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Ausgabe:

Oktober/2013

Spalte:

1150–1151

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Charbonnier, Lars, Merzyn, Konrad, u. PeterMeyer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Homiletik. Aktuelle Konzepte und ihre Umsetzung.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012. 251 S. = Elementar. Arbeitsfelder im Pfarramt, 1. Kart. EUR 19,99. ISBN 978-3-525-62003-8.

Rezensent:

Martin Weeber

So wichtig die Kenntnis der historischen Tiefe der Homiletikgeschichte ist, so interessant ist die Breite der gegenwärtigen Predigtkonzepte. Drei jüngere Homiletiker, wissenschaftliche Mitarbeiter an Lehrstühlen in Berlin, Göttingen und Frankfurt, bieten nun die bequeme Möglichkeit eines Überblicks über das, was im deutschsprachigen Raum homiletisch gelehrt wird oder in jüngster Zeit gelehrt wurde: 14 Homiletikerinnen und Homiletiker stellen in aller Kürze ihre predigttheoretischen Konzepte und Einsichten vor. Die getroffene Auswahl ist, bei unvermeidbaren Lücken, repräsentativ und frei von Einseitigkeiten.
Dem Elementarisierungsanspruch der Buchreihe gemäß sind alle Beiträge so verfasst, dass sie mit Gewinn auch von jenen zu lesen sind, die weniger an den Finessen der fachinternen Debattenlagen interessiert sind als vielmehr an Texten mit Anregungspotential für die Reflexion der eigenen Predigtpraxis. Kurz: Von jedem der hier versammelten Texte lässt sich etwas lernen – und sei es nur die Einsicht, dass kein einziges theoretisches Predigtkonzept die Aufgabenfülle abzudecken vermag, die sich mit der Komplexität eines konkreten Predigtauftrags stellt: Unterschiedliche Anlässe, unterschiedliche Situationen, unterschiedliche Predigerpersönlichkeiten verlangen nach individueller Aneignung und Variation homiletischer Konzepte und Einsichten. Die eine Homiletik, die für alle Predigenden und für alle Predigtaufgaben passt, kann es nicht geben.
Allen Autoren wurde für ihre Beiträge ein vierteiliges Gliederungsschema vorgegeben: »Ein erster Unterabschnitt skizziert das essenzielle theoretische Inventar der homiletischen Konzeption, ein zweiter beschreibt reflexive Konsequenzen für die Predigtvorbereitung mit Blick auf eine konkrete Predigt, ein dritter stellt eine Beispielpredigt vor, die sich derartiger Reflexion verdankt, ein kurzer Epilog rundet den Beitrag unter der Fragestellung ab, was aus Konzeption und reflexiver Umsetzung grundsätzlich für das Theorie-Praxis-Verhältnis in der (Praktischen) Theologie folgt.« (16)
Gegliedert sind die 14 Beiträge in drei Abteilungen: Die erste Abteilung versammelt Texte, die ihren Ausgangspunkt bei eher grundsätzlichen Bestimmungen der Predigtaufgabe nehmen: Isolde Karle setzt hier am umfassendsten an mit der Verschränkung systemtheoretischer, homiletischer und neuzeittheoretischer Perspektiven, Christian Möller macht die seelsorgerliche Aufgabe der Predigt stark, Helmut Schwier erläutert die homiletischen Potentiale einer hermeneutisch reflektierten Exegese, Martin Nicol und Alexander Deeg stellen ihr Erfolgsmodell der Dramaturgischen Homiletik auf angenehm zurückgenommene Weise dar, fernab von allen überzogenen Ansprüchen; Manfred Josuttis entwirft ein Verständnis der Predigt als »Machtkampf« (88).
In der zweiten Abteilung finden sich Beiträge, die stark an der »Aufführung« der Predigt orientiert sind: Gerhard Marcel Martin orientiert sich an Umberto Ecos Theorie des »Offenen Kunstwerks«, David Plüss legt, in Aufnahme anthropologischer Einsichten über den Menschen als »szenisches Wesen« (120), Wert auf die »Textinszenierung« der Predigt, Michael Meyer-Blanck plädiert für die »Verbindung reformatorisch-biblischer und neuprotestantischer Theologie« und für die »Verbindung von äußerer Zeichenhaftigkeit und innerer Evidenz« (137), Albrecht Grözinger macht die Ästhetik und deren Sinn für den »Form-Inhalts-Zusammenhang« (154) stark, Uta Pohl-Patalong präsentiert ihr Modell einer bibliologischen Predigt, Jan Hermelink entfaltet die homiletische Situationserschließung als »Arbeit an mentalen Modellen« (182).
Die dritte Abteilung vereint Texte, die ihren Einsatz dezidiert bei einer Hermeneutik gegenwärtiger Religion und ihrer Kontexte finden: Hans-Günter Heimbrock entfaltet die homiletische Arbeit als »Spurensuche in lebensweltorientierter Perspektive« (204). Wilhelm Gräb entwirft eine Homiletik, die darauf zielt, die Predigt als ein »Angebot an die religiöse Selbstdeutung der im Reden und Hören beteiligten Subjekte« (216) zu gestalten. Birgit Weyel profiliert die Predigt als eine »Verständigungsbemühung über die Lebensbedeutsamkeit des christlichen Glaubens« (234).
Eine kluge Einleitung der Herausgeber deutet den Befund, der sich aus der Wahrnehmung der präsentierten Konzepte ergibt: Die Zeit der ganz großen homiletischen Alternativen ist vorbei, die verschiedenen Ansätze lassen sich perspektivisch aufeinander beziehen.
Gleichwohl lassen sich unterschiedliche Akzente feststellen, die sich teils unterschiedlich pointierten Christentumsauffassungen, teils ganz individuellen und kaum verallgemeinerbaren Bildungserfahrungen der Autoren verdanken. Deutlich wird auch, dass manche der Modelle auf Beobachtungen fußen, die allein nicht in der Lage sind, ein umfassendes Predigtkonzept zu tragen.