Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/1999

Spalte:

521 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Tovey, Derek

Titel/Untertitel:

Narrative Art and Act in the Fourth Gospel.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1997. 296 S. gr.8 = Journal for the Study of the New Testament, Suppl.Series, 151. Lw. £ 45.-. ISBN 3-85075-687-2.

Rezensent:

Eckart Reinmuth

Diese leicht überarbeitete Fassung einer Durhamer Dissertation von 1994 ist v. a. als methodologische Studie zum Johannesevangelium zu lesen; sie bezieht sich weitgehend auf das erzähltheoretische Werk von Franz Karl Stanzel und dokumentiert damit dessen bedeutende angelsächsische Rezeption. Stanzels narratologischer Grundbegriff ist die ,Mittelbarkeit’ von Erzählungen, also das Verhältnis zwischen dem Erzählinhalt und der Weise, wie erzählt wird. Er unterscheidet drei idealtypische Erzählsituationen (ES), in denen die Erzählinstanz erscheint: die auktoriale, die Ich- und die personale ES. Die auktoriale ES ist durch die Außenperspektive eines allwissenden Autors/Erzählers gekennzeichnet, der auch Kommentare und Reflexionen äußern kann, und dessen Seinsbereich mit dem der Figuren nicht identisch ist. Bei der personalen ES tritt an die Stelle der Erzählerfigur eine Reflektorfigur; dadurch wird der Eindruck einer unmittelbaren Darstellung vermittelt, bei der die Innenperspektive vorherrscht. Diese Unterscheidungen sind für T. von hoher Bedeutung, weil er die These zu begründen versucht, daß sich die Mittelbarkeit des vierten Evangeliums zunehmend von einer auktorialen zu einer personalen ES verschiebt. Damit ist die Folgerung verbunden, daß der Status des Erzählers auf Augenzeugenschaft bzw. Berichten aus erster Hand beruht. Eine zweite methodische Vorgabe der Untersuchungen ist die literaturtheoretisch rezipierte Sprechakttheorie, bes. nach J. R. Searle, der die Bedeutung der Sprechakttheorie im Sinne einer allgemeinen Bedeutungstheorie sehr umfassend definiert. Der lit. Text wird nun auf seine Elemente und Funktionen hin analysiert, die als Sprechakte verstanden werden können, und er wird damit stärker in seiner beabsichtigten Wirkung an den intendierten Adressaten gesehen.

Das Buch enthält eine Einführung und zwei Hauptteile; den Schluß bilden ein Appendix (in Anlehnung an Stanzels Modell wird ein Typenkreis antiker Erzählgattungen vorgeschlagen), Bibliographie, Stellen- und Autorindex. Im Stellenindex müssen 51 unter 1Pt genannte Stellen (außer 5,1-5) unter Joh eingeordnet werden. Die Bibliographie enthält u. a. wichtige Titel zur literaturtheoretischen Rezeption der Sprechakttheorie (z. B. Felman, Petrey), die bedauerlicherweise im Text nicht diskutiert werden.

Der erste Haupteil ’The Dynamics of Art and Act’ enthält Überlegungen zur Anwendung des Mittelbarkeits-Begriffs auf die johanneische Erzählperspektive, zur Sprechakttheorie und ihrer Anwendung auf das vierte Evangelium, zur Möglichkeit, den Lieblingsjünger als Reflektorfigur zu identifizieren - dazu wird die ES in Kapp. 13-21 untersucht -, sowie zur Erzählhandlung in Joh 3, bei der exemplarisch der Übergang von Erzählerfigur zu Reflektorfigur beobachtet wird. Die personale ES wird durch den Lieblingsjünger verkörpert, der als Reflektorfigur fungiert. Er dient als Zeuge und autoritative Quelle des Erzählten (21,24). Es bleibt freilich zu prüfen, ob der Typus der personalen ES tatsächlich auf das Johannesevangelium angewendet werden kann. Leider wird u.a. zu wenig untersucht, welche Bedeutung die Rolle des Parakleten für das Selbstverständnis des impliziten Autors hat.

Der kürzere zweite Teil enthält unter der Überschrift ’History and Theological Display’ zunächst Ausführungen zum Johannesevangelium als darstellendem Text (als einziger antiker Vergleichstext wird Charitons Chaereas und Callirrhoe herangezogen), sodann eine Erörterung des Zusammenhangs von Geschichte und theologischer Darstellung, die anhand der Perikope von der Tempelreinigung und ihrer historischen Rekonstruktion ausgeführt wird, und abschließend eine Zusammenfassung. Den zweiten Teil bestimmt also die Frage, wie das Verhältnis des vierten Evangeliums zu literarischer Fiktion bzw. zu historischer Erzählung zu bestimmen ist. T. versucht eine Ortsbestimmung im Grenzbereich zwischen Geschichte und Fiktion; er betont, daß der Autor nicht einen fiktionalen Text, sondern einen historischen Bericht (freilich nicht nach modernem Maßstab) in theologischer Darstellung beabsichtigte. Gerade hier aber scheinen mir weitere historische Untersuchungen zu den Mitteln und Konventionen antiker Geschichtsschreibung dringend erforderlich, um das vierte Evangelium unter dieser Fragestellung genauer charakterisieren zu können.

Es fällt nicht immer leicht, angesichts der vielfältig angeschnittenen Themen und methodologisch begründeten Erwägungen dem roten Faden der Untersuchung zu folgen. Dabei stellt sich der Eindruck ein, daß gegenüber den breit erörterten methodologischen Fragen die erforderliche Textanalyse zu kurz kommt. Die Ergebnisse gewinnen so nicht an Überzeugungskraft. Der Vf. bringt mehrfach zum Ausdruck, daß er seine Arbeit als methodologisches Prolegomenon zu weiteren Forschungen verstanden wissen will. Hier liegt in der Tat der Wert dieser Studie, die freilich auch in methodischer Hinsicht manch neue Frage anstoßen mag.