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Ausgabe:

November/2013

Spalte:

1261–1263

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Hütter, Reinhard

Titel/Untertitel:

Dust Bound for Heaven. Explorations in the Theology of Thomas Aquinas.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2012. 521 S. Kart. US$ 50,00. ISBN 978-0-8028-6741-4.

Rezensent:

Ulrich G. Leinsle

Der Band des bekannten (seit 2004 katholischen) Theologen an der Duke Divinity School vereinigt unter systematischen Gesichtspunkten Aufsätze, die seit 2005 in Zeitschriften und Sammelbänden publiziert wurden (Nachweis: 493 f.), mit Erstveröffentlichungen. Zentrales Feld ist die theologische Anthropologie, in der Reinhard Hütter Thomas von Aquin nicht nur als »Doctor communis« der katholischen Kirche, sondern auch als Gesprächspartner der modernen, auch ökumenischen Auseinandersetzung ins Licht setzt und sich davon eine Erneuerung der Theologie verspricht (5). Zugleich versteht sich das Werk als Einführung in das Werk des Aquinaten, weshalb ausführliche Literaturhinweise zu den ein­-zelnen Teilen der Summa Theologiae beigegeben sind (21–23). Die Dringlichkeit einer Thomas-Rezeption will Kapitel 2 in der Dis­-kussion des Verhältnisses von Glauben und Wissen bei Thomas auf­-zeigen, wo vor allem die erkenntnistheoretischen und schöpfungsmetaphysischen Grundlagen herausgearbeitet werden, die als Alternative zum »postmetaphysical Zeitgeist – a repelling Janus-head of instrumental reason and ontological nihilism« (69) dargestellt werden. Dazu wird positiv auf die Enzyklika Fides et ratio Johan-nes Pauls II., einschließlich des dort postulierten »phi­-losophari in Maria«, Bezug genommen (70).
Die erstmals publizierten Kapitel 3 und 4 zeigen die anthropologischen Grundlagen auf, insbesondere Kapitel 3 als »Body Politics beyond Angelism and Animalism« in der richtigen Beziehung des postlapsarischen Menschen zu den Leidenschaften (75–101), während sich Kapitel 4 »Democracy after Christendom«, ausgehend von der nach Thomas auch nach dem Sündenfall gegebenen natürlichen Gottesliebe, mit der Rolle der ermöglichten öffentlichen Re­ligionsausübung in einem »genuine Liberalism« in Abhebung vom »mere Liberalism« und »sovereign secularism«, der die Religion strikt in den privaten Bereich abdrängt, beschäftigt (102–126).
Das in Kapitel 3 angeschlagene Thema der natürlichen Gottesliebe wird in den theologiegeschichtlich interessanten Kapiteln 5 und 6 in die thomistische Diskussion des 20./21. Jh.s eingebracht und zur Frage des natürlichen Verlangens nach der Gottschau erweitert. In Kapitel 5 steht die Auseinandersetzung zwischen »Nouvelle Théologie« (H. de Lubac) und »Palaeothomism«, fortgeführt in der Kontroverse zwischen Lawrence Feingold und John Milbank, im Mittelpunkt, nicht zuletzt in der Bestimmung des Übernatürlichen. Hier geht der Vf. auf die genuinen Thomas-Texte zurück und weist nach, dass Thomas von einer hypothetischen Möglichkeit einer »natura pura« ausgeht, analysiert genau das Verhältnis von »desiderium naturae« und »desiderium gratiae« und kann so zeigen, dass Thomas die einfache Alternative von »Extrinsecism« und »Intrinsecism« der Gnade überbietet (129–182). Kapitel 6 bringt dann – wieder in Auseinan­dersetzung mit der »Nouvelle Théologie« – in einer Relecture von Thomas die wichtigsten schöpfungsmetaphysischen, anthropologischen und gnadentheologischen Grundlagen der Lehre vom »de­siderium naturale« (183–246) und zeigt auf, dass »Henri de Lubac, with the thesis of a ›natural desire for the supernatural‹, overshot the goal« (246).
Die Gnadentheologie des Aquinaten ist auch Gegenstand des von der Kontroverse zwischen Erasmus und Luther um den freien Willen ausgehenden Kapitels 7 »Thomas the Augustinian« (249–282), wo der Vf. zeigen will, dass Thomas Augustinus richtigre­zipiert und interpretiert hat, in Abhebung von »the reductive alternatives of Erasmus’s theologically as well as Luther’s philo­-sophically erroneous Augustinianism« (252). Mit neueren Entwick-lungen beschäftigen sich dagegen die zu Kapitel 8 und 9 zu­sam­mengestellten Beiträge zur Enzyklika Spe salvi Papst Benedikts XVI. (283–312) und zur Organisation und Einheit der Theologie (313–346), wobei der Vf. sogleich als »an indisputable, albeit regrettable fact the pervasive fragmentation of contemporary Catholic theology« konstatiert (313). In Auseinandersetzung mit der historisch-hermeneutischen Ausrichtung der Methoden der Dogmatik von Walter Kasper (1967) und The Work of Theology von Francisco P. Muñoz (1953) plädiert der Vf. für eine Abkehr von der theolo­gischen Arbeitsteilung zwischen den in einer Universität nach Berliner Muster (»Berlin-type research university«) als einem Prokrustesbett etablierten Sektionen der biblischen, historischen, systematischen und praktischen Theologie und sieht das potentielle Ganze einer sapiential aufgefassten Theologie in einer thomistisch gesehenen Partizipation aller Teile. »But since the Procrustean bed has turned out to be the tomb of theology, a Thomistic effort at renewing the unity of sacred theology by retrieving its essential correlation of the supernatural faith would be nothing less than a proper Thomistic participation in the raising of the Lazarus of theology to the integral unity of a new and authentic life.« (346)
Dieser sapientiale Typ von Theologie (einschließlich der schon von Ockham u.a. kritisierten Subalternation der menschlichen Theologie unter eine »theologia Dei et beatorum«) wird dann in Kapitel 10 im Hinblick auf die für Thomas grundlegende Analogielehre weiter fundiert, hier in Auseinandersetzung mit Wolfhart Pannenbergs Habilitationsschrift Analogie und Offenbarung (1955) und Eberhard Jüngels Gott als Geheimnis der Welt (1977). Der Vf. arbeitet anhand der einzelnen Schriften des Aquinaten dessen Entwicklung in der Analogielehre und die einzelnen Typen von Analogie sehr klar heraus. Die weitere Interpretation, insbesondere bei Kant, Pannenberg und Jüngel, aber sei von Missverständnissen bzw. unbefragten empiristischen und sprachphilosophischen Voraussetzungen geprägt. Kapitel 11 unternimmt es, ausgehend von der Regensburger Rede Papst Benedikts XVI. (12. September 2006) in Auseinandersetzung mit Alasdair MacIntyre ( God, Philosophy, Universities, 2009) und Benedict M. Ashley (The Way toward Wisdom, 2006) die Bedeutung einer solchen Theologie für die Universitätskultur herauszustellen. Als »Postlude« wird schließlich in Kapitel 12 auf die aktuelle Bedeutung der Eucharistielehre des Aquinaten für die bleibende Gegenwart Christi in der Eucharistie und die Praxis der eucharistischen Anbetung außerhalb der Eucharistiefeier verwiesen.
Das Buch versteht sich durchgängig auch als Beitrag zur aktuellen Diskussion, ebenso im ökumenischen Kontext. Der Vf. kann dabei durchaus Alternativen zu der von ihm einseitig negativ gezeichneten kulturellen und intellektuellen Situation der Zeit aufzeigen. Ob es freilich genügt, eine solche Alternative nur zu postulieren, ohne in einen konstruktiven Dialog mit dem angeblich durch erkenntnistheoretischen Skeptizismus und ontologischen Nihilismus (36) gekennzeichneten »postmetaphysischen Zeitgeist« einzutreten, erscheint fraglich. Ebenso darf bezweifelt werden, ob die schon durch Zeitgenossen (z. B. Wilhelm de la Mare) kritisierte thomistische Auffassung der Theologie wirklich geeignet ist, die vom Vf. konstatierte »pervasive contemporary balkanization of theology into a host of largely heterogeneous inquiries« (16) zu beenden. Für das interkonfessionelle Gespräch will der Vf. das Denken des Aquinaten in lebhafter Auseinandersetzung mit evangelischen Theologen in zentralen Kontroverspunkten (Natur, Gnade, Willensfreiheit, Eucharistie/Abendmahl) fruchtbar ma­chen.