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Ausgabe:

Oktober/2013

Spalte:

1169–1171

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Friedrich, Martin, u. Hans Jürgen Luibl[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Glaubensbildung/Formation of Faith. Die Weitergabe des Glaubens im europäischen Protestantismus/Handing down Faith in European Protestantism. Hrsg. im Auftrag des Rates der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2012. 464 S. Kart. EUR 34,00. ISBN 978-3-374-03087-3.

Rezensent:

Friedrich Weber

Die Studie beschreibt Zugänge und Erfahrungen evangelischer Kirchen in Europa hinsichtlich der Weitergabe des Glaubens. Da­mit ist die von der 6. Vollversammlung der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) 2006 in Budapest gestartete Initiative, »die Bildungspotenziale der evangelischen Kirchen bewusst zu machen, Glaubensbildung als Zukunftsweg der Kirchen zu beschreiben und den evangelischen Beitrag für eine zu­künftige europäische Bildung zu skizzieren«, bearbeitet. Begründet wurde der Auftrag damit, dass die Reformation von An­fang an mit dem Programm einer umfassenden Bildung verbunden war und sich die reformatorischen Kirchen bis heute als Bildungsträger verstehen.
Im Fokus der Studie ist auch die Europäische Union, der verdeutlicht werden soll, »in welchem Sinne das Evangelium nicht nur Bildungsgut ist, sondern einen Bildungsauftrag und -an­spruch impliziert. Es geht darum, Bildung aus Glauben zu europäisieren und die Orientierung an der Freiheit in Verantwortung, das christliche Menschenbild und die Orientierung am Gemeinwohl in die europäische Bildungsdebatte einzubringen.« Die Autoren der Studie: Interessanterweise sind abgesehen von der dänischen Organistin Jytte Lundbak, die an unterschiedlichen Praxisbeispielen ein faszinierendes Bild davon ver­mittelt, wie in ihrer Heimatkirche ästhetische Bildung durch Chöre und Kirchenmusik zur Vermittlung des Glaubens beiträgt, nur Männer im wegen seiner Zweisprachigkeit voluminösen Band versammelt. Die Darlegung er­folgt in drei Schritten: 1. Grundlagen, 2. Regionen, 3. Konkretionen.
Indem Michael Bünker im einleitenden Aufsatz die GEKE als eine Lerngemeinschaft beschreibt, »die sich um die Verständigung der doctrina evangelii im Dialog mit den aktuellen Herausforderungen der Zeit bemüht«, macht er zugleich deutlich, dass das Modell der »Einheit in versöhnter Verschiedenheit« von elementarer Bedeutung für ein Europa sein kann, dem es um das Zusam­menleben der Verschiedenen auf der Grundlage der Menschenrechte ankommt. Bildung, so seine These, »muss vom Menschen aus nach den Zielen der Gesellschaft und Wirtschaft fragen und aus dieser Perspektive Lernwege eröffnen«. Eberhard Harbsmeier nähert sich dem Thema mit historischen und systematischen Ausführungen, indem er verdeutlicht, dass die »Weitergabe des christlichen Glaubens und Lebens […] mit unseren Bildungsidealen« zu tun hat, die er mit Kierkegaard, Schlegel, Grundtvig entfaltet, um festzuhalten, dass »christliche Erziehung […] keine Erziehung zum Glauben, sondern im Glauben ist.« Für Peter Bubmann geht es darum, »Bildung im Kontext der Wirkkraft des Glaubens zu thematisieren«. Für ihn ist es notwendig, dass es auf europäischer Ebene Lernorte gibt, an denen »Glaubensbildung als Ausbildung christlicher Lebenskunst« geübt werden kann.
Im zweiten Teil der Studie werden exemplarische Reaktionen auf Herausforderungen in einzelnen Ländern und Regionen Europas hinsichtlich des Spannungsverhältnisses von Weitergabe des Glaubens und Bildung beschrieben.
Boguslaw Milerski beschreibt die Situation in Polen nach der Systemtransformation 1989, stellt das Spannungsverhältnis zwischen der Konzentration der Arbeit einer Minderheitskirche auf die Gemeinde und der eigentlich nötigen überörtlichen Bildungsarbeit dar und hält fest, dass im mittel- und osteuropäischen Protes­tantismus die religiöse Bildung »durch die evangelischen Kirchen in mehrdimensionaler Besinnung und ganzheitlicher Verantwortung entworfen und durchgeführt« wird. Béla Hamarti berichtet über die Neuentwicklung evangelischer Schulen in Ungarn, deren Aufgabe es sei, »eine biblische und zur gleichen Zeit moderne Gotteserfahrung und Kirchenerfahrung« zu erschaffen, letztendlich Räume für missionarisches Handeln zu eröffnen.
Der Bericht von Stefan Myrskog zum Projekt »Die Rechte von Mädchen und Jungen in der Kirche« entfaltet neue Möglichkeiten einer Kirche, die sich als partizipative Gemeinschaft versteht, damit aber auch enge Verbindungen zur Zivilgesellschaft entwi-ckeln möchte. Der Bericht lässt aber auch deutlich werden, dass es noch unklar ist, welche Auswirkungen das Projekt »auf die christ­-liche Bildung haben wird«. Die Situation der Zürcher Kantonal­kirche ist – so Thomas Schlag in seinem Beitrag zum neuen religionspädagogischen Gesamtkonzept – stark von Säkularisierungsprozessen bestimmt, dessen ungeachtet ist für die Mehrheit der Be­völkerung die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft Teil ihrer persönlichen und gesellschaftlichen Identität. Indem im neuen Konzept religiöses Lernen als Lernen aus Erfahrungen und durch Übernahme von Verantwortung verstanden wird, eröffnet sich ein Versuch intergenerationeller evangelischer Bildung, der auch die Eltern in den Bildungsprozess der Kinder integrieren möchte. Ganz anders sind die Ansätze im italienischen Kontext der Waldenserkirche. Ermanno Genre legt eine deutliche »prophetische« Gegenposition, die er offensiv als Angebot für alle Leuenberger Kirchen darstellt, zu dem die italienische Gesellschaft be­stimmenden Mainstream vor. Dass er dabei die hochdifferenten unterschiedlichen Situationen aus dem Blickwinkel der Situation seiner Kirche betrachtet, wird die kritische Auseinandersetzung mit seinem Beitrag fördern. Als ein von ihm angesprochener Aspekt sei die Frage genannt, ob der Glaubensweg mit der Teilnahme am Abendmahl beginnen kann, dem später erst die Taufe folgt.
Umfänglich sind die im dritten Teil der Studie beschriebenen »Konkretionen und Lernorte«. So berichtet Neil Thorogood über Glaubenserziehung in der Familie, die er auch als ökumenischen Dialog entfaltet. Friedrich Schweitzer, Wolfgang Ilg und Henrik Si­mojoki entfalten die Ergebnisse einer Untersuchung zum Konfir­mandenunterricht in europäischer Perspektive, ohne zu verschweigen, dass die Erfahrungen der Jugendlichen mit dem pflichtgemäß besuchten Gottesdienst neuralgisch sind. Hatte Jytte Lundbak in ihrem bereits erwähnten Beitrag Einblicke in die kirchenmusikalische Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen gegeben, so wird im eher grundsätzlichen Beitrag von Ole Brinth die Wechselwirkung zwischen Theologie und Musik thematisiert. Hans Jürgen Luibls Beitrag zu den Glaubenskursen fragt danach, ob diese Elemente einer neuen Glaubensbildung seien. Seine Ergebnis ist richtungweisend, indem er feststellt, dass Glaubenskurse unterschiedlichen Optionen der Wissensgesellschaft dienen: »die eine Option ist Wissen, die andere Vergewisserung; die eine Option ist die der freien Sinnsuche und Sinndeutung, die andere jene der Beheimatung in fremd gewordener Tradition«. Die sich anschließenden Beiträge von László Kállay, Peter Morée und Harald Schroeter-Wittke gewichten sodann die Bedeutung der Evangelischen Akademien und deren Chancen im europäischen Kontext, Seminare mit interreligiöser Partizipation und das Erfolgsmodell des deutschen Evangelischen Kirchentags als Ort gemeinsamen Lernens. Abschließend lässt Oliver Schuegraf Anteil nehmen an Versöhnungsorten und am versöhnten Erinnern als evangelischer Glaubensbildung.
Der vorgelegte Band macht deutlich, dass Bildungsarbeit zum Grundauftrag der Kirche gehört und damit zur Verkündigung des Evangeliums. Faszinierend ist die Darstellung der im europäischen Kontext entwickelten Lernorte und Lernarten.