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Ausgabe:

November/2013

Spalte:

1206–1208

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kamlah, Jens [Ed.]

Titel/Untertitel:

Temple Building and Temple Cult. Architecture and Cultic Paraphernalia of Temples in the Levant (2.–1. Mill. B. C. E.). Proceedings of a Conference on the Occasion of the 50th Anniversary of the Institute of Biblical Archaeology at the University of Tübingen (28th–30th of May 2010). With the assis­tance of H. Michelau.

Verlag:

Wiesbaden: Otto Harrassowitz 2012. 614 S. 73 Taf. m. Abb. = Abhandlungen des Deutschen Palästina-Vereins, 41. Geb. EUR 68,00. ISBN 978-3-447-06784-3.

Rezensent:

Astrid Nunn

Der Band ist den Stadttempeln und den mit ihnen verbundenen Kulten vom Beginn der Mittelbronzezeit bis zum Ende der Eisenzeit in der gesamten Levante gewidmet. Der geographische Raum »von Aleppo zu Ataroth/Khirbet Atarus« wird gleichsam auf dem Einband mit einem Relief aus Aleppo und einem Tonstier aus Khirbet Atarus symbolisiert.
Der Band ist die Publikation eines Symposiums, das anlässlich der Feier zum 50. Geburtstag des Tübinger Instituts für Biblische Ar­-chäologie im Mai 2010 stattfand. Er ist geographisch und thematisch gegliedert. Der Teil I (3–98) fasst die Aufsätze über die nördliche Levante, der Teil II (99–258) die über die südliche Levante und der Teil III (259–420) Jerusalem und Garizim zusammen. Teil IV (421–506) ist der kultischen Ausstattung gewidmet. Eine Zusam­menfassung, mehrere Indizes und 73 Tafeln füllen zusammen etwa 125 Seiten.
Als hauptsächliche Architekturstudien kann man die Aufsätze über Tell Tainat (Türkei), Tell Afis, Ain Dara und Tell Meskene (alle in Syrien), Aleppos Zitadelle, Hazor und Garizim (beide Israel) bezeichnen. Die neuen Grabungen in Tell Tainat, seit 2008 unter Timothy P. Harrisons Leitung von der University of Toronto, zeigen, dass die syrische Tradition stärker als die assyrische den Antentempel »Gebäude II« prägte. Während der Antentempel G in Tell Afis (Stefania Mazzoni) vermutlich in Verbindung mit einem Familienschutzgott stand, war der über 500 Jahre bezeugte Tempel A dem Wettergott geweiht.
Mirko Novák gibt einen Überblick über den Tempel in Ain Dara, dessen Grundriss trotz des ihn umgebenden Gangs der syrischen Tradition verpflichtet ist. Umgekehrt weisen die ihn schmückenden Reliefs ausnahmslos hethitische Motive auf. Ferhan Sakal präsentiert die neuen Ergebnisse der deutschen Grabung in Tell Meskene/Emar. Dabei stellte sich heraus, dass Zugang und Anbindung der zwei Anten- und Haupttempel anders waren als bisher rekonstruiert. Der unter der Leitung von Kai Kohlmeyer ausgegrabene Breitraumtempel auf der Zitadelle von Aleppo wurde zwischen der Mitte des 3. Jt.s und etwa 900 v. Chr. dreimal umgebaut und mit Reliefs versehen. Sharon Zuckermann ordnet die Tempel von Hazor mithilfe der neuen Ausgrabungen, um daraus die für die Südlevante beispielslos reiche sakrale Landschaft der Bronzezeit festzulegen. Durch Yitzhak Magens Grabung wurde bewiesen, dass die Anlage in Garizim spätestens in der Achämenidenzeit gegründet wurde und weiter in der hellenistischen Zeit bestand. Anders als der Ausgräber bezweifelt jedoch Jürgen Zangenberg, dass es einen Tempel bereits in der ersten Phase gab.
In den Aufsätzen über Beth Schean, Ekron, Tel Qaschisch (Israel), Pella und Khirbet Atarus (Jordanien) werden nicht nur die Architektur der Tempelbauten, sondern auch die darin gefundenen be­deutenden Kultinventare besprochen.
Robert A. Mullins fasst die abwechslungsreiche Geschichte der Tempel von Beth Schean zwischen etwa 1450 und der Eisen-II-Zeit zusammen. Stephen Bourke beschreibt sehr übersichtlich die sechs Phasen des Tempelareals in Pella. Zahlreiches Kultinventar, Objekte aus Gründungsdepots, Favissen und Gruben geben einen einzigartigen Einblick in sich verändernde Kultpraktiken. Die größte Eigenart des Tempels in Khirbet Atarus in Jordanien, der einen Großteil der Eisenzeit deckt, ist sein sehr guter Erhaltungszustand und das aufregende Kultinventar (Chang-Ho Ji). Ein mit Stieren und einem Steinbock versehenes Gefäß im Hauptraum, ein 38 cm hoher Tonstier, ein Stierrelief und ein Kultständer, sie alle deuten darauf, dass der Hauptgott mit einem Stier verbunden war. Umso spannender ist die Tatsache, dass eine anikonische Stele im Mittelpunkt der kultischen Ausstattung und Verehrung stand. Sowohl Architektur und Funde sind in Ekron ein Spiegel sehr unterschiedlicher Einflüsse (Seymur Gitin). Für den Tempelgrundriss spielt wohl Zypern mit Kitions Heiligtum die wichtigste Rolle. Inschriften, Räucheraltäre, Keramik und zahlreiche weitere Funde vereinen Züge aus sämtlichen umliegenden Kulturen. Im Aufsatz von Edwin van den Brink, Orit Segal und Uzi Ad werden die zwei noch nicht veröffentlichten Deponierungen von Tel Qaschisch beschrieben.
In die komparatistische Richtung gehören folgende Aufsätze. Dieter Vieweger möchte wissen, was die philistäische Architektur charakterisiert, und zieht einen Vergleich zwischen dem neu ausgegrabenen Ort Nahal Pattisch und Tell el-Qasile. Bärbel Morstadt gibt eine Typologie der phönizischen Tempel im westlichen Mittelmeer. Michèle Daviau vergleicht die Kultstrukturen von Moab, Edom und dem Negev. Neben den Gemeinsamkeiten – Einbindung in die (unterschiedliche) Landschaft, kultische Einrichtungen und zahlreiche Votivgaben – sind die Grundrisse doch sehr unterschiedlich. Erhard Blum bietet die Rekonstruktion des salomonischen Tempels nicht nur über archäologische Vergleiche, sondern auch über die Auswertung von Texten.
Funktionsanalysen, Symbolik und Ikonographie sind Thema einiger weiterer Aufsätze. Innerhalb des Kultablaufs im eisen-II-zeitlichen Jerusalemer Tempel geht es Susan Ackerman besonders um die Rolle der Frauen. Diana Edelman bespricht vor allem die Funktionen des perserzeitlichen Jerusalemer Tempels, der zugleich Vorratsgebäude, Schatzhaus, Archiv, Ort der Rechtsprechung und eine Stelle für Tieropfer war. Bernd Janowski analysiert den Jerusalemer Tempel als »Ort des Lebens«, der kosmischen Ordnung, der paradiesischen Fülle und der göttlichen Gerechtigkeit. Janowski bettet dies einerseits in die umliegenden Kulturen, andererseits in ein religiöses Symbolsystem ein. Darin spielt der Gottesthron als Sinnbild für Stabilität, der Gottesstrom für Fruchtbarkeit oder auch das Angesicht JHWHs für Gerechtigkeit eine Rolle – viele Muster, die man ebenfalls in den altorientalischen Kulturen findet. Othmar Keel bearbeitet die 190 eisen-IIA-zeitlichen Siegel und Siegelabdrücke, die in Jerusalem nahe der Gihon-Quelle 2009 gefunden wurden. Passend zum Bandthema ist die Abbildung eines proto-äolischen Kapitels (Nr. 109), das möglicherweise eher auf einen königlichen Bau als auf einen Tempel deutet. Weiterhin verteidigt Keel die These, dass der Thron im Jerusalemer Tempel leer und möglicherweise mit einer Flügelsonne versehen war. Der hinter dieser Ikonographie stehende Sonnengott stand dem biblischen JHWH nahe. Dieser war allerdings ein Sturm-, Kampf- und Kriegsgott.
Der Band schließt mit einer Zusammenfassung von Jens Kamlah ab, der sehr anschaulich und mit gut lesbaren Graphiken Terminologie, Grundrisstypen, Kultobjekte und Dekoration darlegt. Alle hier vorgestellten Tempel oder Materialgruppen weisen bemerkenswerte Züge auf. Sie werden in sehr soliden Bestandsaufnahmen übersichtlich dargestellt. Manche Aufsätze bringen kaum oder nicht publiziertes Material (Emar, Hazor, Beth Schean, Pella, Atarus, Tel Qaschisch, Siegel der Gihon-Quelle). In anderen Aufsätzen reflektieren die Autoren über Kult, Funktion oder Ikonographie. Am Ende des Bandes angelangt ist man über den neuesten Stand der Tempelforschung in der Levante informiert. Jedoch wird man zu selten durch wegweisende Ansätze angeregt. Vielmehr werden viele spannende Fragen gestellt und zu wenig auch nur richtungsweisend beantwortet. Ob es sich um unterschied­liche religiöse Glaubens- und Verhaltensformen angesichts der unterschiedlichen Tempelgrundrisse und Kultinventare handelt, oder auch Sphingenthrone und die Rolle der bildlosen Objekte, all dies wird zwar differenziert, aber nicht innovativ besprochen. Dies war wohl auch nicht das Ziel dieses Bands, der dessen ungeachtet den aktuellen Forschungsstand wiedergebend noch lange als Handbuch dienen wird.