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Ausgabe:

November/2013

Spalte:

1212–1215

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Vörös, Gyözö

Titel/Untertitel:

Machaerus I. History, Archaeology and Architecture of the Fortified Herodian Royal Palace and City Overlooking the Dead Sea in Transjordan. Final Report of the Excavations and Surveys 1807–2012.

Verlag:

Mailand: Edizioni Terra Santa 2013. 399 S. m. Abb. = Studium Biblicum Franciscanum. Collectio maior, 53. EUR 120,00. ISBN 978-88-6240-168-5.

Rezensent:

Jürgen Zangenberg

König Herodes (reg. 40/37–4 v. Chr.) erfreut sich zurzeit bemerkenswerter wissenschaftlicher Aufmerksamkeit, wie nicht nur mehrere Monographien und Sammelbände, sondern auch zahlreiche archäologische Primärpublikationen demonstrieren. Neuester Höhepunkt des auch wachsenden öffentlichen Interesses ist die spektakuläre Ausstellung »Herod the Great. The King's Final Journey« im Israel Museum Jerusalem mitsamt ihres von S. Rozenberg und D. Mevorakh herausgegebenen, vorzüglichen Katalog-Handbuchs (http://www.english.imjnet.org.il/page_3184).
Angesichts des reichen archäologischen Erbes des herodia­nischen Repräsentations- und Sicherheitsbedürfnisses westlich des Jordans gerät leicht aus dem Blickfeld, dass Herodes auch östlich des Jordans als königlicher Baumeister tätig war. Schließlich gehörte Peräa spätestens seit Beginn des 1. Jh.s zum hasmonäischen Reich und war später auch für Herodes als Puffer gegen die Nabatäer von besonderer Bedeutung. Einer der am intensivsten untersuchten Orte in Peräa ist el-Meshnaqa/Machairous, die Festung am Ostufer des Toten Meeres. Auch der vorliegende Bericht macht immer wieder deutlich, dass sich dieses Forschungsinteresse auch der Verbindung des Ortes mit Johannes dem Täufer (Mk 6,14–29; Josephus, Antiquitates 18, 116–118) verdankt; für den Vf. ist Machairous ein »biblical site«.
Die Zitadelle von Machairous wurde 1807 von Ulrich Jasper Seetzen und 1909 von Felix-Marie Abel (Unterstadt) entdeckt. Archäologische Untersuchungen begannen 1968 mit einer Grabung unter der Leitung von E. Jerry Vardaman und wurden 1973 von August Strobel fortgesetzt (detaillierter Survey vor allem der römischen Belagerungswerke). Das Studium Biblicum Franciscanum (SBF) ar­beitete zwischen 1978 und 2008 gut 30 Jahre auf Machairous (Virgilio Corbo, Stanislao Loffreda und Michele Piccirillo inklusive zweier ausgedehnter Grabungskampagnen 1978–1981 und 1992–1993). Der Vf., Direktor des Machaerus Project und zuvor tätig in Ägypten und Zypern, hat zwischen 2009 und 2012 die Untersuchungen im ge­meinsamen Auftrag der Ungarischen Akademie der Künste und des SBF mit Grabungen, Surveys und Konservierungsmaßnahmen fortgesetzt. Im vorliegenden Buch fasst er die Ergebnisse der bisherigen archäologischen Aktivitäten zusammen und erstattet Bericht über seine eigenen Untersuchungen. Ziel des Buches ist, to »elucidate the blurred scene of this magical biblical site, and reconstruct it as clearly as possible in the light of 21st century historical, ar­-chaeo­logical and architectural research« (15).
Der Band beginnt – nach Vorwort und Geleitworten – mit einem Überblick über Textquellen des 1. Jh.s (17–43, allesamt in Übersetzung), die bereits unabhängig von der Archäologie drei Hauptphasen der örtlichen Baugeschichte dokumentieren: Errichtet ca. 90 v. Chr. von Alexander Jannaios als königliche Schatzkammer und Schutzburg gegen die Nabatäer und zerstört von Aulus Gabinius im Jahr 57 v. Chr., erneuerte Herodes die Festung und ergänzte sie durch eine ausgedehnte Unterstadt, beide scheinen von Aetas IV ca. 36 n. Chr. zerstört worden zu sein. Nach 44 n. Chr. übernahmen die Römer den Ort und kontrollierten ihn – nur unterbrochen zwischen 66 und 71 durch eine zelotische Phase – bis nach dem Ersten Aufstand. Seither scheint Machairous nicht mehr bewohnt gewesen zu sein. Die Quellenübersicht wird fortgesetzt durch »72–1807. Memory of Machaerus« (44–51, keinesfalls nur zu Texten!) und »1807–1967. The Research History of the Initial Archaeological Surveys« (52–63).
Die folgenden Kapitel bieten ausführliche, durch den Vf. kommentierte Dokumentationen aller bisherigen archäologischen Untersuchungen auf Machairous. Der Durchgang beginnt mit der ersten, bis heute unveröffentlichten Grabung unter E. Jerry Vardaman (»1968«, 64–95) und geht dann ein auf den Survey der römischen Belagerungswerke durch August Strobel (»1973«, 96–99). Breiten Raum nehmen naturgemäß die lang anhaltenden franziska­nischen Grabungen ein, deren zweite Phase unter Michele Piccirillo weitgehend unpubliziert geblieben war (»1978–1981«, 100–131, und »1992–1993«, 132–141); Ausnahmen sind die mustergültige Publikation der Keramik in S. Loffreda, La ceramica di Macheronte e dell’Herodion (90 a. C.–135 d. C.), Jerusalem 1996 (SBF C.Ma 39), 17–117 und 137–217, sowie ein Katalog der 1978–1980 gefundenen Münzen M. Piccirillo, Le monete della fortezza di Macheronte (El-Mish­naqa), LA 30 (1980), 403–414. Eine kurze Diskussion der ungeplanten, aufgrund von Straßenbauarbeiten notwendig gewordenen Untersuchung eines Schiebestollengrabes der Zeit zwischen 30 v. und 72 n. Chr. unter Denis Genequand schließt sich daran an (»2000«, 142–151). Offensichtlich befand sich die Nekropole von Machairous am südlich der Zitadelle gelegenen Hangbereich. Für den Vf. ist dieser Friedhof »according to human logic« der ur­sprüngliche Begräbnisplatz Johannes des Täufers (146), weitere Begründungen unterbleiben jedoch. »The Trans-Dead-Sea Optical Connections of Machaerus, and the Eastern Military Network of Jerusalem« (152–175) unterstreicht die Einbindung der Zitadelle von Machairous ins hasmonäische und herodianische Kommunikations- und Verteidigungssystem.
Dieses Kapitel bereitet gleichsam den folgenden Bericht zu den eigenen Grabungen des Autors vor, der sich in einen Hauptbericht »2009–2012. The Hungarian-Jordanian Excavations and Surveys« (176–257) sowie eine Reihe von Detailberichten gliedert. Obwohl dank zahlreicher Zeichnungen, Pläne und zum Teil atemberaubender Fotos sehr anschaulich illustriert, bietet der Bericht eher eine (freilich im Wesentlichen durchaus plausible) Präsentation der vor allem architektonischen Daten und weniger eine von einer archäologischen Primärpublikation ( final report) erwartbare, nachprüfbare Dokumentation der ergrabenen Funde und Befunde mit darauf aufbauender Interpretation. So vermisst der Leser u. a. einen Plan, der Lage und Dimensionen der neun größeren Grabungsschnitte und mehr als 50 kleineren Sondagen (319) verzeichnet, auch sind in den an sich zahlreich beigegebenen Zeichungen und Fotos weder Locusnummern noch Höhen eingezeichnet; diese sind aber unerlässlich, um die stratigraphischen Relationen von Schichten und Mauern sowie die Verbindung zwischen Architektur und schichtspezifischen Funden nachvollziehbar verdeutlichen zu können. Schwierig ist ferner, im (oft genug allzu knappen!) Text erwähnte Räume in den stratigraphischen Plänen aufzufinden. So bleibt in der Schwebe, warum der Vf. welche Mauern welcher Periode zuweist. Wie kommt es z. B., dass die der römischen (also letzten) Bauphase zugeschriebene Mauer an der Südkante der Zitadelle über die hasmonäische Mauer hinüber-, im Norden aber unter dieser hindurchläuft (z. B. 226 oder 253)?
Eine umfassende und stratigraphisch transparente Dokumentation der Keramik unterbleibt ebenso wie die systematische Präsentation und stratigraphische Auswertung der Fundmünzen (vgl. 319 f.), die auffälligerweise stets in ungereinigtem Zustand abgebildet werden (z. B. 204). Natürlich bezieht sich der Vf. zu Recht auf die oben erwähnten Publikationen von Loffreda und Piccirillo, doch werden diese nicht fruchtbar gemacht für die stratigraphische Fundierung von der Bauchronologie des Vf.s oder etwa systematisch um Neufunde ergänzt. Wird dies noch separat erfolgen (vgl. 383)? Die einzige, nach Standarts eines final report dokumentierte und interpretierte Fundgattung bilden die 22 Ostraka des 1. Jh.s v./n. Chr. aus den Grabungen des SBF 1978–1981 und die sechs Exemplare des ungarisch-jordanischen Teams 2009–2012 (»The Ostraca«, 258–277, von H. Misgav); die 19 Ostraka der Grabungen Vardamans harren noch der Publikation, Auszüge aus seiner unveröffentlichten Beschreibung sind auf S. 257 beigefügt. Die Ostraka von Machairous, bis auf eine ausschließlich in aramäischer Sprache abgefasst, vermitteln in der Zusammenschau mit denen von Masada, Qumran oder Ain-Feshkha Einblicke in eine auf Landwirtschaft und Handel basierende Besiedlung des Gebiets am Toten Meer. Lässt die Tatsache, dass in Machairous fast nur aramäische, in Masada aber eine sehr große Anzahl hebräischer Ostraka gefunden wurde, auf unterschiedliche Zelotengruppen mit unterschiedlicher Ideologie schließen?
Dem Vf. nach ist die aus Josephus und anderen Quellen erhobene dreiphasige Baugeschichte »in exact harmony with the architectural and archaeo­-lo­gical evidences […] discovered since 1807 on the historical site« (279). Diese zeichnet er im folgenden Kapitel mithilfe von Plänen und Fotos nach, eine schlüssige Argumentation auf Basis der auf S. 176–257 präsentierten archäologischen Daten unterbleibt jedoch (»The Development of the Architectural Space«, 278–293). Zwar weist der Vf. zu Recht auch auf Analogien der hasmonäischen Bauphase zwischen Machairous und den Festungen von Alexandreion, Kypros und Hyrkania hin. Doch wird dies lediglich durch Fotos und oft nur wenige Zeilen umfassende Bildunterschriften postuliert als wirklich aufgezeigt. In »The Theoretical Anastilosis ( sic!) of the Doric and Ionic Columns« (294–317, kurze Einleitung: 295 f.) dokumentiert der Vf. alle Elemente dorischer und ionischer Säulen und Gesimsteile der herodianischen Bauphase. Das Kapitel dient zugleich der Vorbereitung für die folgende Visualisierung der einzelnen Bauphasen (»The Theoretical Architectural Reconstructions«, 319–341). Wiederum werden spektakuläre Zeichnungen und Fotografien mit knappen Texten kombiniert, hinzu kommen wenige Abbildungen von Stuck- und be­malten Putzfragmenten.
In »The Golgotha of Saint John the Baptist« geht der Vf. der Frage nach, wo Johannes inhaftiert war (342–363, vgl. bereits 142–151 zum möglichen Ort der Grablege des Johannes). Eine Reihe allgemeiner Überlegungen führen ihn zum Ergebnis, dass dafür allein die Unterstadt infrage käme. Betont werden ferner die Funktion von Machairous als »Golgotha des Johannes« und die Bezüge zum Tod Jesu. »The Architectural Plans of the New Monument-Presentation for the Pilgrims and Visitors« (364–377) sowie ein »Epilogue« zu den »se­ver­al challenges that are facing us in the near future« (378–383), Danksagungen, ein Bildnachweis, ein Literaturverzeichnis und ein Kurzporträt des Vf.s runden den Band ab.
Trotz der erwähnten Defizite gelingt es dem Vf., die Monumen­talität und Bedeutung der hasmonäischen und herodianischen Festung und der Unterstadt eindrücklich vor Augen zu führen (vor allem 319–341) und zahlreiche neue Details in die Diskussion einzuführen wie z. B. die mit guten Gründen geänderte Rekonstruktion des Peristylhofes (vor allem 364–377), die Überlegungen zum »römischen Bad«, die massiven Bastionen, die gewaltigen Zisternen, herodianische Mosaiken und die vom Vf. in herodianische und zelotische Zeit datierte, bereits von Vardaman entdeckte Mikwe bei der westlichen Zitadelle. Abgesehen von allen inhaltlichen Fragen und einer ausführlichen Materialpräsentation, die – so ist zu hoffen – in weiteren Bänden ihre Behandlung finden werden, bietet »Machaerus I« dem Leser durch das ansprechende Layout und die zahlreichen Fotografien einen ästhetischen Genuss, den nicht viele wissenschaftliche Publikationen anzubieten haben.