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Ausgabe:

Oktober/2013

Spalte:

1099–1101

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wenger, Stefan

Titel/Untertitel:

Der wesenhaft gute Kyrios. Eine exegetische Studie über das Gottesbild im Jakobusbrief.

Verlag:

Zürich: Theolo­gischer Verlag Zürich 2011. 354 S. = Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments, 100. Geb. EUR 52,00. ISBN 978-3-290-17583-2.

Rezensent:

Rudolf Hoppe

Arbeiten zum Gottesbild des Jakobusbriefes oder im Jakobusbrief liegen gegenwärtig, wenn überhaupt, nur in Aufsätzen oder Kommentarexkursen vor. Deshalb macht es durchaus Sinn, sich der Thematik monographisch zu widmen. Dieser Aufgabe stellt sich Stefan Wenger in seiner von M. Konradt begleiteten Dissertation.
Seiner Analyse des Jak unter dem zentralen Aspekt des Gottesbildes (Kapitel 3, 31–278) schickt W. eine kurze Einleitung mit einer Erläuterung der Absicht und Disposition der Studie und einem themenorientierten Forschungsüberblick (Kapitel 1, 11–24) sowie Überlegungen zur Gemeindesituation und der pragmatischen Zielsetzung des Briefes (Kapitel 2, 25–30) voraus. In Kapitel 1 formuliert er seine Grundthese: Der in jüdisch-christlicher Tradition stehende Brief spricht von Gott als dem »einen wahren Gott, Schöpfer und Herrn allen Lebens«, der »als wesenhaft guter Gott zu be­greifen« ist (13); diesem Bild ist die Vorstellung vom Richtergott als dem souveränen Kyrios spannungsvoll zuzuordnen.
Seine Grundsicht führt W. im Hauptkapitel 3 in vier Themenkreisen durch: »Gott als der wahre Gott, Schöpfer und Herr allen Lebens« (31–92), »Gott als der wesenhaft Gute« (93–210), »Gott als derjenige, der Recht einfordert, herstellt und anerkennt« (211–265) sowie »Gott als der barmherzige Geber eschatologischen Heils« (266–278). Durch die Bündelung der Gottesfrage in diesen thematischen Einheiten gewinnt die Studie einen systematisch-theologischen Charakter und spannt den Bogen von der Schöpfungstheologie zur Eschatologie; dabei stützt sich W. durchgängig auf gründliche, den ganzen Brieftext einbeziehende Textanalysen. Der Jakobus inspirierende Fundus ist die alttestamentlich-jüdische Tradition, deren leitende Funktion in den Einzelexegesen aufgewiesen wird und der gegenüber das pagane Umfeld in den Hintergrund tritt.
Zu den genannten Themenfeldern im Einzelnen: W. setzt in seinem ersten Themenkreis schöpfungstheologisch in Abgrenzung zur paganen Umwelt (Exkurs, 39–44) beim biblisch-monotheis-tischen Gott als dem einen Gott und Herrn mit seinem Totalanspruch ein. Die theologische Zentrierung des Jak fordert eine Verhältnisbestimmung von Theologie und Christologie heraus, die W. im Schreiben allerdings (zu Recht) nicht explizit thematisiert sieht; neben der Prädikation Jesu als des »Herrn der Herrlichkeit« (2,1) sind es vor allem die Kyrios-Aussagen in 5,7 f.14 f. und die in 2,1 vorauszusetzende Erhöhung, die auf Jesus zu beziehen sind. Überwiegend ist es aber Gott selbst, der mit den jakobeischen Kyrios-Aussagen zu verbinden ist.
Der zweite Themenkreis knüpft unmittelbar an die schon im Einleitungskapitel formulierte Grundthese von Gott als dem we­senhaft Guten an und führt sie vor allem anhand von 1,13–16; 1,17; 1,18–25; 1,2–4 (mit einem Vergleich mit 1Petr 1,6 f.; Röm 5,3–5); 3,13–18 und 4,1–10 unter Einbeziehung des Gottesbildes Philons von Alexandrien durch. Die durch die Grundthese vom »wesenhaft« guten Gott von W. selbst aufgeworfene Frage nach dem deus absconditus findet eine negative Antwort (»in Bezug auf das pragmatische Ziel des Schreibens kein Thema« [102 f., vgl. 133]). Dagegen hebt W. ausgehend von 1,17 die Vorstellung von Gott als dem Geber alles Guten über die Aussage von der Unveränderlichkeit Gottes und seinem schöpferischen, d. h. sündenvergebend mit der Konversion zum eschatologischen Leben führenden Handeln im »Wort der Wahrheit« (1,18) bis zur Mahnung, jenes »eingepflanzte Wort« in die toratreue Lebenspraxis umzusetzen (1,19–22), hervor.
Der gebende Gott äußert sich vor allem im Geben der Weisheit (1,2–4; 3,13–18), die sich im lebenspraktischen Vollzug äußert. Hatte W. bereits in der Gewährung des »Wortes der Wahrheit« in 1,18 den vergebenden Gott gesehen, so rückt er diesen Gedanken in der Exegese von 4,1–10 in den Vordergrund (vgl. besonders 189 f.). Breiten Raum nimmt die Analyse der schwierigen Aussage 4,5 ein, in der er das pneuma als »den von Gott verliehenen menschlichen Geist«, »als die von Gott verliehene Schöpfungs- und Lebensgabe« (184) be­stimmt. Der gebende Gott wird schließlich in der körperlichen Heilung erfahrbar (5,13–18). Einer zu engen Verbindung von Heilung und Sündenvergebung beugt W. vor: »Nicht deutlich wird, ob und wenn ja wie sich Jakobus einen Zusammenhang zwischen Sünde und Krankheit bzw. Vergebung und Heilung denkt« (209).
Das bereits in der Einleitung aufgeworfene Problem der Spannung zwischen dem gewährenden und dem richtenden Gott greift W. im dritten Themenkreis auf, der sich dem das Recht einfordernden Gott zuwendet. Der richtende Gott steht hier, wie an 5,1–6 ge­zeigt wird, im Dienste der Anwaltschaft für die Unterdrückten und Ausgebeuteten; das ist die innere Konsequenz aus dem schöpfungstheologischen Ansatz des jakobeischen Gottesbildes. Als Schöpfergott »wird er als unparteiischer, Gerechtigkeit fordernder Richter Recht schaffen« (255).
Im vierten Themenkreis kommt W. auf die Vorstellung des gebenden Gottes unter dem Aspekt seiner Barmherzigkeit zurück und zeigt an diesem Motiv die besondere Nähe Gottes zu den um des Glaubens willen bedrängten Christen mit dem Leitbild eines Hiob (5,11). Ein zusammenfassender Überblick über das Erarbeitete (Kapitel 4, 279–290) und eine gegliederte deutsche Übersetzung, an der sich die exegetischen Einzelentscheidungen verifizieren lassen (291–297), schließen die Studie ab.
W. hat eine instruktive Untersuchung vorgelegt, die den theozentrischen Ansatz des Briefverfassers überzeugend aufweist und dabei immer die auf die Gemeindesituation ausgerichtete pragmatische Aussageabsicht des hinter dem Schreiben stehenden Autors im Auge behält. Der Nachweis, dass der Leitgedanke der wirkmächtigen Beziehung Gottes zu den Glaubenden die Einzelaussagen zusam­menhält und die Adressaten auf den Totalanspruch Gottes immer nur antworten können, aber auch in die Lage zu dieser exis­tentiellen Antwort versetzt werden, kann als gelungen gelten.
Gleichwohl bleiben Fragen: W. spricht im Titel und bereits in seinem Einleitungskapitel vom »wesenhaft« guten Gott, ohne darzulegen, was er genau damit meint. Der Brieftext selbst spricht doch in keiner Weise vom »Wesen« Gottes, sondern dynamisch von seinem Handeln, wie W. selbst auch auf Schritt und Tritt zeigt. Damit hängen der fast katechismusartige systematische Ansatz und die Durchführung der Studie zusammen. Es handelt sich beim Jak doch um eine theologische Paränese, die ihre Botschaft auf Menschen in ihren konkreten Lebenssituationen ausrichtet und sie in ihren vielschichtigen Defiziten aufdeckt. Von daher ist die durchaus spannungsvolle Pluralität im Gottesbild des Briefes zu verstehen. »Theologie« im Jak steht deshalb immer in Korrespondenz zur Anthropologie. M. E. verengt sich das Gottesbild im Jak, wenn man es rein theologisch bearbeitet. Schließlich fällt eine ge­wisse Redundanz in der Darstellung und Sprache auf, wenn W. z. B. immer wieder vom »majestätisch-souveränen« Gott oder Ähnlichem spricht. Ist der Gott des Jak nicht doch eher der Gott »der kleinen Leute« in ihrer bescheidenen Alltagswirklichkeit?
Gleichwohl: Mit der Studie liegt eine Untersuchung vor, die einen anregenden Einzelbeitrag zur Frage nach dem Gott der Bibel darstellt.