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Ausgabe:

Oktober/2013

Spalte:

1122–1124

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Axt-Piscalar, Christine

Titel/Untertitel:

Was ist Theologie? Klassische Entwürfe von Paulus bis zur Gegenwart.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2013. XIV, 376 S. = UTB 3579. Kart. EUR 24,99. ISBN 978-3-16-150214-9 (Mohr Siebeck); 978-3-8252-3579-6 (UTB).

Rezensent:

Christian Danz

Nicht nur in der Geschichte des Christentums, auch in der jüngs­ten Gegenwart sind sehr verschiedene Konzeptionen von Theologie ausgearbeitet worden. Sie reichen von eher kirchlich ausgerichteten Theologieverständnissen bis hin zu kulturtheoretischen Entwürfen. In dieser Bandbreite schlagen sich auch die veränderten soziokulturellen Bedingungen nieder, auf die sich die theologische Reflexion jeweils bezieht. Seit der »Sattelzeit der Moderne« (Reinhart Koselleck) konkurrieren unterschiedliche positionelle Theologien um die Deutungshoheit des Wesens des Christentums sowie ein angemessenes Verständnis von Theologie. Das anzuzeigende Buch der Göttinger systematischen Theologin Christine Axt-Piscalar unternimmt den Versuch, eine Antwort auf die Frage Was ist Theologie? vor dem Hintergrund von deren Geschichte zu geben.
Das Anliegen des Buches, welches aus Vorlesungen hervorgegangen ist, sei es, »das charakteristische Profil klassischer Entwürfe der Theologie« herauszuarbeiten und so »die Vielgestaltigkeit ersichtlich werden« zu lassen, »von der die Theologie durch ihre Geschichte hindurch bestimmt war und ist« (V). Die Vfn. spannt in der Untersuchung einen weiten Bogen von Paulus über Thomas von Aquin, Luther sowie die Aufklärung bis hin zu den Münchner systematischen Theologen Wolfhart Pannenberg und Trutz Rendtorff. Das lässt bereits erkennen, dass es bei dem Thema, was ist Theologie, nicht um diese als Ganze geht, sondern in erster Linie um systematisch-theologische bzw. dogmatische Konzeptionen von Rang. Entsprechend werden in dem Buch vorrangig Theologen behandelt, an denen »grundlegende Fragestellungen deutlich werden«, »die sich für die Wahrnehmung von Theologie ergeben und bleibend von Bedeutung sind für die Verständigung darüber, was zu den grundlegenden Aufgaben der Systematischen Theologie« (ebd.) gehört. Vorgestellt werden mithin Klassiker der Theologie.
Das Buch ist als Studienbuch für Studierende der Theologie sowie der Religionspädagogik angelegt und entsprechend didaktisch aufbereitet. Die jeweiligen Abschnitte sind so angelegt, dass zunächst fundamentale Quellentexte angegeben und am Ende weiterführende Standardliteratur benannt werden. Die Interpretation der vorgeführten Autoren beschränkt sich auf deren jeweilige theologische Konzeption, deren Voraussetzungen und systema­tische Implikationen. Ein Literaturverzeichnis (347–359) sowie Na­men- (361–363) und Sachregister (365–376) beschließen den Band und ermöglichen dem Leser eine leichtere Orientierung.
Die Vfn. setzt ein mit Reflexionen zu der Frage Wie kann von Gott geredet werden? (1–8) und erörtert die Quellen der Gotteserkenntnis, die Bedeutung des Wortes Gott, die religionsgeschichtliche Frage nach dem Verhältnis des Christentums zu den nichtchristlichen Religionen sowie das Verhältnis von Theologie und Philosophie und das Problem des Gegenstandsbezugs der Theologie. Die Einbeziehung der philosophischen Frage nach Gott sowie die Bestimmung des Verhältnisses von philosophischer und theologischer Reflexion des Gottesgedankens markieren ein besonderes Anliegen der Vfn. »Dass die Philosophie für den Vollzug des Denkens und die aus ihm gewonnenen Aussagen den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt, die Theologie wiederum unabdingbar auf Person und Geschichte Jesu Christi und damit auf einen ge­schichtlichen Bezugspunkt in höchst konkreter Gestalt verwiesen ist, macht die Auseinandersetzung spannend und umso spannender dann, wenn die Theologie daran festhält, dass Person und Geschichte Jesu Christi den Charakter individueller Besonderheit von zugleich universaler Bedeutung haben.« (7)
Der zweite Abschnitt des Buches ist der Schrift als Grundlage der Theologie gewidmet (Die biblischen Schriften als Reflexionsgestalten der Gotteserfahrung und das Verstehen als genuines Moment des Glaubensvollzugs, 9–16). Thematisiert werden in diesem Zusam­menhang das Verhältnis von Altem und Neuem Testament sowie das Kanonproblem. Letzteres wird von der Vfn. so beantwortet, dass sich die biblischen Schriften »gleichsam selbst zum Kanon ge­macht« haben, und zwar »im und durch ihren Rezeptionsprozess in den Gemeinden« (15). Der zweiteilige biblische Kanon repräsentiert die grundlegende Reflexionsgestalt des Glaubens, insofern er selbst »Ursprungsgestalt des christlichen Glaubenszeugnisses« (11) ist. Die Aufgabe der Theologie und insbesondere der Dogmatik ist es, mit Bezug auf den biblischen Kanon und in Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Wahrheitsbewusstsein das Wesen des christlichen Glaubens zu bestimmen und zu explizieren.
Der Überblick über die maßgeblichen Konzeptionen der Theologie ist weitgehend chronologisch angelegt. Eine Abweichung von diesem Gliederungsprinzip findet sich allerdings gleich am An­fang. Die Vfn. setzt mit einem Überblick über die Theologie des Paulus ein (17–32) und erörtert sodann Grundzüge der platonischen Philosophie (33–45). Die Anordnung lässt erkennen, wie die Vfn. das Verhältnis von Theologie und Philosophie, von geoffenbarter und natürlicher Gotteserkenntnis begreifen möchte. Während aus den Briefen des Paulus Grundfunktionen von Theologie (17) herausgearbeitet werden, fungiert Platon als Paradigma für die natürliche Gotteserkenntnis. Die Theologie kann ihren Gegenstand – die Wi­rklichkeit Gottes – auf eine angemessene Weise allein im Ge­spräch mit der Philosophie entfalten. Die Differenz zur vernünftigen Er­kenntnis Gottes liegt freilich in der geschichtlichen Konkretheit und Bestimmtheit der Offenbarung Gottes. »Damit verbindet sich zugleich die Aufgabe, den Vollzug von Religion, gerade indem er sich auf Offenbarung und damit verbunden auf die Geschichte Jesu Christi bezogen weiß, als einen solchen darzutun, der genau darin der Selbstoffenbarung Gottes als Grundlage des wahrhaften Got tesverhältnisses entspricht.« (45) Paulus und Platon markieren somit eine Grundspannung, die sich nicht nur durch die gesamte Geschichte der Theologie hindurchzieht und die un­terschiedlichsten Auflösungen findet, sondern der sich jede Theologie, so sie ihrem Gegenstand gerecht werden möchte, zu stellen hat. Seine auch für die Vfn. orientierende Einlösung findet dieses Programm in der universalgeschichtlichen Konzeption Wolfhart Pannenbergs (308–322). Die von dem Münchner Theologen vorgenommene Verzahnung von Offenbarungstheologie und vernünftiger Gotteserkenntnis bewahrt die Theologie vor dem Verlust ihres universalen Wahrheitsanspruches. »Ein Selbstverständnis von Theologie, das diesen universalen Wahrheitsanspruch des christlichen Gottesgedankens nicht wahrnimmt und entsprechend entfaltet, bleibt Pannenberg zufolge hinter dem der Theologie von ihrem Gegenstand her aufgegebenen Horizont zurück.« (308)
Vor dem Hintergrund der genannten Konstellation wird deutlich, dass sich die Vfn. in ihrem Durchgang durch die Problemgeschichte der Theologie nicht nur auf theologische Konzeptionen beschränkt. Neben wichtigen philosophischen Konzeptionen – Des­cartes (200–210), Kant (211–227), Hegel (228–243) – werden konfessionelle Eigenheiten wie Die Kontroverse um die Schrift als alleiniges Erkenntnisprinzip der Theologie (119–131), Bedeutung und Funktion des Bekenntnisses für die evangelischen Kirchen (132–149), Die katholische Lehre vom Dogma (150–166) thematisiert. Weiterhin traktiert die Vfn.: die frühchristlichen Apologeten (46–54), Augus­tin (55–64), Thomas von Aquin (65–78), Martin Luther (79–94), Philipp Melanchthon (95–107), die altprotestantische Orthodoxie (108–118), Philipp Jacob Spener (167–178), die Aufklärung (179–199), Fried­rich Schleiermacher (244–264), Ernst Troeltsch (265–280), Karl Barth (281–294), Paul Tillich (295–307), Wolfhart Pannenberg sowie Trutz Rendtorff (323–338).
Das letzte Kapitel des Bandes – Zu den Aufgaben der Dogmatik (339–345) – lotet auf der Grundlage des Durchgangs durch die Problemgeschichte der Theologie die Anforderungen an eine modernegemäße theologische Dogmatik aus. Sie besteht in einer Bestimmung und gedanklichen Entfaltung des Wesens des christlichen Glaubens. In dieser Formel fasst die Vfn. die geschichtliche Einbindung des Glaubensaktes als reflexive Erschlossenheit des Menschen zusammen. Allerdings belässt es die Vfn. bei Andeutungen. Ein eigener Vorschlag für die Konzeption einer modernegemäßen Dogmatik wird nicht ausgearbeitet.
Die Vfn. bietet einen grundlegenden und soliden Überblick über maßgebliche theologische und philosophische Konzeptionen. Der Band ermöglicht dem Leser eine Orientierung über zentrale Problemstellungen der Theologie im Spannungsfeld zwischen Vernunft und Offenbarung sowie Anregungen zur Vertiefung und eigenen Weiterarbeit.