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Ausgabe:

November/2013

Spalte:

1223–1224

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Zabán, Bálint Károly

Titel/Untertitel:

The Pillar Function of the Speeches of Wisdom. Proverbs 1:20–33, 8:1–36 and 9:1–6 in the Structural Framework of Proverbs 1–9.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2012. XXIV, 377 S. = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 429. Geb. EUR 119,95. ISBN 978-3-11-027548-3.

Rezensent:

Bernd U. Schipper

Seit Johann Gottfried Eichhorn im dritten Teil seiner »Einleitung in das Alte Testament« aus dem Jahr 1783 Prov 1–9 erstmals als »eigene kleine Schrift« vom Rest des Buches abgetrennt hat, diskutiert die Forschung die möglichen Redaktionsgeschichte der neun Kapitel. In der Regel wurde dazu bei den sogenannten »zehn Lehrreden« in Prov 1,8–7,27* angesetzt, um von dort aus die unterschiedlichen litera­rischen Schichten zu bestimmen. Bálint Károly Zabán wählt in seiner Dissertation die Weisheitsreden in Prov 1,20–33; 8,1–36 und 9,1–6, um von diesen ausgehend die Entstehung der ersten Sammlung des Proverbienbuches zu rekonstruieren. Die am Union Theological College in Belfast erarbeitete Studie bemüht sich um eine Kombination von synchronen und diachronen Fragestellungen.
Die sehr kleinteilige Arbeit – viele Kapitel haben nicht mehr als zwei bis drei Seiten – setzt mit einem kurzen Abriss der Forschung ein (Kapitel 1), um dann die Metapher des Hausbauens zum Ausgangspunkt der eigentlichen Untersuchung zu wählen. Z. orientiert sich dabei an einem Artikel von Patrick W. Skehan aus dem Jahr 1947 (»The Seven Columns of Wisdom House in Proverbs 1–9«, CBQ 9, 190–198, nicht 1971, wie Z. im Literaturverzeichnis angibt), der ausgehend von Prov 9,1 (»Die Weisheit hat ihr Haus gebaut.«) die Struktur von Prov 1–9 mithilfe architektonischer Metaphorik zu beschreiben versuchte. Anders als Skehan, der die Lehrreden in Prov 2–7 als »seven columns« des Hauses der Weisheit sah, versucht Z. den Nachweis zu führen, dass die Weisheitsgedichte die tragende Rolle (»Pfeilerfunktion«) innerhalb von Prov 1–9 haben.
Der erste Hauptteil der Arbeit (Kapitel 2–5) bietet eine Exegese der Weisheitsgedichte in Prov 1,20–33; 8,1–36 und 9,1–6, die streng an deren Struktur, dem Aufbau der Kapitel und möglichen Kompositionsprinzipien orientiert ist. Dabei werden immer wieder andere Forschungspositionen zitiert (z. B. H. F. Fuhs, G. Baumann, J. Kugel) und auch mittelalterliche jüdische Kommentare berück­sichtigt (z. B. zu Prov 1,22). Im Rahmen seiner Einzelexegese bietet Z. zahlreiche sprachliche und grammatische Beobachtungen zu den jeweiligen Kapiteln. Allein diese minutiöse Detailkritik macht das Buch wertvoll, so wie auch das Referat der Sekundärliteratur hilfreich ist.
Z. verfolgt ein klares Ziel, das seine Studie in allen Teilen be­stimmt. Ihm geht es um die detaillierte Beschreibung der poetischen Struktur, die in einer Breite entfaltet wird, die den Eindruck von Vollständigkeit vermittelt, obwohl diese nicht gegeben ist. So erstaunt, dass bei der Analyse von Prov 9,1–6 (Kapitel 5) nicht auf 9,13–18 eingegangen wird, obwohl durch die wörtliche Entsprechung zwischen 9,4 und 9,16 (vgl. D. Snell, Twice Told Proverbs, 1993, 35) die Weisheitsgedichte über ›Frau Weisheit‹ (9,1–6) und ›Frau Torheit‹ (9,13–18) eindeutig aufeinander bezogen sind.
Dem eigentlichen Ziel der Arbeit entsprechend – nämlich dem Nachweis, dass die drei Weisheitsgedichte die tragenden Säulen der ersten Sammlung des Proverbienbuches sind –, fragt der zweite Hauptteil der Arbeit nach übergreifenden Verbindungen zwischen Prov 1; 8 und 9. Z. arbeitet heraus, dass die von der Forschung oft als »Zwischenstücke« (z. B. M. Fox, AncBib 18A+B; vgl. auch A. Meinhold, ZBK.AT 16/1) bezeichneten Weisheitsgedichte als »significant part of the instructions of Prov 1–9« gelten müssen (Kapitel 6, 230) und durch ihre Bildwelt (Kapitel 7) eng mit diesen verbunden sind. Dies gilt insbesondere für die Wegmetaphorik (Kapitel 7.4), die Hausmetaphorik (Kapitel 7.5) und die Schatzmetaphorik (Kapitel 7.6).
Nachdem Z. die enge Verbindung zwischen den drei Weisheitsgedichten und den zehn Lehrreden aufgezeigt hat, will er im letzten Kapitel seiner Arbeit (Kapitel 8) den Nachweis führen, dass es eine ansteigende Linie des Werbens der Weisheit in Prov 1; 8 und 9 gibt. Im Gegensatz zu Michael Fox, der in den drei Weisheitsgedichten eine Unterbrechung des Gedankengangs sieht, ist Z. der Meinung, dass dieser Gedankengang in den drei Texten nicht nur weitergeführt, sondern inhaltlich zugespitzt wird. Dabei stellen sich jedoch zwei Fragen: 1. Ist Prov 9,1–6 tatsächlich eine Steigerung gegenüber Prov 8, und 2. kann Prov 9,1–6 auch so verstanden werden, wenn man 9,13–18 hinzunimmt? Ohne dass der Rezensent seine eigene Position in den Vordergrund rücken wollte, wird man doch festhalten müssen, dass der Anspruch der Weisheit in Prov 8 stärker betont wird als in Prov 9,1–6 und dass das »Werben« der Weisheit in Kapitel 9,1–6 durch das Werben von »Frau Torheit« in 9,13–18 deutlich relativiert wird. – Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Sind die drei Themen (Weg-, Haus- und Schatzmetaphorik) wirklich geeignet, eine enge Verbindung zwischen den Weisheitsgedichten und den zehn Lehrreden aufzuzeigen? Immerhin findet sich diese Metaphorik auch vielfach in Prov 10–31, so z. B in 11,3–8 und 12,28 (Weg); in 11,29; 14,1; 15,6 und 24,3 (Haus) oder in 15,16 und 21,20 (Schatz).
Betrachtet man das vorliegende Buch als Ganzes, so wird man dieses in zweierlei Hinsicht gerne zur Hand nehmen: zum einen aufgrund der vielen Detailbeobachtungen, zum zweiten im Hinblick auf den generellen Beweisgang. Z. führt den Nachweis, dass es sich die bisherige Forschung zum Proverbienbuch zu einfach darin gemacht hat, zwischen einem Korpus von zehn Lehrreden und den Weisheitsgedichten zu unterscheiden, die sekundär zusam­mengewachsen sind. Z. zeigt überzeugend, dass es eine Reihe von Querverbindungen sowohl zwischen den drei Weisheitsgedichten als auch zwischen diesen und den zehn Lehrreden gibt. Er geht dabei jedoch kaum auf die Querbezüge zu Prov 10–31 ein, die allein schon aufgrund der Textanspielungen und wörtlichen Zitate in Prov 6 (6,8 = 30,25; 6,10–11 = 24,33.34) und Prov 9 (9,1 = 14,1) gegeben sind. Problematisch erscheint zudem der recht eingeschränkte Blickwinkel, bei dem weitergehende Querbeziehungen zu anderen Texten ausgeblendet werden. Man muss nicht in allen Punkten der jüngeren Forschung folgen, die bspw. für Prov 1,20–33 Querverbindungen zu den Prosareden des Jeremiabuches postulierte (G. Reichenbach, ABG 37, 2011), aber die Bezüge zwischen Prov 8,22–31 und Gen 1 können schwerlich übergangen werden.
Vor diesem Hintergrund erstaunt, dass Z. die Schlusszusammenfassung seines Buches mit dem Satz beendet, die weisheitliche Rede sei »through the employment of well-known Hebrew Bible theopolical topoi« mit großer Autorität ausgestattet (346; vgl. Baumann, FAT 16, 1996, 273, zitiert auf derselben Seite). Genau dies, nämlich die Frage, was es bedeutet, dass in Prov 1 und 8 auf andere theologische Traditionen angespielt wird, hat Z. nicht untersucht, obwohl das »Werben« der Weisheit gerade durch die Anspielungen auf andere Traditionen an theologischer Tiefe gewinnt.