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Ausgabe:

November/2013

Spalte:

1242–1243

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Heinrich-Tamáska, Orsolya, Krohn, Niklot, u. Sebastian Ristow[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Christianisierung Europas. Entstehung, Entwick-lung und Konsolidierung im archäologischen Befund. Chris­tianisation of Europe: Archaeological Evidence for it’s Creation, Development and Consolidation. Internationale Tagung im De­zember 2010.

Verlag:

Regensburg: Schnell & Steiner 2012. 518 S. m. zahlr. Abb. u. Ktn. Geb. EUR 59,00. ISBN 978-3-7954-2652-1.

Rezensent:

Herwig Wolfram

Im Dezember 2010 fand in Bergisch-Gladbach bei Köln eine internationale Tagung statt, auf der 28 vorwiegend archäologische Fachleute der jüngeren Generation aus weiten Teilen Europas die auf dem Boden ihrer Heimatländer erforschten Grabungsbefunde zum Thema präsentierten. Die Initiative ging von den Herausgebern aus, die an den Archäologischen Instituten der Universitäten Freiburg und Köln sowie am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig (GWZO) beheimatet sind. Das GWZO, das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das Erzbistum Köln und der Verlag Schnell & Steiner waren die wesentlichen Förderer des Unternehmens (10). Die Tagung wurde zwar »zu keiner Zeit von national motiviertem Denken beeinflusst« (10), dass aber die Beschränkung auf die »modernen Ländergrenzen«, die der aktuellen »europäischen Forschungslandschaft« entspricht, in Zukunft zu über­-winden sei, war den Herausgebern bewusst (9) – ebenso, dass der nächste Schritt zur Erforschung der Christianisierung Europas der interdisziplinären Zusammenarbeit bedarf (9).
Die Perlenkette der behandelten Themen reicht von Irland bis ins Baltikum, vom Balkan über Rom nach Spanien, von der Krim bis Skandinavien und von Zypern bis Russland. Die einzelnen Beiträge können freilich hier unmöglich entsprechend gewürdigt werden, zumal dem Rezensenten auch für manche Gebiete die Fachkompetenz fehlt. Daher soll vor allem das für den mittleren Donau- und Ostalpenraum Gebotene ausgewählt und besprochen werden.
Franz Glaser stellte die großen Erfolge der archäologischen Forschung im Bereich des binnennorisch-karantanischen Raums zusammenfassend dar (121–140). Er behandelte die Kontinuitätsfrage besonders am Beispiel des ehemaligen Klosters Molzbichl, wo der spätantike Heilige Nonnosus noch im 8. Jh. verehrt wurde (137).– Für das bayerisch-rätisch-ufernorische Gebiet stellte Niklot Krohn bloß eine allgemeine Zusammenfassung zur Verfügung. Die Kritik an der archäologischen Forschung, sie habe sich zu sehr der »geisteswissenschaftlichen Nachbardisziplinen bedient«, entspricht den im Freiburger Institut vertretenen methodischen Vorgaben (vgl. dazu 95 f. mit »Die Anfänge Bayerns, 2012«). Diese haben zwar sicher ihre Berechtigung, führen aber in letzter Konsequenz zum Abbruch des Dialogs zwischen den archäologischen und den historisch-philologischen Partnern. Jedenfalls klafft im vorliegenden Band ein mitteleuropäisches Loch, das aber von vier behandelten Regionen umrahmt wird. Guido Faccani untersucht die Chris­tianisierung des heute Schweizer Territoriums und streift dabei auch kurz das frühe Churer Bistum (118), das für die Raetia I entscheidende Bedeutung gewann und das Zentrum eines Kirchenstaates wurde, der die Spätantike erst in der Karolingerzeit en-den ließ. – Orsolya Heinrich-Tamáska liefert auf archäologischer Grundlage einen dankenswert gut strukturierten Überblick über die Entwicklung des pannonischen Christentums, das von den Hunnen über die Awaren bis zu den Ungarn dreimal schwere Einbußen erleiden musste und dennoch nicht völlig verschwand (213–237). Allerdings war eine Mission des awarisch-slawischen Commonwealth erst im zu Ende gehenden Awarenreich möglich, weil die awarische Identität, wie Walter Pohl sehr wahrscheinlich ge­macht hat, mit dem heidnischen Khaganat verbunden war.
Den Beitrag von Hana Chorvátová findet der Rezensent deswegen lobenswert, weil die Autorin den Spuren des großmährischen Fürstentums sowohl in Mähren wie in der Slowakei nachgeht (239–260) und den Bogen von Mikulčice und Pohansko bis zu den Burgen von Devín und Bratislava (bes. 246) spannt. Sehr wichtig ist auch ihre Einsicht, dass die großmährischen Kultstätten des 9. Jh.s nach einer– wohl durch den Ungarneinfall bewirkten Unterbrechung – bald wieder aufgesucht, aufgebaut, ja ausgebaut wurden. Entfernt Vergleichbares geschah in der slawischen Befestigungsanlage von Gars-Thunau am niederösterreichischen Kamp, wo eine Kirche stand, die um 950 zerstört wurde. Einige Zeit später bestatteten dort die Frauen ihre totgeborenen oder früh verstorbenen ungetauften Kinder. – Den Kreis schließt Petr Sommer mit der Darstellung des Christentums im »frühen böhmischen Staat« (261–273), dessen Geschichte der Autor weniger archäologisch als historisch behandelt.
Ohne in die wieder aufgeflammte Kontroverse eingreifen zu wollen, ob der Staatsbegriff für das Mittelalter brauchbar ist oder nicht, würde der Rezensent von keinem böhmischen Staat vor 1050 sprechen, weil stát und Staat nicht ganz dasselbe bedeuten. Aber wie immer man auch das böhmische Regnum be­nennt, die Bedeutung des heiligen Wenzel für seinen Ausbau und Fortbestand ist jenseits allen Zweifels. Im Anschluss daran und im Vergleich mit dem binnennorisch-karantanischen Nonnosus soll der Versuch unternommen werden, das mitteleuropäische Loch historisch zu füllen: In Mais bei Meran ging der Kult des heiligen Valentinus im Frühmittelalter nicht unter, ob er mit dem gleichnamigen Bischof der Räter, den die Vita Severini nennt, zu identifizieren ist oder nicht. In Augsburg wurde die Memoria an die Märtyrerin Afra, die der diokletianischen Verfolgung zum Opfer fiel, unvermindert hochgehalten. Dieselbe Verfolgung kostete Florian um 305 das Leben. Er erlitt das Martyrium, indem er in die Enns gestürzt wurde, wo der Kult des heiligen Florian bis heute Bestand hat. Das bekannte Augustinerstift trägt seinen Namen. Im Salzburger Pongau/Bischofshofen blieb die Erinnerung an den heiligen Maximilian lebendig. Demnach erhielt sich die Verehrung der vier spätantiken Heiligen bloß an den bayerischen Grenzen, an der oberen Etsch-Grenze zu den Langobarden, am Lech zu den Alemannen, an der Enns zu den Awaren und im Pongau zu den Alpenslawen. Es waren Romanen, die hier Maximilian »fanden«. Andrerseits gibt es keine vergleichbare Kulttradition an der bayerischen Nordgrenze im Raum um Regensburg und Straubing, obwohl auch hier Christen das Martyrium erlitten. Schließlich wären noch die heiligen Marinus und Anianus zu nennen, die auf dem Irschenberg bis heute verehrt werden. Außerdem gibt es den Anianus-Kult in der Kirche von Irschenhausen. Beide Orte sind romanisch nach einem Ursus benannt.
Schließlich seien noch drei Beiträge hervorgehoben: die Untersuchung des gallisch-germanischen Befundes durch Sebastian Ristow wegen seiner positiven Beispielwirkung (73–94), die treffliche Präsentation des baltischen Materials durch Marcus Wüst wegen des un­gemein späten Abschlusses der Christianisierung (483–496) und die irische Untersuchung der jüngsten archäologischen Befunde durch Raghnall Ó Floinn (11–35) wegen der Bedeutung des »grünen Martyriums« irischer Mönche für das mitteleuropäische Christentum. Vor allem ist F. zuzustimmen, wenn er vergleichende Studien für andere städtelose Gebiete verlangt (34). Dafür könnte Kappadokien genommen werden, woher die Vorfahren Wulfilas ka­men, der selbst zum Bischof für das gotische Land und für keine Stadt geweiht wurde. Das Gleiche gilt für irische Glaubensboten im Donau- und Ostalpenraum. Fazit: Der Band bildet eine gelungene Synthese; einzelne »Löcher« werden sicher in Zukunft geschlossen werden.