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Ausgabe:

November/2013

Spalte:

1198–1200

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Gugutzer, Robert, u. Moritz Böttcher [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Körper, Sport und Religion. Zur Soziologie religiöser Verkörperungen.

Verlag:

Wiesbaden: Springer VS Verlag für Sozialwissenschaften 2012. VII, 360 S. m. 13 Abb. u. 5 Tab. Kart. EUR 39,95. ISBN 978-3-531-18186-8.

Rezensent:

Lars Charbonnier

Der Frankfurter Professor für Sozialwissenschaften des Sports Ro­bert Gugutzer und sein Assistent Moritz Böttcher verbinden mit ihrem Sammelband drei soziologisch gegenwärtig intensiv betriebene Diskurse, die allesamt von Entgrenzungsphänomen gezeichnet sind, aber bisher vor allem für sich und weniger im Gespräch miteinander verhandelt werden: Körper, Sport und Religion. Programmatisch stellen die Herausgeber dem Band deshalb die Notwendigkeit der Perspektivenverschränkung aufgrund der Überlappung im Phänomenfeld selbst voran: »Körper, Sport und Religion sind ineinander verzahnt, mal mehr, mal weniger, religiöse Verkörperungen ein gesellschaftliches Phänomen diesseits und jenseits der Religion, die Soziologie daher aufgerufen, sich diesen (sic!) thematischen Transzendenzen anzunehmen.« (10 f.) Bereits in der Einleitung führen sie dazu hinreichend Beispiele an, die aufzeigen, wie diese Entgrenzungen innerhalb der Phänomenbereiche erkennbar werden und wie sich diese ineinander verschränken, etwa in der Eventisierung der Fankultur mit einer religiös anmutenden, in starkem Maße körperlich zum Ausdruck gebrachten Ritualpraxis.
Für den religionstheoretisch interessierten Theologen lässt das, was in der Einleitung dann im Blick auf die Frage nach der Bestimmung von Religion ausgeführt wird, allerdings erkennen, dass die Herausgeber vom Sport her an diese Fragestellung herangegangen sind. Dass die Einleitung mit Luthers Diktum »Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott« beginnt, mag noch positiv überraschen. Dass mit dieser Formel aber nicht ein bestimmtes Religionsverständnis zumindest inkludiert sein soll und es deshalb nicht als Formel dafür herhalten kann, seine fehlende Bereitschaft zu be­gründen, sich »dogmatisch festzulegen, was Religion ist (genauso wenig was Körper und Sport sind)« (15), wie es von den Herausgebern angeführt wird, das scheint offensichtlich. Freilich: Eine solche eindeutige Bestimmung muss in einer Einleitung zu einem Sammelband dieser Art gar nicht sein. Darin haben die Herausgeber Recht. Denn es ist gerade anregend, die Beiträge daraufhin zu lesen, unter welchen begrifflichen Bestimmungen die einzelnen Autorinnen und Autoren jeweils ihr Feld in den Blick nehmen, und somit vor der Herausforderung zu stehen, über den Zusam­menhang von Begriffsdefinitionen und Feldbeschreibungen zu reflektieren – und damit auch Entgrenzungen zu analysieren. Der Band verfolgt die Untersuchung dieser Verschränkung seiner drei Gegenstandsbereiche und ihrer Entgrenzungen auch im theore­tischen Zugriff auf sie in vier thematischen Blöcken.
Theoretische Positionen bilden das erste Kapitel der Beiträge: Hubert Knob­lauch widmet sich dem Zusammenhang von Wissen, Praxis, Sport und Religion in Anknüpfung an seine bisherigen Arbeiten im Feld der Religions­forschung. Ausgehend von seinem wissenssoziologischen Fundament des »kom­munikativen Konstruktivismus« klärt der Luckmann-Schüler das Verhältnis von Religion und Sport im Zusammenhang der Analyse »kommunikativen Handelns« und betrachtet hierin die Verknüpfung von Sozialität, Körper und Transzendenz: Dem Körper kommt die Vermittlungsrolle zwischen sportlicher und religiöser Kommunikation zu, was Knoblauch am Beispiel von Ekstase und Spiritualität veranschaulicht. Auch Thorsten Benkel begibt sich auf Spurensuche in den Sinnwelten von Religion und Sport. Er fokussiert ebenfalls auf den Körper als Medium der Transzendenz. Die Verbindung von Körper, Religion und Praxis konzipiert Bryan S. Turner in Auseinandersetzung mit Bourdieu, Foucault und Heidegger insbesondere von den Wahrnehmungen der körperlichen Dimension der Religion her, die er gerade in den Mikroritualen des Alltags anschaulich aufzuzeigen vermag. Wie Turner im An­schluss an seine Überlegungen fordern auch Chris Shilling und Philip A. Mellor eine intensivere Berücksichtigung des Körpers in den soziologischen Theorien über Religion. Sie veranschaulichen dieses Plädoyer für eine Verkörperung der Religionssoziologie anhand eines Vergleichs der jeweiligen Körperpädagogik in Chris­tentum und Islam.
Glauben, Tod und Trauer sind die Schlagworte, unter die Beiträge in einem zweiten Kapitel subsummiert werden: Ronald Hitzler fragt nach einer angemessenen Wahrnehmungsweise von Menschen, die im Wachkoma liegen. Er stellt die These auf, dass die als Interaktion mit einem reagierenden Gegenüber wahrgenommene Kommunikation mit einem körperlich-sinnlich als alter ego nicht mehr erfahrbaren Menschen dem Kierkegaardschen »Sprung in den Glauben« gleicht, also einem Glauben an eine Transzendenz, die ebenfalls nicht sinnlich erfahrbar ist. Dem passiven Sporterleben widmet sich Stefan Hebenstreit in seinen Beobachtungen zur Sepulkral- und Memorialkultur von Fußballfans mit Blick auf Torjubel, Tod und Trauerrituale. Kornelia Sammet und Christel Gärtner widmen sich ebenfalls der kommunikativen Bezugnahme von Religion und Sport angesichts der Krise des Todes und untersuchen mit den Mitteln der objektiven Hermeneutik die Ansprachen anlässlich der Trauerfeier für Robert Enke.
Unter der Kapitelüberschrift »Heilige Orte, Rituale und Gefühle« sucht Stefanie Duttweiler nach sakralen Orten des Körperkults und findet Stadienkapellen zwischen Kirchenreligion und Ersatzreligion. Angelehnt an Hape Kerkelings Bestseller »Ich bin dann mal weg« denkt Maud Hietzge über »kleine« Transzendenzen in sportiven Praktiken nach. Thomas Alkemeyer widmet sich dem Klassikerthema im Bereich von Religion und Sport und beschreibt unter der Überschrift »Olympische Neuverzauberung der Moderne« verkörperte Formen kollektiver Sinnstiftung. Über kollektive Emotionen und kollektiven Glauben schließlich handelt der Beitrag von Gunter Gebauer.
Unter den Schlagworten Kult, Esoterik und Spiritualität befasst sich in einem vierten Block zuerst Robert Gugutzer mit der Sakralisierung des Profanen und untersucht den Körperkult als individualisierte Sozialform des Religiösen. Den Blick nach Asien richten Uta Karstein und Friederike Benthaus-Apel und untersuchen, welches transformative Potential (nicht nur) für das religiöse Feld von fernöstlichen Körperpraktiken ausgegangen ist. Ein historisches Phänomen steht im Mittelpunkt des letzten Beitrags von René Gründer: Er untersucht die soziale Konstruktion eines esoterischen Körper-Kultes am Beispiel der Runengymnastik in den 1920er Jahren in Deutschland.
Wer die einzelnen Beiträge des Bandes als multiperspektivische Zugangsweisen und darin als Tableau der Möglichkeiten betrachtet, wie Religion, aber auch Körper und Sport jeweils definiert werden können und was im Zusammenschnitt dieser drei Phänomene dabei nicht nur untersucht, sondern in wechselseitiger Erhellung auch mit Erkenntnisgewinn analysiert werden kann, der hat mit Sicherheit seine Freude an der Lektüre. Die an vielfältigen Beispielen empirischer Forschung veranschaulichte Verschränkung dieser entgrenzten Phänomene von Sport, Religion und Körper – von der ja auch nur angesichts eines Wissens um eine Pluralität an Definitionen gerade der Religion gesprochen werden kann – ist fraglos ein großes Verdienst dieses Bandes. Ob deshalb von einem »quasi ökumenischen Dialog« (15) die Rede sein muss, der ja be­kanntlich auf eine Einheit der beteiligten Akteure oder zumindest eine Gemeinschaft in versöhnter Verschiedenheit hinausläuft, sei dahingestellt.