberger Katechismus, um den Katechismus als »Gesprächspartner« (11) für heute Glaubende zu profilieren.
Weithin steht die Reflexion der christlichen Lehrtradition im Vordergrund: Gotteserkenntnis (I), Bibel (II), Glaube (III), Sünde (IV), Soteriologie (V–VII), Schöpfung und Providenz (VIII), Pneumatologie (IX), Ekklesiologie (X), Sakramente (XI), Gebet (XII), Ethik (XIII) und Eschatologie (XIV). P. strebt keinen Katechismuskommentar an (12) und behandelt auch nicht alle Katechismusfragen. Er intendiert vielmehr einen Beitrag zur Entwicklung einer größeren Sprachfähigkeit gegenwärtiger Christen (9). Hierzu traut er dem Heidelberger Katechismus »Potentiale« (7) zu, sofern der Katechismus als Gesprächspartner gehört zu werden vermag. Damit dies gelingt, versucht P. durchgängig, die Kernentscheidungen des Heidelberger Katechismus auf ihre Gegenwartsrelevanz hin zu explizieren. P. ist sich dabei der Grenzen der Aktualisierbarkeit bewusst, wenn er etwa zeigt, dass das Sündenverständnis heute kaum noch unmittelbar plausibel zu machen ist (65–69). Hier wird die Gratwanderung seines Ansatzes deutlich: Einerseits soll der Heidelberger Katechismus in der Tiefe seiner theologischen Er­kenntnis angemessen gewürdigt werden, andererseits soll die Brücke zum gegenwärtigen Glauben – und Zweifeln – geschlagen werden. Besonders gut gelingt dies bei der Auslegung der Fragen 16–18 des Heidelberger Katechismus, die die Satisfaktionstheorie Anselms von Canterbury rezipieren. Wie in seiner Studie zu Anselm (Die Not-Wendigkeit der Gerechtigkeit, BGThMA NF 38, Münster 1993) zeigt P. auch hier, dass die Satisfaktionstheorie entgegen ihrer landläufigen Interpretation neu zu deuten und damit differenzierter zu bewerten ist (73–83).
Um mit dem Heidelberger Katechismus ins Gespräch über den »Glauben heute« (Titel) zu kommen, ist der Leser immer wieder gefordert, den Weg in den Verstehenshorizont des 16. Jh.s zurück-zulegen, um dann die Glaubensentscheidungen des Heidelberger Katechismus im Kontext der Gegenwart zu bedenken. Zum Verständnis des Heidelberger Katechismus innerhalb des 16. Jh.s bezieht sich P. im Wesentlichen auf Calvin und Luther. Dem primär systematisch-theologischen Zugang der Arbeit entsprechend erfolgt die Aktualisierung dann häufig mittels Gedanken von Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer und Jürgen Moltmann sowie niederländischer Ausleger des Heidelberger Katechismus. Außen vor bleibt der unmittelbare theologiegeschichtliche Kontext der Konfessionalisierungsepoche.
Dies wäre punktuell durchaus erhellend gewesen: Etwa bei der Begründung der Kindertaufe vom Bund Gottes her (163 ff.) hätte eine Bezugnahme auf Heinrich Bullingers Theologie aufgezeigt, dass Zacharias Ursinus als Verfasser des Heidelberger Katechismus hier keinen Alleingang gewagt hat, sondern von seinem Züricher Lehrer Bullinger geprägt war. Den Schritt vom Hören des »Ge­sprächspartners« Heidelberger Katechismus zur konkreten Umsetzung von dessen Positionen für den »Glauben heute« überlässt P. weitgehend dem Leser selbst. P. zeigt zwar eine hohe Sensibilität für gegenwärtige Entwicklungen in den evangelischen Landeskirchen Deutschlands, aber leider bringt er seine Beobachtungen nur zögerlich ein (etwa beim ekklesiologischen Kapitel X). Da der primäre Leserkreis im kirchlichen Umfeld zu suchen sein wird, wä-ren hier mehr Applikationen sicher wünschenswert gewesen. Das Werk bietet trotzdem eine gelungene Anleitung zur kritischen Selbstreflexion der eigenen Glaubensposition und -praxis, vor al­lem hinsichtlich deren theologischer Begründung.
Besonders überzeugend gelungen im Sinne des selbst gestellten Anspruchs ist Kapitel XII zum Gebet, in dem existenzielle Fragen des Glaubenslebens aufgegriffen werden und vom Heidelberger Katechismus her orientierende Antworten angeboten werden. P.s Werk ist der Versuch, den Heidelberger Katechismus zum Jubiläumsjahr nicht nur als historischen Text, sondern als glaubensstärkendes und orientierendes »Stück vorbildliche[r] Theologie« (212) ins Gespräch zu bringen.
Das Buch ist flüssig geschrieben, leicht lesbar und auch graphisch ansprechend gegliedert. Dem Werk ist über das Jubiläumsjahr 2013 hinaus ein breiter Leserkreis zu wünschen, der zum kri­-tischen Gespräch mit dem Heidelberger Katechismus bereit ist. Denn auch der Heidelberger Katechismus als Gesprächspartner beantwortet nicht alle Fragen, aber er regt zumindest zur Reflexion der oft gestellten Fragen zeitgenössischen Glaubens an.