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Ausgabe:

November/2013

Spalte:

1204–1206

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Brewer, Douglas J.

Titel/Untertitel:

The Archaeology of Ancient Egypt. Beyond Pharaos.

Verlag:

Cambridge: Cambridge University Press 2012. 200 S. m. 70 Abb, 11 Ktn. u. 6 Tab. Kart. £ 29,99. ISBN 978-0-521-70734-3.

Rezensent:

Martin Rösel

Das vorzustellende Buch ist als Lehrbuch für Studierende gedacht; es soll in die Fragestellungen und Methoden der archäologischen Erforschung Ägyptens einführen. Douglas J. Brewer ist Anthropologe an der University of Illinois, Urbana (USA), sein archäologischer Hintergrund stammt aus langen Ausgrabungserfahrungen in Ägypten. Im Vorwort wird der Wunsch geäußert, dass das Buch neben Einführungen in die Kunstgeschichte und Literaturgeschichte Ägyptens gelesen werde (XVI). Damit ist m. E. eines der Grundprobleme dieses Lehrbuchs genannt, denn es ist nicht in der Lage, ein zusammenfassendes Bild von der Archäologie Ägyptens zu entwerfen, wie der Titel verspricht. Eine Fülle von Fakten und Problemstellungen der Geschichte und Religionsgeschichte Ägyptens werden vorausgesetzt, wichtige Bereiche wie etwa der Totenkult und seine Implikationen fast völlig ausgespart. Insofern vermittelt das Buch vor allem ein Bild dessen, was neben dem klas­-sischen Wissen über das Land am Nil auch noch interessant sein kann.
Das Buch ist in neun übersichtliche Kapitel und eine sehr knappe Zusammenfassung gegliedert. In der »Introduction« (1–12) wird kurz dargestellt, warum in diesem Buch der Schwerpunkt auf anthropologische Fragestellungen gelegt wird; es wird eine arg knappe Forschungsgeschichte zur Entwicklung der Archäologie Ägyptens gegeben; Leitparadigmen der Archäologie werden vorgestellt und einige Grundlagentermini (z. B. »Methode« vs. »Hypothese« vs. »Theorie«) geklärt.
Die folgenden Kapitel sind in chronologischer Abfolge angeordnet: Von der prähistorischen über die prädynastische Zeit bis hin zur Amarna-Periode werden einzelne Epochen und ihre archäologischen Problemstellungen vorgestellt, danach das jeweils nötige methodische Instrumentarium erläutert. In den Kapiteln 2 bis 4 (13–78) werden zunächst Datierungsmöglichkeiten für Ausgrabungen prähistorischer Siedlungsorte anhand von Steinwerkzeugtypologien vorgestellt, danach der Beginn der Ackerbaukultur im Niltal und die Bedeutung der Biologie, schließlich anhand der Keramik-Typologie die Entwicklung hin zu einem höher organisierten Staat.
Die Darstellung erinnert stellenweise an eine Nacherzählung eigener archäologischer Forschung B.s; er stellt sehr verständlich eine Problemstellung vor und beschreibt, mit welchem methodischen Inventar die Aufgabe bearbeitet wird. Dabei wird abgewogen dargestellt, welche Möglichkeiten und Grenzen die jeweilige Methodik hat. Leider kommt es dann aber meist nicht zu einer Verallgemeinerung, etwa indem mitgeteilt würde, in welchen Fällen jenseits der eigenen Fragen B.s das Verfahren mit welchem Erfolg angewendet wurde.
Mit dem 5. Kapitel »Unification and the King. The Limits of Archaeology« (79–100) kommt B. zur Frage nach der Reichseinigung unter dem sagenhaften König Mendes bzw. dem durch seine Palette bekannten Narmer. Diese Fragestellung wird ägyptologisch interessierte Bibelwissenschaftler sicher mehr als die vorangehenden Kapitel interessieren. Besonders instruktiv ist hier ein Vergleich der Narmer-Palette mit anderen, vergleichbaren Paletten und ihrem ikonographischen Inventar. Im Ergebnis wird deutlich, dass mit archäologischer Methodik, etwa der Auswertung der Keramikbefunde, nur die Entwicklung hin zu einer Zentralinstanz und der ungefähre Zeitraum geklärt werden können. Weitere Klärungen, etwa, ob Narmer wirklich als Reichseiniger gesehen werden kann oder Vorläufer hatte, sind nicht möglich. Das ist natürlich kein furchtbar neues Ergebnis, allerdings gefällt die Zurückhaltung, mit der die Grenzen archäologischer Arbeitsweise dargestellt werden; im Bereich der Palästina-Archäologie vermisst man das bei manchen Publikationen.
In Kapitel 6 »The first Great Circle: Hypotheses and Models« werden Hypothesen- und Modellbildung anhand von Siedlungstypen und der Entwicklung von Städten im Alten Reich mit ihren unterschiedlichen regionalen Funktionszusammenhängen dargestellt (101–123); im folgenden Abschnitt geht es um die Bedeutung von Umwelteinflüssen und deren Rekonstruktion durch Archäobiologie, -zoologie und -geologie (124–142). Hintergrund ist die Frage, ob der Zusammenbruch des Alten und Mittleren Reiches durch veränderte Umweltbedingungen erklärt werden kann; die Antwort ist erneut vorsichtig: Als alleiniges Erklärungsmodell reicht dies nicht aus.
Kapitel 8 »The Desert Frontiers: Archaeology of the ›Other‹« ist auch für Bibelwissenschaftler interessant, da es um die Frage geht, welchen Beitrag die Archäologie zur Erforschung nomadischer Lebensweisen leisten kann; hier wird auch kurz auf die für die Exodus-Überlieferung wichtigen Schasu-Texte verwiesen. Aus verschiedenen künstlerischen Merkmalen von Felsmalereien wird auf zwei verschiedene Nomadentypen geschlossen; dies ist allerdings m. E. sehr spekulativ; für die alttestamentliche Fragestellung trägt der Abschnitt wenig aus.
In Kapitel 9 »From Artifacts to Culture: Back to Basics« (159–180) geht es um die Veränderungen im Neuen Reich hin zur Steinarchitektur der Tempel; hier wird Echnatons Residenz Achet-Aton/ Amarna als Testfall verwendet, da es hier nur eine Siedlungsperiode gibt. Die Darstellung der ägyptischen Tempelkonzeption (162) kann man getrost als unzureichend kurz bewerten, auch die religionsgeschichtliche Problematik von Amarna kommt viel zu kurz. Der Abschnitt endet mit dem Ergebnis, dass die Archäologie der Unterstützung durch Philologie und Kunstgeschichte bedarf; im Insistieren auf diesem cross-disciplinary approach besteht wohl der eigentliche Wert dieser Einführung (dies wird in der Zusam­menfassung des Buches in Kapitel 10, 181 f., wiederholt). Allerdings werden die Erkenntnisse der verschiedenen Perspektiven hier nicht zu einer Darstellung auch nur einzelner Aspekte der Geschichte oder inneren Organisation Amarnas synthetisiert.
Das Büchlein kann Studierenden empfohlen werden; es ist gut lesbar und sehr verständlich geschrieben. Auch daher lässt sich nur bedauern, dass es nicht umfangreicher geworden ist; so hätte man das Gesagte besser in historische oder religionsgeschichtliche Zu­sammenhänge einordnen können. Eine Fülle von Bildern und Graphiken illustriert das Gesagte. Allerdings ist die drucktechnische Wiedergabe vieler Photographien so schlecht, dass auf ihnen fast nichts zu erkennen ist. Bei einem Preis von unter 20 Euro lässt sich das noch hinnehmen; nicht aber bei der Hardcover-Version. Sie ist dreimal so teuer, was die für den Etat ihrer Bibliotheken Verantwortlichen nur als Nötigung begreifen können.