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Ausgabe:

Mai/1999

Spalte:

527–529

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Calvin, Ioannis

Titel/Untertitel:

(1) Opera Omnia. Series II: Opera Exegetica Veteris et Novi Testamenti. Vol. XI/2: In Evangelium Secundum Johannem Commentarius Pars Altera. Ed. H. Feld. XXII, 418 S.
(2) Series III: Scripta Ecclesiastica. Vol. I: De Aeterna dei Praedestinatione. De la predestination eternelle. Ed. W. H. Neuser.

Verlag:

Texte français par O. Fatio. XLIV, 279 S. Genf: Droz 1998. gr.8. ISBN 2-600-00283-9 u. 2-600-00296-0.

Rezensent:

Joachim Rogge

"Eine ganze Reihe international anerkannter Calvinforscher hat es unternommen, alle Werke des Genfer Reformators erneut (denuo), versehen mit einem allen modernen Editionskriterien gerecht werdenden textkritischen Apparat, herauszubringen." So war in der ThLZ erstmalig (120, 1995, 1097 f.) darüber berichtet worden, und zwar aus Anlaß des Erscheinens des Kommentars zum 2. Korintherbrief. Inzwischen wurden weitere Opera Exegetica ediert (s. dazu die Rezensionen in ThLZ 122, 1997, 930 f. u. 123, 1998, 167 f.).

Nach dem ersten Kommentarteil zum Johannesevangelium, der die Kapitel 1-8 umfaßt, legt derselbe Herausgeber, Helmut Feld, jetzt die Kapitel 9-21 vor. Obwohl Widmungen im allgemeinen nicht Gegenstand von Rezensionsbemerkungen sind, ist in diesem Falle wohl erwähnenswert, daß Feld in einer mehrzeiligen Dedikation die Verdienste Wilhelm H. Neusers um die Calvinforschung, speziell auch um die jetzt im Erscheinen befindliche Ausgabe, würdigt. Man darf hinzufügen, daß seit 1974 die internationalen Calvin-Congresse, die die Brunnenstube für die "Opera Omnia denuo recognita" gebildet haben und bilden, wesentlich durch Neuser wurden, was sie sind. Feld stellt sachlich korrekt fest: "Die kritische Edition der Werke des Genfer Reformators, die auf dem Kongreß in Debrecen (Ungarn) im Jahr 1986 beschlossen wurde, hat er als Moderator betreut" (IX).

Der Herausgeber läßt deutlich erkennen, welches Konsortium von Wissenschaftlern, Institutionen und sonstigen Förderern hinter dem jetzt herausgebrachten Band steht. Das alles bedarf schon deshalb der Erwähnung, weil es die Voraussicht rechtfertigt, daß die Reihe zügig und qualitätsvoll fortgesetzt wird.

Die "Einleitung" bedarf keines besonderen Referats, weil sie im wesentlichen - bis auf einzelne Zusätze und Auslassungen - noch einmal bringt, was schon in einem kleinen Separatum einem der zuvor erschienenen Bände als "Editionsgrundsätze für die lateinischen Calvintexte" beigelegt worden ist. Nachträge zur Bibliographie sind dem Kommentartext vorangestellt (XVIII-XXII). Nach dem Textabdruck erschließen vier Register das Kommentarcorpus (Bibelstellen, Personennamen, moderne Editoren, sachlich wichtige lateinische Begriffe). Jeder systematisch Suchende und Arbeitende hat hier eine Fundgrube für die maßgebliche lateinische Terminologie Calvins (331-418!).

Zur Theologie, speziell zur Christologie, des Johannes-Kommentars hatte Feld das Erforderliche in der Einleitung zum ersten Teil ausgeführt (s. ThLZ 122, 1997, 931). Der nun veröffentlichte zweite und letzte Kommentarteil rechtfertigt erneut die Feststellung: Wir haben hier "ein wichtiges Stück reformatorischer Theologie in ansprechender Editionsweise vor uns" (a. a. O.).

Fast gleichzeitig mit der Komplettierung des Johannes-Kommentars kam ein erster Band der Kirchenschriften Calvins (Series III) heraus, bearbeitet von Wilhelm H. Neuser in Verbindung mit Olivier Fatio, der den französischen Textteil verantwortet. - Es handelt sich um Calvins Schrift über die ewige Prädestination Gottes, zuerst erschienen 1552. Die lateinische Fassung ist mit Sicherheit vom Genfer Reformator verfaßt, mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die französische Version. Fatio meint dazu: "... le lecteur averti y retrouvera sans peine le style et la main de Calvin" (XXIV).

Jeder Calvinkenner wird die monothematische Schrift mit besonderem Interesse zur Kenntnis nehmen, weil sie eine der Zentrallehren des Reformators enthält, die in der reformatorischen, auch in der reformierten Theologie viele Kontroversen ausgelöst hat.

Neuser macht in einer differenzierenden Einleitung mit den Gegnern Calvins bekannt, die sich auch in Genf selbst zu Wort gemeldet hatten. Den Karmelitermönch und späteren Arzt Jérôme Bolsec, den niederländischen katholischen Propst Albertus Pighius, den Benediktiner Georgius Siculus sowie Basler, Berner und Zürcher reformatorische Theologen, also Vertreter sehr verschiedener theologischer Auffassungen, sah Calvin als seine Kontrahenten.

Nach mehreren Angriffen "wählt sich Calvin nun Pighius zum Hauptwidersacher; er ist der klardenkendste seiner Gegner, mit ihm spricht er die gleiche theologische Sprache und in der Auseinandersetzung mit ihm trifft er die gesamte katholische Schultheologie" (XIV; s. dazu auch LThK2, 8, 502). Neuser charakterisiert aber auch die anderen Widersacher Calvins in ihren Grundpositionen, so daß das Profil der gegenteiligen Meinungen klar erkennbar wird. Es ist dabei offensichtlich, daß auch die Theologen der reformatorischen Hauptstädte in der Schweiz, also Myconius, Bullinger, Sulzer und andere, nicht bereit waren, Calvin in allen seinen Argumenten zu folgen, besonders nicht was sein Verständnis der doppelten Prädestination zum Guten und Bösen betraf, selbst wenn die Erwählungslehre im allgemeinen akzeptiert wurde (XVII). Die Enttäuschung Calvins über die Schweizer Reformatoren drückte sich mehrfach aus, verunklarte sich für sein Urteil doch das Gegenüber zwischen reformatorischer und katholischer Theologie. Es sah so aus, als käme es "zu einer gemeinsamen Front der genannten deutschschweizer Theologen und der katholischen Gegner Calvins" (XVII f.).

Da außer den vielen beteiligten Theologen aus verschiedenen Lagern auch der Rat der Stadt Genf u. a. wegen der zu erteilenden Druckerlaubnis involviert war, ist Calvins Schrift alles andere als nur das Votum eines einzelnen zu einer speziellen Frage. Selbst der Nachfolger Calvins, Theodor Beza, riet bei aller Akzeptanz des Duktus der Prädestinationstheologie zur Dämpfung der Polemik gegen den inzwischen verstorbenen Pighius (XX).

Die Gliederung läßt die Gegnerschaft Calvins noch deutlich erkennen. Im Zentrum der Ausführungen stehen die klassischen Bibelstellen zur Prädestination und dazu Augustins Stellungnahme zur doppelten Prädestination. Neuser kennzeichnet in hilfreicher Übersicht das Gesamtkonzept der Schrift (XX-XXIII) und schafft dadurch einen auch partiellen Einstieg in Calvins Ausführungen. Die auffallende Häufung der Bibelstellen soll dazu führen, keine Spekulation zuzulassen, "sondern Glaubensgewißheit aus der Prädestination" heraus zu verstehen (XXI u. 18,4-20,26).

Calvin schließt, wie immer, mit dem Lob Gottes, "qui prae-destinavit nos in adoptionem per Iesum Christum in se ipso, secundum beneplacitum voluntatis suae, in laudem gloriae gratiae suae, qua nos gratos habuit in Dilecto" (270,11-14). So ist dem Reformator auch die doppelte Prädestination zum Guten und Bösen nichts anderes als der bleibende Ausdruck für Gottes Liebe in Christus.

Es versteht sich, daß Calvins Programmschrift zu einem der schwierigsten Sachverhalte der Theologiegeschichte eine "Nachgeschichte" hatte (XXIV-XXVII). Auch sie trägt in Zustimmung und Ablehnung dazu bei, eine Präzisierung der Fragestellung zu erreichen, die Calvins Schrift in sich für jede künftige Ausprägung reformatorischer Theologie schon bedeutet hat.

Selbstverständlich registriert der Herausgeber die vorangegangenen Ausgaben der Schrift, ihre Quellen, worunter Augustin außer der Bibel am häufigsten erscheint, ihre Nachdrucke und Übersetzungen. Neuser selbst hat 1998 eine Übersetzung vorgelegt: "Von der ewigen Vorherbestimmung Gottes. Übereinkunft der Pastoren zu Genf, entworfen von Johannes Calvin", Düsseldorf 1998 (XXIX). Wie in den anderen Bänden der Werkausgabe sind am Schluß wieder Bibelstellen, Namen und sachlich häufig begegnende lateinische - leider nicht französische - Begriffe registermäßig erfaßt.

Im ganzen hat man ein klassisches Werk reformatorischer Theologie in hervorragender Editionsqualität vor sich, das die Ausgabe im Corpus Reformatorum - deren Seitenzahlen übrigens hier angemerkt sind - in vieler Hinsicht ablösen kann. Dafür gilt beiden Bearbeitern angemessener Dank!