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Ausgabe:

November/2013

Spalte:

1215–1217

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Fischer, Georg

Titel/Untertitel:

Theologien des Alten Testaments.

Verlag:

Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk 2012. 320 S. = Neuer Stuttgarter Kommentar, 31. Kart. EUR 29,95. ISBN 978-3-460-07311-1.

Rezensent:

Elisabeth Birnbaum

Drei Grundsatzentscheidungen Georg Fischers prägen dieses Buch. Jede für sich ist auf ihre Art ungewöhnlich und eignet sich daher gut als Ausgangspunkt für weiterführende Diskussionen: Schon der Titel des Buches bezeugt die erste dieser Entscheidungen: Es geht um Theologien, nicht um Theologie des Alten Testaments, also um die Vielfalt der theologischen Rede in den alttestamentlichen Büchern und weniger um den Versuch einer Zusammenschau. Die zweite Entscheidung besagt, dass jedes Buch einzeln auf seine Theologie befragt wird und bücherübergreifende As-pekte zunächst ausgeklammert bleiben. Die dritte Entscheidung schließlich lässt F. die Bücher in einer ungewöhnlichen Reihenfolge präsentieren: Die Kapitel I bis III folgen der Anordnung der hebräischen Bibel, also Tora, Vordere Propheten und »Schriftpro pheten« (ohne Daniel, Klgl und Baruch). Danach wechselt F. zur »christlichen« Kategorie (»spätere) Geschichtsbücher«, die Esra, Nehemia, Chronik und Ruth, sowie die Deuterokanonika Ester, Tobit, Judit und 1/2 Makkabäer umfassen. Das Kapitel V schließlich vereint unter dem Titel: »Schriften und Weisheitsliteratur« jüdische und christliche Kanonelemente und reiht Ijob vor die »weiteren hebräischen Bücher« Klagelieder, Sprichwörter, Kohelet, Hohelied und Daniel, und schließt daran die »griechischen Bücher« Baruch, Brief des Jeremia, Sirach (sic! Vgl. 20.168), Weisheit und zuletzt ausgewählte Psalmen. Der Grund für diese Anordnung liege »einerseits in der stärkeren sachlichen und literarischen Nähe innerhalb dieser Gruppen und anderseits (sic!) in dem Wunsch, der Entwicklung des Redens von Gott besser zu entsprechen und eine größere Vergleichbarkeit bei ›verwandten‹ bzw. zeitlich enger zusammengehörenden Werken zu ermöglichen« (20).
Dabei bleibt offen, welche Bücher F. als zeitlich zusammengehörend ansieht und welche als verwandt oder literarisch vergleichbar. Gelegentlich spricht F. von »späteren Büchern«. Doch ist nicht immer klar, ob es sich dabei um von der Anordnung im Kanon her später oder entstehungsgeschichtlich später handelt. Manchmal scheint beides zugleich angesprochen zu sein. Das Buch Deuteronomium etwa bezeichnet er explizit als »späteres, auf die früheren Schriften reagierendes Werk« (54; gemeint sind die Bücher Gen – Num). Manche Abfolge dürfte auch quasi »dramaturgischen« Grundsätzen geschuldet sein, so etwa der Entschluss, die beiden »herausragenden« Bücher Ijob und Psalmen als »Rahmung« um die anderen »Bücher der Schriften und der Weisheitsliteratur« zu legen (168).
Methodisch geht F. durchwegs vom Bibeltext selbst aus, in dem »Gott selbst zur Sprache« kommt (289), mahnt aber gleichzeitig zur »Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Offenbarung, wirklich Gott entsprechender Rede und ihrer möglicherweise eingeschränkten Wahrnehmung bzw. ideologisch beeinflussten Ausdrucksformen« (vgl. 289–292).
Der Hauptteil des Buches (21–248) befasst sich mit den Theologien der einzelnen Bücher. Dabei zeichnet F. die Erzählungen der biblischen Bücher nach und befragt sie hinsichtlich ihrer theolo­gischen Besonderheiten. Er listet zentrale und spezifische Gottesbezeichnungen auf, benennt und beschreibt die Häufigkeit und Art der Erwähnungen Gottes und skizziert die zur Sprache kommenden göttlichen Handlungsweisen und Eigenschaften. Gelegentlich bettet er diese Ausarbeitungen in poetisch anmutende Passagen, so wenn er etwa die Theologie der Schöpfungserzählung anhand der eindrucksvollen, sichtlich aus eigener Erfahrung ge­sprochenen Schilderung einer Gipfelwanderung illustriert: »Wenn die Füße mehrere Kilometer über einsame Pfade dahinziehen, das Höhersteigen auf Gras und Steinen Konzentration und tiefes Atmen erfordert und schließlich an einem Gipfel der Horizont sich vollends öffnet, mit dem Anblick hunderter anderer Berge – dann ist zu spüren, dass hier mehr als ›Menschenwerk‹ vorliegt. Mit dieser Grunderfahrung setzt die Bibel ein, […]« (22; Hervorhebung durch F.). Schritt für Schritt durchwandert F. auch die anderen Bücher und setzt da und dort sehr eigenständige Akzente (etwa, wenn er en passant die Nichtannahme von Kains Opfer damit begründet, dass es sich eben nur um »ganz gewöhnliche Gaben« [25] gehandelt habe). Er bemüht sich dabei insgesamt um ein sehr positives Gottesbild. Das zeigt sich vor allem bei Büchern, deren Gottesbild oft als fremd, negativ oder zumindest ambivalent angesehen wird. So betitelt er etwa seine Ausführungen zu Kohelet mit »Göttliche Freude am und im Menschen« (194). Doch benennt er, wo nötig, auch sehr klar unverständliche und problematische Gottesbilder wie im Ezechielbuch (vgl. 98 f.). Als Erklärungsversuche werden vor allem die Zeitgebundenheit und Begrenztheit menschlich vermittelter Offenbarung genannt sowie die Entwicklung der Gottesrede, die sich innerhalb des Alten Testaments erkennen lässt (vgl. etwa 55). Der empfohlene Umgang mit solchen Texten lautet: »Von dieser inneren Mitte eines erbarmenden, Menschen zugeneigten und doch auch gerechten Gottes […] sind alle anderen Aussagen über Gott zu verstehen und widersprechende Formulierungen entweder vom Zusammenhang her als nur begrenzt gültig zu deuten oder aber zu relativieren« (56). Insgesamt wartet der Hauptteil mit feinsinnigen Beobachtungen, teilweise neuen Perspektiven (etwa die Betitelung des Hoseabuches mit »Eiter und Tau«; 101) und wohlklingenden Formulierungen auf. Die so herausgearbeiteten Theologien sind einsichtig und klar nachgezeichnet und werden nicht selten durch aktuelle Zeitbezüge ergänzt – vgl. die Beschreibung der »Arabellion« 2011 und ihrer oft mühseligen Folgemonate als Vergleich für Exodus und Wüstenwanderung (29) oder den Vergleich israelitischer Kultstätten mit heutigen Wallfahrtsstätten wie Lourdes oder Mekka (109). Der Durchgang schließt mit der Auslegung immerhin 38 ausgewählter Psalmen sowie einem Überblick über die Theologien des Psalters.
Den Abschluss bildet eine kurze Zusammenschau unter systematischer Perspektive (249–300), die sich in vier Abschnitte unterteilt: »Charakteristika Jhwhs« (hier erfolgt die eigentliche Zusam­menschau), »Diskussion und Reflexion« (wo auch ausführlich auf Grundprobleme im Reden über Jhwh eingegangen wird), »Der Bezug der alttestamentlichen Theologien zum Neuen Testament« (der zahlreiche Gemeinsamkeiten und kleinere Verschiebungen konstatiert) sowie einen »Ausblick« (der mit einem begeisterten Aufruf zu beständigem Staunen über die Einzigartigkeit Jhwhs schließt).
Das Buch erweist sich so als sehr engagiert geschriebenes, gut lesbares, in den Textbeobachtungen und -beschreibungen feinsinniges und sehr eigenständig gedachtes und gemachtes Buch, das ob seiner Grundentscheidungen sicher Anregung und Diskussionsstoff für die Gattung »Theologie(n) des Alten Testaments« liefern wird.