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Ausgabe:

November/2013

Spalte:

1200–1202

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Tanaseanu-Döbler, Ilinca, and Marvin Döbler[Eds.]

Titel/Untertitel:

Religious Education in Pre-Modern Europe.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2012. XII, 254 S. = Numen Book Series, 140. Geb. EUR 107,00. ISBN 978-90-04-23213-6.

Rezensent:

Katharina Greschat

Der Band verdankt sich einem Fachdiskurs innerhalb der Religionswissenschaft, der ursprünglich im Rahmen eines Panels der Uni­-versität Bremen auf dem Kongress der Deutschen Vereinigung für Religionswissenschaft des Jahres 2007 geführt wurde. Die Zusam­menarbeit mit Wissenschaftlern der Universität Bayreuth und der Ohio State University hat den Disurs weiter profiliert – bis er im Göttinger Forschungszentrum EDRIS seine abschließende Gestalt er­hielt.
Worum geht es? Alle Beitragenden wollen das Feld der historischen Religionswissenschaft gegenüber einer Engführung auf die Religionsphänomenologie weiterentwickeln, die trotz aller Bemühungen als unzulänglich beschrieben wird, »because of its nar­-rowly reductionist approach, ignoring the complexity of religion as a web of cultural and thus per se historical processes« (29 f.). Dem Ansatz von Jörg Rüpke folgend soll ein geeigneter Rahmen abgesteckt werden, der dialektisch zwischen dem historischen Quellenbefund und der theoretischen Reflektion verankert ist. Damit können die Interdependenz von Religion und Kultur und die Mechanismen religiöser Dynamik beobachtet werden, um nicht zuletzt den akademischen Diskurs anzuregen, denn: »there can never be a theory explaining religious education, and such an explanation cannot be our aim. By developing a common analytical frame for religious education, however, we can create a frame, wherein scholars working on present day material […] can productively discuss and compare their results with scholars working on other periods and religious traditions« (30).
Wie kaum anders zu erwarten, bleibt die Frage des Rahmenmodells eher allgemein (8–18). Zunächst steht der Inhalt oder Gehalt der religiösen Unterweisung im Mittelpunkt. Doch soll nicht nur nach dem theoretischen Wissen, sondern auch nach dem Umgang mit autoritativen Texten und nach den Sprachen ihrer Überlie­ferung gefragt werden. Hier wird auf die Besonderheit des rabbi­nischen Judentums verwiesen, weil es das Erlernen der hebräischen Sprache zur Voraussetzung macht, doch erfährt es bei den Fallstudien, d. h. im materialen Teil des Bandes, keine Berücksichtigung. Im Horizont dieser ersten Frage soll auch nach Ritualkompetenz, der Schulung zur Anwendung im Alltag und der Klärung des Verhältnisses zu den anderen Feldern der jeweiligen Gesellschaft und Kultur gefragt werden. Im zweiten Fragekomplex stehen die Adressaten im Zentrum, wobei es wichtig ist, zwischen einem breiteren Publikum und der religiösen Elite oder zwischen Jungen und Älteren zu differenzieren. Darüber hinaus wird die Genderperspektive ebenso mit einbezogen wie die Frage danach, ob es sich um die Sozialisierung in einer Religion oder um die Gewinnung möglicher Proselyten handelt. Schließlich wird nach den Lehrenden und den Institutionen, den Medien und Lernmethoden und den Absichten und Ideen gefragt, die dem religiösen Lehren und Lernen zugrunde liegen.
Die chronologisch angeordneten Fallstudien (39–245) beziehen sich nicht immer exakt auf dieses Frageraster. Den bunten Reigen eröffnet Christoph Auffarth (39–61), der die Vermittlung von Religion im antiken Griechenland in Auseinandersetzung mit Werner Jaegers wirkmächtiger Vorstellung von griechischer paideia als »participation, imitation, hearing stories and telling them to others, joining in hymns and prayers« (56) beschreibt, wobei dem Chor die Rolle zukam, den Mythos immer wieder gleichsam neu zu erfinden. Hingegen sei die platonische Philosophie als Kritik an diesem Umgang mit dem Mythos zu verstehen. Vollkommen anders ausgerichtet ist hingegen der Artikel von Charles Guittard (63–75), der die überlieferten römischen Quellentexte untersucht, um herauszufinden, auf welche Weise und zu welchem Zweck sich die Römer das Wissen der etruskischen Ritualspezialisten angeeignet haben. Nach Ansicht von Reinhard Feldmeier (77–95) ist der Autor des lukanischen Doppelwerks für die Verknüpfung von Evangelium und paideia verantwortlich zu machen, die in ihrer doppelten Kodierung zwischen jüdischer Weisheit und hellenistischer Philosophie für das spätere christliche Selbstverständnis entscheidende Bedeutung erlangte, wie nicht zuletzt Melanchthons Formulierung pietas est eruditio zeige. Auch in dem ausführlichen Beitrag von Ilinca Tanaseanu-Döbler (97–146) steht die paideia im Mittelpunkt, in diesem Fall in Form einiger Konzeptionen des spätantikes Heidentums, allen voran natürlich der des Kaisers Julian, der sie zum Kriterium der Abgrenzung vom Chris­tentum machen wollte. Was als hellenismos bisher kulturelles Gemeingut aller war, reklamierte der Kaiser nunmehr mit Betonung seiner religiösen und erzieherischen Bedeutung allein für das Heidentum und »he also uses his role as pontifex maximus to educate pagan priests in accordance with his philo­-sophical and religious ideas in order to ensure that they act as imposing and efficient representatives of hellenismos« (112 f.). Doch dürfte das kleine Werk des Salutius mit der Überschrift De diis et mundo kaum für diesen Zweck verfasst worden sein, da es sich an ein größeres Publikum richtet. Am Ende des 4. Jh.s differenzierte Eunapius von Sardes verschiedene Arten von paideia, von denen ihm die theurgisch-rituelle Kompetenz besonders wichtig war. Auch wenn die Abgrenzung zum Christentum klar benannt wurde, blieb die traditionelle Religion und paideia im Unterschied zu den christlichen Bemühungen um Vereinheitlichung vielfältig, lokal verankert und auf eine Elite zugeschnitten. Etwa die gleiche Zeit nimmt Andreas Schwab (147–162) in seinem Artikel zur Rolle der Poesie in der christlichen Erziehung bei Basilius von Cäsarea, der hermeneutische Grundsätze für den Umgang mit der klassischen Literatur – keineswegs nur der Poesie – formulierte, und bei Gregor von Nazianz in den Blick. Letzterer verfasste selbst poetische Texte, um den Inhalt für die Lernenden zugänglicher zu machen. Der Aufsatz von Nikos Kalogeras (163–181) zur religiösen Erziehung in Byzanz bleibt über weite Strecken sehr allgemein; interessant ist hingegen die Analyse einer Inschrift, die das Vorhandensein einer Schule in kirchlichen Räumen plausibel macht. Den Abschluss bilden zwei Aufsätze zu den Zisterziensern: Zunächst zeigt E. Rozanne Elder (183–211) sehr anschaulich, wie man sich in diesem Orden darum bemühte, die durch den Sündenfall verunstaltete menschliche Seele in ihrer trinitarischen Struktur von Erinnerung, Vernunft und Wille zu reformieren. Marvin Döbler (213–245) ruft noch einmal ins Bewusstsein, dass religiöse Erziehung nicht nur als »narrow doctrinal instruction, pure catechism, but comprehensively as en­compassing the entire complex of religious life and practice« (220) verstanden werden soll, weshalb er Bernhard von Clairvaux als einen Lehrer begreift, der die Mittel der Philosophie und Dialektik einsetzte, um seine Hörerschaft zu korrigieren, zu belehren und zu erbauen.
Angesichts der Vielfalt der in diesem Band versammelten Beiträge staunt man über die enorme Bandbreite dessen, was über religiöse Erziehung gesagt werden kann, zumal dieses spannende Themenfeld bislang selten im Fokus gestanden hat. Und zugleich würde man gerne wissen, ob und wie diese Debatte weitergeführt werden soll. Die Publikation reiht die Aufsätze wie Perlen auf eine Schnur und verrät leider weder, welche Einsichten durch das Gespräch der Forscher untereinander befördert oder verändert worden sind, noch, ob die Beschäftigung mit den Quellen auch Rückwirkungen auf das Frageraster gehabt haben. Doch ergeben sich möglicherweise wei­-tere Gelegenheiten, mit dem hier vorgestellten Modell zu arbeiten.