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Ausgabe:

November/2013

Spalte:

1230–1232

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Loader, William

Titel/Untertitel:

The New Testament on Sexuality.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2012. 575 S. Kart. US$ 65,00. ISBN 978-0-8028-6724-7.

Rezensent:

Eckart Reinmuth

William Loader, emeritierter Neutestamentler der Murdoch University im westaustralischen Perth und Pfarrer der Uniting Church in Australia, hat mit dieser Veröffentlichung ein großes Forschungsprojekt zum Abschluss gebracht, das unter dem Thema »Attitudes towards Sexuality in Judaism and Christianity in the Hellenistic Greco-Roman Era« von 2005–2010 als Professorial Fellowship Project durch das Australian Research Council (ARC) gefördert wurde. Aus diesem Projekt sind vor Erscheinen der vorliegenden Monographie bereits vier wichtige Werke hervorgegangen:
Philo, Josephus, and the Testaments on Sexuality: Attitudes towards Sexuality in the Writings of Philo, Josephus, and the Testaments of the Twelve Patriarchs (2011; vgl. ThLZ 137 [2012], 656); The Pseudepigrapha on Sexuality: Attitudes towards Sexuality in Apocalypses, Testaments, Legends, Wisdom, and Related Literature (2011; vgl. ThLZ 137 [2012], 656); The Dead Sea Scrolls on Sexuality: Attitudes towards Sexuality in Sectarian and Related Literature at Qumran (2009; vgl. ThLZ 137 [2012], 656); Enoch, Levi, and Jubilees on Sexuality: Atti-tudes Towards Sexuality in the Early Enoch Literature, the Aramaic Levi Document, and the Book of Jubilees (2007). Diese eindrucksvolle Reihe themenbezogener Monographien wird durch weitere Arbeiten flankiert: Sexuality in the New Testament: Understanding the Key Texts (2010, vgl. ThLZ 137 [2012], 656; im Stil dieses für Nichtfachleute geschriebenen Buches ist eine weitere Veröffentlichung geplant, in der die Ergebnisse der vorliegenden Studie zusammengefasst werden); Sexuality and the Jesus Tradition (2005); The Septuagint, Sex­-uality and the New Testament (2004; vgl. ThLZ 131 [2006], 171). Damit ist ein äußerst breites und stabiles Fundament gelegt, auf dem die vorliegenden Studien zu den neutestamentlichen Texten aufbauen.
Die Fragestellung dieses zugleich gelehrten und äußerst lehrreichen Buches ist historisch ausgerichtet. L. strebt ein umfassendes Bild der neutestamentlichen Sicht auf die menschliche Sexualität an, das freilich aufgrund der Quellenlage und der spezifischen Abzielung der einzelnen Schriften unvollständig bleiben muss (500). Diese »exercise in distance« (ebd.) eröffnet zugleich überraschende Perspektiven auf heutige Problemlagen. Ein kritischer Dia­log mit gegenwärtigen kultur- oder sexual-wissenschaftlichen Positionen findet zwar kaum statt, wohl aber mit den ethischen Implikationen der Texte, wie z. B. mit der Bewertung männlicher und weiblicher Homosexualität durch Paulus (320–326.496). L. ge­lingt es, stets sorgfältig zwischen den keineswegs leib- oder sexualfeindlichen Gehalten der Texte und modernen Projektionen zu unterscheiden (vgl. z. B. 135.148 und pass.). Dabei wird wiederholt deutlich, dass die neutestamentlichen Verbote, Warnungen und radikalen Weisungen in einen antiken Gesamtkontext positiver Bewertung menschlicher Sexualität gehören und in ihm zu interpretieren und zu bewerten sind. Dabei zeigt L. ein feines Gespür für die sexualhistorisch relevanten Implikationen mancher Texte (vgl. z. B. 227 f. zu Röm 7,1–4 oder 240–253 zur matthäischen »Ausnahmeregel« Mt 5,32; 19,9). L. vermeidet vorschnelle Urteile, spekulative Thesen und überflüssige Hypothesen. So wird z. B. auf S. 152–160 eine umsichtige Diskussion zu 1Thess 4,4–6 und speziell zu der Frage der Semantik von σκεῦος geboten.
Das Buch ist in acht große Kapitel unterschiedlicher Länge unterteilt. Die ersten beiden Kapitel widmen sich den jüdischen (3–73) und griechisch-römischen (74–108) Kontexten des Neuen Testaments. Die kulturellen Kontexte der frühchristlichen Schriften werden unter stets sinnvollem Rückbezug auf die eigenen Vorarbeiten sorgsam skizziert, um die literarische und kulturelle Kontextualität der untersuchten Texte und Passagen aufzuhellen. Hier wird L.s hermeneutisches Engagement besonders deutlich, das sich entschieden von einem »Background-Modell« abhebt (2 und pass.). In den folgenden beiden Kapiteln werden die Evangelientradition (109–151) sowie paulinische Texte (152–239) behandelt, worauf dann vier nicht an Textgruppen, sondern an Sachthemen orientierte Kapitel folgen (Divorce, 240–292; Same-Sex Intercourse, 293–338; Men and Women in Community and Leadership, 339–429; Celibacy, 430–490). Eine zehnseitige Zusammenfassung, ein umfangreiches Literaturverzeichnis (40 S.) sowie zwei Indizes zu modernen Autoren und antiken Quellen schließen diese eindrucksvolle Monographie ab.
Die skizzierte Gliederung erstaunt zunächst, sind in ihr doch Texte und Themen unterschiedlich aufgeschlüsselt. Sie wirkt jedoch plausibel, wenn bedacht wird, dass die ausgewählten Themenkomplexe in eigener Breite und Intensität neben der Behandlung von Einzelschriften und -texten dargestellt werden sollen. Auf diese Weise gelingt es L., tatsächlich alle thematisch einschlägigen neutestamentlichen Texte zu behandeln. Insofern ist diese Monographie als ein grundlegendes Kompendium zu würdigen. Es ist nicht nur für Griechisch-Kundige geeignet; alle griechisch zi­tierten Texte werden auch in – teils eigenen – Übersetzungen geboten. Ein Sachindex wäre wünschenswert; er würde den Materialreichtum dieser Monographie weiter erschließen.
Mit Blick auf die Evangelientradition macht L. auf eine auch anthropologisch bedeutsame Verschiebung aufmerksam (ohne sie möglicherweise hinreichend gegen eine moderne ›Innerlichkeitsauffassung‹ abzusichern): Der Blick verschiebt sich von der Fak­-tizität der Tat hin zur Absicht, die die Tat leitet, und damit zur personalen Verantwortung. Damit wird der Blick frei für eine fundamentalere Ebene, mit der zugleich zur Frage steht, wie weit Se­xualität in die personalen Beziehungen von Liebe und Respekt integriert wird: »Sexual ethics then become an aspect of that attitude of love and care for others where all that demeans the other is antithetical to God’s will, wether it has a label among forbidden acts or not, and where labelled and forbidden acts are to be exa­-mined for their legitimacy or illegitimacy solely by that criterion.« (150) Hier löst L. exemplarisch sein umfassendes Verständnis von Sexualität ein, das er von einem begrenzten Verständnis im Sinne sexueller Orientierung oder Sexualtheorie unterschieden wissen möchte (1).
Im Zusammenhang der Diskussion um »Ehelosigkeit« verweist L. auf die Bedeutung eschatologischer Erwartungen und anderer Faktoren (vgl. die generelle Diskussion, 483–490, sowie die Behandlung der einschlägigen neutestamentlichen Texte ab S. 430 sowie der frühjüdischen Texte, 66–73 [der Verweis auf S. 487, Anm. 136, ist entsprechend zu korrigieren]). L. arbeitet sehr deutlich die kulturellen Unterschiede zu einem modern-»westlichen« Verständnis von Ehelosigkeit oder Zölibat heraus, indem er auf das Prinzip zumeist zeitlicher und räumlicher Befristungen sexueller Enthaltsamkeit in antiken Kulturen hinweist. Er spricht in diesem Zusammenhang von einem nicht als sexualitätsfeindlich zu verstehenden »time-and-space-principle of celibacy« (66 und pass.). Insgesamt überzeugt immer wieder das abgewogene und gut begründete Urteil, das zur Diskussion der Hintergründe und Voraussetzungen der Texte einlädt. Mit dieser Veröffentlichung liegt ein solide gearbeitetes Kompendium vor, das zuverlässig über neutestamentliche Perspektiven auf die menschliche Sexualität in ihren historischen Kontexten informiert. Es wird sich in der theologischen Diskussion sexualethischer Fragen im biblischen Kontext als wichtig und hilfreich erweisen.