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Ausgabe:

Mai/1999

Spalte:

529–531

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Goertz, Harald:

Titel/Untertitel:

Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt bei Luther.

Verlag:

Marburg: Elwert 1997. XIV, 359 S. gr.8 = Marburger theologische Studien, 46. Kart. DM 58,-. ISBN 3-7708-1090-2.

Rezensent:

Hans-Martin Kirn

Die bei W. Härle erstellte Heidelberger Dissertation von H. Goertz - aus einer von der Luther-Gesellschaft 1995 preisgekrönten Arbeit hervorgegangen - setzt sich "die systematische Rekonstruktion der Lehre Luthers vom Allgemeinen Priestertum und vom ordinierten Amt einschließlich ihrer gegenseitigen Bezogenheit aufeinander" zum Ziel (28). Ausgangspunkt ist die im Verlauf der Untersuchung verifizierte These, daß die entscheidenden Momente von Luthers Amtsverständnis erst mit seiner Ende 1519/Anfang 1520 vorliegenden Anschauung vom Allgemeinen Priestertum gegeben sind und sich fortan - von Akzentverschiebungen abgesehen - auch nicht mehr geändert haben. Historisch-genetische Ausdifferenzierungen der Themen Amt und Allgemeines Priestertum wie in den Arbeiten von J. Aarts und W. Stein aus den siebziger Jahren erweisen sich demnach als systematisch unergiebig.

Der forschungsgeschichtliche Überblick des ersten Kapitels führt in die um die Mitte des 19. Jh. entstandene Grundlagendiskussion um die Begründung des Amtes und sein Verhältnis zum Allgemeinen Priestertum ein. Die beiden Hauptrichtungen, die sich hier ausgebildet haben, bestimmen die Diskussion bis in die Gegenwart: Die zuerst von F. J. Stahl vertretene sog. Stiftungstheorie, wonach das ordinierte Amt unabhängig vom Allgemeinen Priestertum als direkte Stiftung Gottes anzusehen ist, und die von J. W. F. Höfling begründete sog. Übertragungstheorie, derzufolge bei Luther nur von einer göttlichen Stiftung des allgemeinen geistlichen Amts als Funktion, nicht aber als Institution die Rede sein kann. Mithin kommen dem ordinierten Amt keine besonderen (Standes-)Vorrechte gegenüber dem Allgemeinen Priestertum zu. "Übertragen" im Sinne von delegiert wird die innerkirchlich-öffentliche Dienstausübung. Trotz seiner quellennahen Lutherinterpretation fand Höfling in der Forschung nur unzureichend Beachtung, was mit zum disparaten Forschungsstand beigetragen hat: Ob nun von einer "doppelten Begründung des Amtes" gesprochen (H. Lieberg), ein Bruch oder ein Wandel in Luthers Auffassung vom Allgemeinen Priestertum gesehen (K. P. Voß, H.-M. Barth) oder der Stiftungsgedanke von Luthers Ständelehre her gefaßt und das Allgemeine Priestertum auf die Innerlichkeit beschränkt wird (so zuletzt J. Freiwald). Als terminologisches Hauptproblem erweist sich dabei der äquivoke Gebrauch des Amtsbegriffs.

Um der damit gegebenen Sprachverwirrung abzuhelfen, werden im zweiten Kapitel metaphorologische und sprechakttheoretische Überlegungen eingeführt und zur sinnvollen Gliederung des Stoffes nutzbar gemacht. In Aufnahme der Metapherntheorie von P. Michel wird der grundlegend metaphorische Charakter der Rede vom Allgemeinen Priestertum bei Luther herausgearbeitet.

Bleibt im Blick auf den römischen Amtspriester ein wörtlicher Gebrauch des Priesterbegriffs bestimmend, so anerkennt Luther aufgrund seiner Bibelexegese nur den übertragenen Gebrauch im Sinne eines allen Christen als solchen zukommenden Priestertums unter dem Hohepriester Christus. "Priestersein" und "Christsein" treten sprachlich parallel auf und meinen inhaltlich dasselbe. Hinsichtlich des intensionalen Gebrauchs des Priesterbegriffs ist bei den vier verschiedenen Priesterfiguren, auf die sich Luther als Bildspender bezieht (Levit, Melchisedek, Christus, römischer Amtspriester) zwischen der Priesterwürde und dem Priesterdienst zu unterscheiden. Erstere bezieht sich auf die Grundstellung vor Gott, letzterer funktional auf die Trias Opfer, Fürbitte und Predigt. Beide spiegeln die Fundamentalunterscheidung von rechtfertigendem Glauben und der Liebe bzw. den guten Werken des Gerechtfertigten. Weitere Differenzierungen ermöglicht die Sprechakttheorie, die zur Unterscheidung von doxologischen, paränetischen und polemischen Funktionen in der Rede vom Allgemeinen Priestertum anleitet.

Nach dieser Grundlegung entfaltet das dritte Kapitel die Begründung der priesterlichen Würde des Christen bei Luther vom Hohepriestertum Christi her, und zwar nach den Aspekten Person und Dienst. Hier stehen neben Christi Selbstopfer, das allen Opferkult beendet und auch die Opfermetaphorik an ihre Grenzen führt, die fortdauernde priesterliche Fürbitte für die Gläubigen und die Evangeliumsverkündigung im Mittelpunkt (Christus als Subjekt der Predigt).

Das folgende Kapitel thematisiert eingehend den Sprach- und Sachgehalt der Rede vom Priestertum der Christen in doxologischer, paränetischer und polemischer Hinsicht. Der von Luther in diesem Zusammenhang betonte Aspekt der Würde kommt besonders im paränetischen Gebrauch der Priestermetapher zur Geltung.

Dies gilt für die direkte und unvermittelte Gottesgemeinschaft, die einzig und allein im Rechtfertigungsgeschehen begründet liegt. So kann gerade der Glaube als priesterliches "Amt" vor Gott gefaßt werden. Der Priesterdienst im eigentlichen Sinn vollzieht sich in der Sorge um das Heil des Nächsten: Vor Gott in der priesterlichen Fürbitte als Glaubenshilfe, vor den Menschen in der priesterlichen Predigt, die alle Formen des Christuszeugnisses, also auch Beichte und Seelsorge, umschließt. Was als polemische Funktion der Priestermetapher - besonders in kritischer Wendung gegen das römische Amtspriestertum - vorgestellt wird, bezieht sich hinsichtlich des Würdeaspekts auf die Gleichheit aller vor Gott und hinsichtlich des Dienstaspekts auf die prinzipiell gleiche Vollmacht aller zum Dienst an Wort und Sakrament. Diese Vollmacht ist in ihrem umfassenden Charakter in der Einheit des Dienstes an dem einen Wort Gottes begründet, Einschränkungen auf den Privatbereich oder die Innerlichkeit sind nicht zulässig. Auch die bekannte Rede vom "fröhlichen Wechsel" in der Freiheitsschrift verweist auf die Identität von Priester- und Christsein.

Von der so betonten Allgemeinheit der Vollmacht her stellt sich schließlich die Frage nach dem ordinierten Amt (Kap. 5). Dieses erfährt bei Luther keine Sonderbegründung abgesehen vom allgemeinen Priestertum, sondern wird als dessen notwendige Konsequenz verstanden. Gerade weil von einer göttlichen Stiftung des Amtes nur im Blick auf den der Gesamtheit der Gläubigen übertragenen Dienst geredet werden kann, braucht es für den öffentlichen Vollzug dieses Dienstes das ordinierte Amt. Nur so ließen sich konkurrierende Ansprüche auf die potestas verbi verhindern. Das bekannte Ordnungsargument wird dabei eng in den theologischen Gesamtzusammenhang eingefügt.

Die Berufung in den öffentlichen Dienst an Wort und Sakrament bedeutet somit nicht die Ausstattung mit bestimmten Vollmachten, sondern allein die Delegation bestimmter Zuständigkeiten, die in Stellvertretung der nichtordinierten Gemeindeglieder ausgeübt werden, hat also rein funktionalen Charakter. Dies gilt auch für das Bischofsamt, das Luther im Gegensatz zum römischen Weiheordo als reines Aufsichtsamt in stellvertretender Funktion versteht. Einzelnen Aussagen Luthers zur "göttlichen Ordnung" des Amtes kommt nach Goertz keine Relevanz auf der Begründungsebene zu, sie sind vielmehr seelsorgerlich-praktisch motiviert, um die Akzeptanz des Amtes zu stärken.

Im Blick auf die Frauenordination, die Luther wiederholt angesprochen hat, fehlt allerdings die von der Allgemeinheit der Vollmacht her theologisch gebotene Konsequenz, da er eine Berufung von Frauen in das ordinierte Amt ablehnt - doch dies "lediglich" aus praktischen, anthropologischen und ethischen Gründen.

Folgerichtig wird zum Abschluß auch Luthers Verständnis der Ordination in den dargelegten Gesamtrahmen der Rede vom allgemeinen Priestertum eingezeichnet: Als liturgisch und kirchenrechtlich institutionalisierte Konkretion des grundsätzlich der Gemeinschaft zustehenden, aber an kirchenleitende Instanzen delegierten Berufungsgeschehens (Kap. 6). Da allein Ordnungs- und Organisationsaspekte entscheiden, spricht nichts gegen die prinzipielle Möglichkeit einer Wiederholung. Der zentrale Ritus der Handauflegung wird dabei zwar als liturgisch angemessen, aber keineswegs als notwendig betrachtet.

Insgesamt liegt hier eine überzeugende Arbeit zur systematischen Rekonstruktion des Themas vor. Sie empfiehlt sich insbesondere durch eine gründliche Argumentation, ausführliche Quellenbelege und nicht zuletzt dadurch, daß sie der ökumenischen Diskussion eine Aufgabe stellt. Zu wünschen bleibt, daß sie auch zu einer umfassenderen historischen Rekonstruktion des Themas anregt und die diesbezügliche Wahrnehmung des vortridentinischen Katholizismus wie der sog. radikalen Reformation differenzierter wird.

Zum näheren Verständnis vom Amt Christi bei Luther sei abschließend noch auf die ausführliche Studie von Karin Bornkamm, Christus - König und Priester ... (BHTh 106), Tübingen 1998, hingewiesen.