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Ausgabe:

Oktober/2013

Spalte:

1175–1176

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Weltecke, Dorothea [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Geschichte, Theologie, Liturgie und Gegenwartslage der syrischen Kirchen. Beiträge zum sechsten deutschen Syrologen-Symposium in Konstanz, Juli 2009.

Verlag:

Wiesbaden: Otto Harrassowitz 2012. X, 151 S. = Göttinger Orientforschungen. I. Reihe: Syriaca, 40. Kart. EUR 48,00. ISBN 978-3-447-06732-4.

Rezensent:

Martin Tamcke

Dorothea Weltecke ist Professorin für die Geschichte der Religionen an der Universität Konstanz. Zwar wurde der Lehrstuhl für Semitistik an der Universität Konstanz 2005 abgebaut, aber mit Weltecke verfügt die Universität über eine Historikerin, die gerade im Bereich des mittelalterlichen syrischen und lateinischen Chris­tentums ihren Forschungsschwerpunkt hat. An ihren Lehrstuhl hat sich neuerdings auch ein Institut der syrischen Migranten in Deutschland angegliedert, das sich die Aufarbeitung der syrischen Geschichte durch die Syrer selbst zum Ziel gesetzt hat (Syrer meint hier Suryoye, Aramäer, Assyrer, Chaldäer, Syrianer, also diejenigen, die die syrische Sprache sprechen, während die Syrer, die Einwohner des Staates Syrien sind, nur in einer Minderheit heute noch hierzu zu rechnen sind und Arabisch sprechen). Weltecke beherbergte den 6. Deutschen Syrologentag vom 16.–18.07.2009 (mittlerweile fand 2011 ein weiterer in Göttingen statt, der nächste wird in Salzburg ausgerichtet). Der vorliegende Band umfasst 12 der 29 auf dem Kongress gehaltenen Vorträge.
Man mag bedauern, dass so viele Aufsätze nicht ihren Weg in den Band fanden, aber zumeist werden sie anderenorts erscheinen. Das hat wohl auch damit zu tun, dass viele Wissenschaftler der Nachfrage nach Publikationen kaum noch nachkommen können. Obwohl die Lehrstühle des Faches in ganz Deutschland abgebaut wurden in einer Zeit, in der ihre Sachkompetenz dringlicher notwendig gewesen wäre als je zuvor, hat es wohl kaum einmal ein so breites öffentliches Interesse an dem Fachgebiet gegeben wie heute.
Die Beiträge dokumentieren die Vielfalt des Faches von der sy­-rischen Christenheit auf der arabischen Halbinsel (Tubachs Beitrag zu den ostarabischen Kirchenprovinzen der Kirche des Ostens), in China (Deegs Bestandsaufnahme zum Christentum im China der Tang-Zeit), bis zur Frage der Taufe des Lahmidenkönigs Nu’man im arabischen Hira (Toral-Niehoff). Lebensbedingungen der sy­-rischen Christen werden erörtert (Bruns zu den farblichen Kennzeichnungen der Christen in der islamischen Welt), sprachliche Wandlungen (Younansardaroud zu Neologismen) und natürlich patristisch-theologische Themen (Lange zu Timotheos Ailurios, Possekel zu Thomas von Edessa). Theresia Hainthaler steuerte ein liturgisch-theologisches Thema bei (Christologie der ostsyrischen Liturgie), Ulrike-Rebekka Nieten eines zum Vergleich von byzantinischem und syrischem Oktoechos und zu dessen Einfluss auf die arabisch-muslimische Musik, und ein Beitrag wies mit dem Thema »Rückwanderung oder Bleiben« auf das im Sammelband nicht mehr für die Gegenwart zur Sprache kommende Thema der Migration hin, das verstärkt erforscht werden muss, da die nunmehr oft dritte oder vierte Generation in der Migration die Mentalität der Syrer grundsätzlich sich ändern sieht und die Kluft zwischen Integration und der Herkunftspflege immer deutlicher werden lässt. Geradezu aufregende Beiträge auf der Konferenz wie der von Shabo Talay, der eine polemische Schrift aus syrisch-orthodoxer Feder gegen die im Tur Abdin eindringenden Protestanten vorstellte, konnten leider nicht für den Druck fertiggestellt werden. Der Bischof der syrisch-orthodoxen Kirche in den Niederlanden steuerte Beobachtungen zu Ephraem bei.
Zu gern hätte man hier einen Beitrag zur gegenwärtigen Situation der syrischen Christen im Irak, in Syrien, dem Libanon, der Türkei oder dem Iran gesehen. Noch immer aber fällt es im Fach schwer, Notwendigkeiten in den his­-torisch-philologisch-theo­lo­gischen Be­reichen mit denen der gegenwärtigen Herausforderungen zu kombinieren. Zu tief sitzen da Ängste davor, dass Ge­genwartsfragen die historischen überlagern oder gar verdrängen oder historische Perspektiven gegenwärtigen Notwendigkeiten im Wege stehen könnten. Das kleine Fach spiegelt da die Kontroversen des großen Nachbarn (Islamwissenschaft in Spannung zur islamischen Theologie und die Frage, ob womöglich dann nur noch orientalische Muslime islamische Theologie lehren oder nur noch syrische Migrantennachfahren Syrologie betreiben sollten) und täte doch gut daran, sich da gar nicht erst zusätzlich verschleißen zu lassen.
Einige Beiträge sind bemerkenswert, andere – wie die von Tu­bach und Toral-Niehoff – fordern zu Gegenproben heraus, andere wird man gern zur Hand nehmen, um einen ersten Überblick zu be­kommen für bestimmte Themenbereiche (Deeg, Hainthaler). Die Herausgeberin ist zwar nicht mit einem eigenen Beitrag vertreten, hat sich aber die Mühe gemacht, die Beiträge im Vorwort kurz zu charakterisieren. Weltecke meint mehrfach, dass die versammelten Beiträge typisch seien für die deutsche Forschung auf diesem Feld, und sie fordert »transsyrische« Forschungen. Die würden dann die interkonfessionellen und interreligiösen Forschungen stärker bündeln und in eine Gesamtgeschichte des Christentums einzeichnen können. Das ist für die Lehrbücher der Kirchengeschichte noch ein Wunschtraum (allen ökumenischen Be­schlüssen und Schwüren zum Trotz finden sich in kirchengeschichtlichen Lehrbüchern im­mer noch Monophysiten anstelle der Miaphysiten, finden also alte Ketzerverurteilungen und -bezeichnungen, so auch »Nestorianer«, weiter Verwendung, die zutiefst dem Geist eines gleichberechtigten Miteinanders der Konfessionen widersprechen).
In einer Zeit, in der kein Lehrstuhl mehr für den christlichen Orient gesichert ist, werden solche Treffen von Wissenschaftlern, die aus den hier üblichen wissenschaftlichen Perspektiven heraus sich mit Geschichte und Gegenwart der syrischen Ethnien und Kirchen befassen, immer wichtiger, um wenigstens den Diskurs der unterschiedlichsten Disziplinen, die an der Forschung in diesem Bereich partizipieren (Semitistik, Evangelische und Katholische Theologie, Orientalistik, Religionswissenschaft, Kulturanthropologie, Politologie etc.) lebendig zu erhalten. Schon deshalb ist es gut, dass der Fortgang dieser Treffen auch publizistisch greifbar ist, und es bleibt nur zu wünschen, dass das Buch viele Leser findet – und Eingang in die fachspezifischen Diskurse und darüber hinaus.