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Ausgabe:

November/2013

Spalte:

1218–1221

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Redditt, Paul L.

Titel/Untertitel:

Zechariah 9–14. English First Edition.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2012. 168 S. = International Exegetical Commentary on the Old Testament. Kart. EUR 54,00. ISBN 978-3-17-021651-8.

Rezensent:

Ina Willi-Plein

Überraschend schnell nach der Ankündigung (2010) der neuen Kommentarreihe IECOT ist noch 2012 der Band von P. L. Redditt zu Sach 9–14 erschienen – allerdings noch nicht in einer nach dem Konzept der Reihe auch zu erwartenden deutschen Version, sondern in der englischen Fassung, die auf R.s Vorarbeiten (NCBC und mehrere wichtige Aufsätze, vgl. Lit.) zurückgreifen konnte.
Die Reihe ist durch ein zweifaches Doppelanliegen gekennzeichnet: paralleles Erscheinen der Kommentare auf Englisch und Deutsch sowie Zusammenführung der zwei Grundperspektiven der Exegese, des nach dem Vorwort der Herausgeber in Europa entstandenen und gepflegten diachronen und des i. E. in Nordamerika und Israel prominent ausgebildeten synchronen Ansatzes der Textauslegung. Das Miteinander von synchronem und diachronem Ansatz ist freilich in jeder philologisch verantworteten Exe­-gese – auch in dieser Reihenfolge – nicht neu, sondern selbstverständlich: Eine eingehende, nahes Leserverständnis ermöglichende »synchrone« Lektüre ist die Voraussetzung für das Wahrnehmen tatsächlicher oder scheinbarer Inkohärenzen, an denen Fragen nach einer relativen Textchronologie ansetzen und Wege zur historischen Situierung einzelner Textpartien, dann auch des Werdens des Endtextes weisen können. Nach der diachronen Einzelexegese muss in einem Kommentar der Blick wieder auf das in der End­-gestalt vorliegende Ganze gerichtet werden. Dies alles ist bei R. bemerkenswert knapp geschehen; an einigen Stellen (z. B. 59 ff. syn- zu 69 ff. diachron in gleichen Bezügen auf »Exil« und histo­-rische Einordnung) ist der Unterschied unscharf.
Sowohl zum »literary work« Sach 9–14 insgesamt als auch zu den einzelnen Abschnitten gibt R. jeweils eine »synchronic« und eine »diachronic analysis« sowie ein »concluding integrative summary«, das einer redaktionellen Gesamtschau sowohl des Einzelbuches, als vor allem auch der Komposition des Zwölfprophetenbuches (ZPB) als Ganzem (vor allem nach Nogalsky und Schart) den Weg bahnen soll. Als »redactional bridges« benennt er Sach 10,2–3a; 11,1–3 und rechnet damit, dass dem Hagg-Sach 1–8-Werk nacheinander 9,1–10 (bereits im 6. Jh. v. Chr.!) und danach Sach 9–10 insgesamt angefügt wurden (148), gegen Ende des 5. Jh.s dann der von »more pessimistic thinking« geprägte Teil Sach 11–14, wobei gleichzeitig andere re­-d aktionelle Passagen Sach 9–14 mit dem »growing corpus of the Twelve« verbanden.
Die zum Teil sehr frühen Datierungen überraschen, die »Redaktionsgeschichte« folgt dem gegenwärtigen Trend, dessen Konzeptionen von »Buch« und »Redaktion«, aber auch von Tendenzen er­schlossener Verfasserkreise und deren literarisch-theologischer Konzepte größerer Bucheinheiten (hier ZPB) weitgehend hypothetisch bleiben. Doch schlägt R. einen besonnenen Mittelweg ein.
Die Kommentierung von Sach 9–14 ist eine besondere Herausforderung, die eine eingehendere Diskussion anregen kann und sollte, als sie im Folgenden möglich ist. Fragen zu Sach 14 müssen nicht zuletzt wegen ihrer Implikationen für die Einschätzung der Stellung des Kapitels im ZPB und gegenüber weiteren biblischen Büchern hier weitgehend ausgeblendet werden. R. sieht die Kapitel 9–11 und 12–13 als die Hauptteile des Buches je unter der »Überschrift« (»superscriptions, heading«) oder dem »Titel«. Dies legt sich (früher auch Rez.) auf den ersten Blick nahe, wird aber der Differenz der syntaktischen Fügungen und der Wortsemantik nicht ganz gerecht.
Ob bzw. allenfalls in welchem Sinne es in den Kapiteln 9 und 10 um Hoffnung auf ein wiedervereinigtes (davidisches) Königtum (26 u. ö.) geht (mir selbst sehr unwahrscheinlich), hängt nicht nur von der Bestimmung des Verhältnisses von Kapitel 9 zu Sach 1–8 und der vermuteten Rolle Serubbabels ab, sondern auch vom Verständnis der Wegbeschreibung (des Wortes JHWHs) in 9,1–8. Zur Datierung kann die vor allem von Elliger begründete, natürlich hypothetisch bleibende, Erklärung von 9,1–8 mit den Anfängen des Alexanderzuges in Palästina (nicht »after«, also nach, seiner »pas­-sage through Canaan to Egypt«, 27!) angesichts neuerer Forschungen und kartographischer Darstellungen (TAVO) nicht mehr mit der Bemerkung, dass »Zech 9:1–8 may fit more or less one military invasion or another« (27) abgewiesen werden, zumal die genannten Orte keine auch nur utopische Grenzbeschreibung eines innerbiblisch verankerten israelitischen Königreiches hergeben.
Sach 10 beginnt rätselhaft auch dann, wenn man mit R. den eröffnenden Imperativ in eine 3. Pers. m. pl. »sie haben erbeten« verändert, und es bleibt in vielem rätselhaft, nicht zuletzt wegen der Herde-Hirten-Metapher, die auch Kapitel 11 prägt. In 10,4 bezieht R. das ונממ »von ihm« auf Gott und erkennt deshalb in »Ecksteinen«, »Zeltpflock«, »Kriegsbogen« und »Aufseher« (so die ungewöhnlich positiv für שׁגוע angenommene Bedeutung »overseer«) vier »Segnungen« JHWHs für Juda. Im zweiten Teil des Kapitels werde dann Ephraim/Israel zur Hoffnung gestärkt, obwohl man wusste, dass man einer persischen Armee nicht gewachsen sein würde, wenn es zum Krieg käme (73) – zu welchem Krieg und wann? Denkt R. an einen Aufstand (weswegen?) gegen das persische Weltreich? Heißt dies, dass »Zechariah 10 vindicates Yahweh«?
Ein Herzstück der Deuterosach-Exegese ist 11,4–16. R. informiert kurz über die wichtigsten Vorschläge der Forschung zur Bestimmung der Gattung der von ihm als »Shepherd Sign-Enactment Report« bezeichneten »Erzählung« (»narrative«, mit »report« gleichgesetzt), die s. E. »indeed a reworking, of Ezek 37:15–23 and Ezek 34,3–4« ist und allegorische Deutungen des Kleinviehs und der mit ihm Befassten erlaubt: »The characters […] must be decoded if one is to understand the narrative« (81).
Die Gleichsetzung der Hirten mit Jerusalemer Priestern (84) erstaunt vor allem deshalb, weil der (gute) Hirte (auch in den Vergleichstexten) zur Großmeta­pher des königlichen Herrschers gehört, und weil R. die »Händler« als von den Persern legitimierte Vorgesetzte der Hirten sieht, dann aber auch diese »merchants« als Priester zu dekodieren scheint (92). Auch wenn »real priests must, in fact, buy, sell, and slaughter sheep« (92), ist im Tempelopfer der Opferherr der Eigentümer der Opfertiere, und גרה ist kein terminus technicus für das Opferschlachten, sondern ein allgemeiner Ausdruck für »Töten«. Das »Kleinvieh der Tötung« ist also eine todgeweihte Menge von »Kleinvieh« (Schafen und Ziegen), für die ein guter Hirte (wie auch ein guter Herrscher für sein Volk) sorgen müsste. Man kann m. E. nicht sagen, es sei »nothing unusual in ancient Judah« gewesen, dass »a flock was destined for slaughter« (81). R. hält an der alten Konjektur zu 11,7.11 fest, statt »die Demütigen des Kleinviehs« vielmehr »die Kanaanäer der Schafe« zu lesen und gegen starke grammatische Kontraindikationen (dazu meine Begründung in ZBK 24.4, 184 f.) als »Viehhändler« zu deuten. So muss er als tragende Rollen der Zeichenhandlung Schafe, Schafhirten und Händler, also drei Gruppen erschließen, obwohl es s. E. eigentlich um Repräsentanten der Persermacht und deren Untertanen geht.
In 11,10 versteht er den Plural םימע nicht als Völker, sondern als »Leute«. Dann wäre die Auflösung des Bundes »mit all den Leuten« die Annullierung der in Vers 7 mit den Händlern geschlossenen Vereinbarung, die Schafe zu hüten. Letzten Endes soll es aber um harsche Kritik an Jerusalemer Priestern (und deren Absetzung?) gehen. Hatten sie ihren Dienst vernachlässigt? Standen die in der neueren Forschung gerne zur Lösung bleibender Fragen postulierten Machtintrigen verschiedener Gruppen dahinter? – Eine Antwort ist nicht in Sicht, aber R. hält das Kapitel für so rätselhaft, dass er meint, gerade dadurch könne es die Anfügung eines weiteren »Orakels«, nämlich Sach 12–13(14), ausgelöst haben.
Sach 12–13 als »The Future of Jerusalem and Judah, 1« (93–124) und Sach 14 »[…] Jer. and Judah, 2« (125–146) sowie einer Conclusion des Ganzen sind die letzten 60 Seiten gewidmet, an die sich das Literaturverzeichnis (überall ist »Tigchelaar« zu korrigieren!) an­schließt. Wie R. muss sich auch die Rezensentin auf wenige Anmerkungen zu den wichtigsten Problemen beschränken.
Das »opening incipit in 12,1« kennzeichne eine neue »section« als durchgehende Gottesrede, in der das Nordreich Israel nicht erwähnt wird. Kapitel 12–13 erklären, »what went wrong with expectations […]«, 14 aber nehme eine neue Zukunft in den Blick (94).
12,2–9 soll in Aufnahme von Völkerkampfmotiven früherer Prophetenworte Gottes Gericht zugunsten seines Volkes herausarbeiten. Darauf folgt mit 12,10–13,6 der längste Textteil, der sich mit Davididen, Leviten und falschen Propheten befasse, aber nicht die Hirten erwähne. Diese würden erst wieder redaktionell in 13,7–9 hinzugefügt. Weder das grammatische Problem des Relativsatzes in 12,10 noch die Identität des Durchbohrten können geklärt werden.
Auch die Identität der Trauergruppen in den Versen 12–14 bleibt vor allem für die Sippe der Schim’iden (V. 13) unklar. Dazu trägt allerdings auch die sehr fehlerhaft verwirrt in den Druck gelangte Passage zu »Shimey, a very common name« im Alten Testament bei (112). In 2Sam 16; 19; 1(nicht 2)Kön 2 (nicht 8) geht es mit insgesamt 18 Belegen (1Kön 1,8 und 4,18 handeln von einem anderen) immer um den gleichen Benjaminiter aus Sauls Sippe. Die Form von »Sippe« im cstr. + det. Nisbe aber wird wie in Sach 12,13 (vgl. dazu BHS, App.) in Num 3,21 erwähnt, um den Dienstbereich einer Untergruppe der Gersoniden am Heiligtum zu bestimmen (vgl. jetzt H. Seebaß, BK.AT IV/1 [2012], bes. 87 f.). Insofern ist wohl von Leviten, aber nicht von den Leviten die Rede.
Das Problem des Endes der Prophetie kann auch R. nicht endgültig lösen; 13,2–6 spricht s. E. von Lügenpropheten, 13,7–9 sei eine redaktionelle und intertextuelle Brücke zum Schlusskapitel 14 und dieses wohl durch Sammlung einer Reihe kleinerer Einheiten, die »not necessarily consistent with each other« seien, entstanden.
Zur Völkerwallfahrt zum Laubhüttenfest (14,16–21) wirkt die Frage, wa­rum die Verse 18–19 die Strafe bei Nichterscheinen für Ägypten gesondert behandeln, seltsam, die Antwort (139 f.) skurril: Einige Judäer seien wohl in den letzten Jahren des judäischen Königtums nach Ägypten geflohen, hätten dort vor 525 einen Tempel in Elefantine gebaut, um ein Wallfahrtszentrum für Juden in Ägypten zu schaffen, und nach dessen Zerstörung 410 v. Chr. hätten sich die in Sach 14 mit »Ägypten« gemeinten Judäer als »ethnic Judeans living in Egypt« dessen Wiederaufbau gewünscht. Soll dieser Verweis auf die Garnison judäischer Söldner in Elefantine (!) die Datierung von Sach 9–14 in die Perserzeit bestätigen? Und ist es wirklich auch nur denkbar, dass der »Kanaanäer« bzw. »merchant« in 14,21, wie für 11,7.10 angenommen, als persischer Beamter und Jerusalemer Priester (von R. offenbar mit den Leviten gleichgesetzt) zu decodieren und das Verschwinden der Priester aus dem Jerusalemer Tempel als positive Hoffnung zu verstehen ist? Auch bei Annahme einer Redaktion, die »a scribe or a group of scribes who were bearers of prophetic traditions« (145) war, bliebe die These erstaunlich.
Über Sach 9–14 wird weiter nachgedacht und diskutiert werden müssen, auch wenn nicht alle offenen Fragen je in einem allgemeinen Konsens der Exegese gelöst werden können. Es ist zu wünschen, dass der Kommentar und die Reihe dazu beitragen, im englisch- und im deutschsprachigen Bereich und vor allem auch in polyglotter Diskussion synchroner und diachroner, neuer und al­ter Lösungsvorschläge den Text selbst immer wieder neu zu hö­ren und zu verstehen.