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Ausgabe:

November/2013

Spalte:

1248–1250

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Hein, Markus [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Herbergen der Christenheit. Jahrbuch für deutsche Kirchengeschichte. Bd. 34/35 (2010/2011).

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013. II, 314 S. m. Abb. = Beiträge zur Kirchengeschichte, 34/35. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-374-03030-9.

Rezensent:

Gert Haendler

Der Bericht von Armin Rudolph »Wüstungskirchen in Nordwestsachsen« betrifft etwa 40 Grabungen im Großraum Leipzig mit Zeichnungen und Fotos. Auch Bernd Stephans Arbeit »Die erzgebirgischen Wehrkirchen im Kontext ihrer Erbauungszeit« bringt eindrucksvolle Abbildungen, Hauptmotiv für die Bauten war die Angst vor den Hussiten (33–91). Reiner Krziskewitz stellt Christian Gerson vor, der als Konvertit 1607 das Buch verfasste »Der Jüden Talmud fürnehmster Inhalt und Widerlegung« (100). Bogislav Bu­randt schreibt über Christian Scriver und die Frage nach »Erbauung«. Scrivers »Schatzkästlein« enthielt den Begriff Erbauung kaum, da­für verwendete er meist das Wort »Wachstum«. Erst rund 30 Jahre später in einer Neuausgabe des Schatzkästleins 1723 kommt der Begriff »Erbauung« häufiger vor. Unter dem Zitat »Aufschieben war seine Sache nicht« berichtet Malte von Spankeren über den Aufklärungstheologen Johann Salomo Semler in den Augen seines Schülers Johann August Nösselt. Der Schüler verteidigte seinen Lehrer gegen alle Angriffe – sogar 1788, als Semler dem Religionsedikt Wöllners zustimmte (140).
Eberhard Winkler informiert über »Die Tagebücher eines sächsischen Bauern 1886–1946«: Der Kriegsausbruch 1914 wurde als Gottesgericht empfunden, die Warnung »Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten« zieht sich »wie ein Refrain durch die Tagebücher« (146). Der Verfasser beobachtete »seine Welt in dramatischen Zeiten aufmerksam mit einem im evangelischen Glauben ge­schärftem Blick« (156). »Von der Volkskirche zur Bekenntniskirche« nennt Otto Dahn seinen Bericht über den Greizer Kirchenkampf. In der reußischen Kirche herrschten seit Juli 1933 die DC, die die kleine Kirche in die neue Thüringer Kirche eingliedern wollten. Dem widerstand Oberkirchenrat Titus Reuter, bis er 1939 entlassen wurde (157–174). Ähnlich war der Hintergrund für die Arbeit von Eberhard Gresch »Bekenntnispfarrer Richard Zitzmann (1892–1981). Seine Vertreibung aus der Evangelisch-reformierten Gemeinde Dresden«. Zitzmann war mit einer Halbjüdin verheiratet, in Dresden war er umstritten, von außerhalb unterstützten ihn u. a. Martin Albertz, Wilhelm Niesel und Karl Immer. Ab 1935 leitete er in Dresden eine oppositionelle Reformierte Bekenntnisgemeinschaft, 1938 wurde er Pfarrer in Berlin. Es gab keine Versöhnung mit der Evangelisch-reformierten Gemeinde Dresden (194). Konstantin Her­mann berichtet über den Notbundpfarrer Walter Adam in Frau­enstein 1933–1937, den Hugo Hahn als »Kavallerist unserer Bekennenden Kirche« bezeichnet hatte (212). Dieses Bild erscheint zutreffend: Schon 1931 hatte Adam Streit mit der NS-Frauenschaftsführerin wegen der Rolle der Juden. Nach 1933 wurde er mehrfach abgesetzt, kurzfristig verhaftet, dann wieder eingesetzt. 1937 wurde Adam nach Dresden versetzt und 1939 eingezogen, er starb 1951.
Auf einem Symposion der Pommerschen Evangelischen Kirche und der Universität Greifswald erinnerte Friedrich Winter an Bi­schof Friedrich-Wilhelm Krummacher, dessen Predigttätigkeit 1955–1972 er nachgeht. Neben pommerschen Details bringt er auch ökumenische Gesichtspunkte ein (220 f.). Siegfried Bräuers Beitrag »Der TARF« trägt den Untertitel: »Von seiner ›spontanen Entstehung‹ bis zum Anfang der siebziger Jahre«. Die staatliche Lutherhalle Wittenberg sollte 1967 einen neuen Leiter und damit verbunden eine neue »progressive« Ausrichtung erhalten. Bräuer zeigt, dass vor allem Kirchenpräsident Hildebrandt dagegen kämpfte und dazu einen »Ökumenischen Freundeskreis« ins Leben rief, den es dann in Schweden und Finnland gab und den Hildebrandt als Argument in der DDR nutzte. In dem Zusammenhang wurde in der DDR im März 1970 der TARF (Theologischer Arbeitskreis für reformationsgeschichtliche Forschung) begründet, zu dem von Anfang an Theologen aus Schweden gehörten (248). Klaus Fitschen nennt in seinem Überblick »Zwanzig Jahre danach« eine Fülle von Darstellungen über die »Friedliche Revolution« und die Kirchen. Neben persönlichen Darstellungen stehen Sammelbände mit verschiedenen Standpunkten. Das reicht von Martin Jankowski, für den »die entscheidende Bewegung nicht in der Kirche, sondern auf den Straßen davor stattfand« (261), bis zu Josef Pilvouseks Worten: »Engagierte katholische Christen an der Basis […] leisteten ohne konfessionellen Neid einen Beitrag zur ›Protestantischen Revolution‹« (263).
Ein Nachruf von Michael Beyer »Helmar Junghans zum Ge­dächtnis« sowie Berichte aus den Regionen (275–282) und 15 Buchbesprechungen beschließen den inhaltreichen Band.