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Ausgabe:

November/2013

Spalte:

1208–1210

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Lämmerhirt, Kai

Titel/Untertitel:

Wahrheit und Trug. Untersuchungen zur altorientalischen Begriffsgeschichte.

Verlag:

Münster: Ugarit-Verlag 2010. X, 907 S. m. Tab. = Alter Orient und Altes Testament, 348. Lw. EUR 130,00. ISBN 978-3-86835-005-0.

Rezensent:

Hans Ulrich Steymans

Diese bei Manfred Krebernik in Jena verfertigte Dissertation stellt eine neue Dimension in der Altorientalistik dar. Während die Ägyptologie mit Büchern von Erik Hornung und Jan Assmann längst Eingang in den allgemeinen geisteswissenschaftlichen Diskurs gefunden hat, werfen die Keilschrifttexte so große philologische Probleme auf, dass die Altorientalisten ihre Hauptaufgabe im Verständnis der Texte sehen und im Spezialistentum ihrer Disziplin verharren. Nun aber ist die philologische Basis des Sumerischen und Akkadischen so weit gelegt, dass begriffs- und geistesgeschichtliche Untersuchungen gewagt werden. Dass es sich hierbei um etwas Neues handelt, zeigen die nur fünf älteren begriffsgeschichtlichen Untersuchungen, auf die Kai Lämmerhirt in der Einleitung verweist. – Während ältere semantische Untersuchungen in ihrer Analyse kaum diachron vorgehen und etymologische Hypothesen zugrunde legen, fragt L. nach den Verwendungsweisen der untersuchten Begriffe, grenzt ihr semantisches Profil zu Gegenbegriffen ab und untersucht ihre Anwendung als Attribute für Personen.
Untersucht werden die sumerischen Begriffe zi(d) »rechts, recht, richtig, hochwertig«, ge(n) »fest, wahr«, si sa2 »Hörner (der Rinder einer Herde) angleichen, ordnen, normieren« und ihre Gegenbegriffe lul »falsch, trügerisch, verbrecherisch«, niĝ2-NE.RU »feindselig, böse« sowie die akkadischen Begriffe kittum (niĝ2-ge-na, niĝ2-zi-da) »Wahrheit«, mīšārum (niĝ2-si-sa2) »Gerechtigkeit« sowie deren Gegenbegriff sartum (niĝ2-lul-la) »Lüge, Verrat«. Was dabei herauskommt, ist ein Einblick in das Wertesystem der altorienta­lischen Kulturen und in einen sumerisch-akkadischen Sprachbund, in dem Begriffe und Wendungen aus dem Akkadischen ins Sumerische wanderten. Der diachrone Untersuchungszeitraum ist das knappe Jahrtausend von 2520–1595 v. Chr. Das Buch liest sich erfreulich zügig und spannend, denn der darstellende Teil umfasst überschaubare 417 Seiten. Der Rest des Buches bringt Materialsammlung und Verzeichnisse.
Diese Besprechung greift neben den semitischen Wurzeln s.r.r, y.š.r und k.w.n das Adjektiv zi(d) heraus. Es besitzt einen eindeutig positiven Sinn.
Schon der erste untersuchte Begriff, der mit dem vieldeutigen Keilschriftzeichen ZI geschrieben wird, zeigt die Schwierigkeit, der sich der Altorientalist stellen muss. Das Zeichen bildet eine Pflanze mit deren Blüten- und Fruchtstand ab. Es gibt verschiedene sumerischen Lexeme wieder, die neben zi(d) auch noch »Leben«, »(sich er)heben, aufstehen« und »ausreißen, zerstören« bedeuten.
Die semantischen Aspekte der untersuchten Begriffe gliedert L. in Aussagekategorien auf: Attribute von Göttern, Menschen, Körper und Verstand, Tieren, Nahrung, Wasser und Pflanzen, Gegenständen, Orten, Naturerscheinungen, Position, Richtung, Zahl, Zeit, Maß und Gewicht, bzw. Abstrakta oder Tätigkeiten.
Das Abstraktum niĝ2-zi-da kann eine Gottheit im Gefolge des Sonnengottes bezeichnen. Außerdem taucht zi(d) in verschiedenen Götterepitheta auf. Auf Menschen angewendet erscheint zi(d) in der Königstitulatur, lu2-zi kann schlicht »rechtschaffener Mann« meinen, saĝ zi einen treuen und zuverlässigen Diener, uĝ3-zi ein zuverlässiges Volk, zi-du eine Person mit korrektem Lebenswandel. In Bezug auf Körper und Verstand bezeichnet zi(d) die rechte Seite und das Rechte im Sinne des Richtigen. Unter Nahrung gibt es die rechte Milch (ga zi) für Götter und Könige, bei Pflanzen den rechten Baum. Als Gegenstände lassen sich die rechte Krone (aga zi) für König und En-Priester(in) sowie rechte Zepter, Geschenk, Diadem, Ziegel(form) und Bronzegefäß auflisten. Bei Ortsangaben dient zi(d) zur positiven Qualifikation von Ackerland, Haus, Wehr, Feld, Berg, Land, Kai, Damm, Kanal, Festhalle, Stadt, Pfad, bei Na­turerscheinungen finden sich Licht, Glanz, Sonnenlicht. Bei Angaben zur Position dient das Adjektiv wieder zur Angabe der rechten Seite, bzw. des rechten Körperteils, einmal gibt es den Ausdruck »rechtes Iku-Maß« also die Sorge um richtige Maßeinheiten. Neben dem nominalisierten Adjektiv als Abstraktum ni ĝ2-zi dient zi(d) zur Qualifikation der Abstrakta Anweisung, Antwort, Name, Schicksal, Urteile, Spruch (Omen), Entscheidung, Satzung, Los, Erkennungszeichen (Omen), Pläne, Wort, Ertrag/Einkommen, Ge­bet, Handwaschungsrituale sowie der sumerischen Termini ME und nam-en (EN-Würde). Als Verb wird zi(d) nie verwendet, wohl aber als Adverb für Ad-hoc-Bildungen. Dazu kann man noch die Wendung uš2 zi dab5 »jemanden den rechten Weg ergreifen lassen« stellen. Dieses Idiom bezieht sich auf Anweisungen für Kulthandlungen, die Leitung der Menschheit oder den Lebensweg des Einzelnen.
Die sumerische Basis ge(n) ist aus dem Akkadischen entlehnt (kēn von der Wurzel k.w.n). In zweisprachigen lexikalischen Texten wird si sa2 meist mit Derivaten von ešērum »in Ordnung sein, kommen; zugehen auf« übersetzt. In drei Belegen bezeichnet der Begriff das korrekte Einspannen der Pflugrinder.
Als Gegenstück zur positiven Bewertung durch das sumerische zi(d) sei noch die akkadische Wurzel s.r.r dargestellt, die Negatives ausdrückt. Unter den Göttern wird nur Ištar der »Trug« zusammen mit der Schlauheit (nēmequm, emqum) und der List beigestellt. In Bezug auf Menschen gelten eine Stadt, die Benjaminiten und ein Land/Gebiet als »aufständisch, untreu, unbotmäßig«. Nominalbildungen bezeichnen »Aufrührer, Betrüger, Lügner, Diebe, Verbrecher«, aber auch den »Traum«. Von Körper und Verstand werden Herz und Mund durch s.r.r qualifiziert. Unter den Tieren gilt der Fuchs als trügerisch, unter den Gegenständen die (Keilschrift-)Ta­fel und unter den Zahlen in mathematischen Texten ein vorläufiger Platzhalter in der Rechnung als »falsch«. Wort, Angelegenheit, Prozess und Urteil werden durch s.r.r negativ bewertet. Als Verbalform begegnet die Wurzel im D-Stamm »täuschen, betrügen; hin­tertreiben, missachten; abstreiten« und im N-Stamm »Ausflüchte machen«.
Neben s.r.r gehören auch die Ausführungen zu den akkadischen Wurzeln k.w.n und y.š.r in Zukunft zur notwendigen Referenz für jeden, der die gleichen hebräischen Wurzeln untersucht. Methode und Aufbau der Untersuchung überzeugen und erfreuen den Theologen durch die reiche Berücksichtigung alttestamentlicher Forschung. Ein kritischer Hinweis sei erlaubt. Wenn L. davon spricht, dass Götter einen guten Menschen z. B. durch Eintrag in die »Tafel des Lebens« belohnen und einen bösen bestrafen, liegt nicht der Tun-Ergehen-Zusammenhang im Sinne von Klaus Koch vor, wie L. meint (41 f.144), sondern ein Vergeltungsdenken. Vergeltung rechnet mit einer göttlichen Instanz, die Wahrheit und Trug belohnt oder bestraft. Im Tun-Ergehen-Zusammenhang produziert dagegen jede Tat selbst eine Sphäre, die ohne göttliche In­stanz, automatisch, Gutes oder Schlechtes auf den Täter zurückfallen lässt.
Die Dissertation setzt viel Fachwissen im Sumerischen und in mesopotamischer Geschichte voraus. Man darf hoffen, dass L. die Zeit und den Verlag finden wird, seine Begriffsbeispiele für eine breitere Leserschaft historisch und kulturell einzuordnen und so leichter zugänglich zu machen.