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Ausgabe:

Oktober/2013

Spalte:

1093–1095

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Pardee, Nancy

Titel/Untertitel:

The Genre and Development of the Didache. A Text-Linguistic Analysis.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2012. XI, 231 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 339. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-148398-1.

Rezensent:

Predrag Bukovec

Mit diesem Band legt Nancy Pardee ihre Dissertation, die schon 2002 eingereicht wurde, in überarbeiteter Fassung der Fachöffentlichkeit vor. Darin setzt sie sich mit einer doppelten Fragestellung auseinander: Ihr Forschungsinteresse bezieht sich zum einen auf die gattungskritischen Einleitungsfragen der Did, nämlich auf die Lösung des grundlegenden Problems, was die Did denn überhaupt sei; die bisherige Mehrheitsmeinung, wonach die Schrift als Kirchenordnung klassifiziert werden kann, hält sie für eine anachronistische, von den evangelischen Kirchenordnungen aus der Neuzeit inspirierte Antwort (8). Zum anderen möchte P. die Entstehungsgeschichte der Did klären und die einzelnen Schichten identifizieren, die durch Redaktion in den Endtext mündeten. Hierfür bedient sie sich der Textlinguistik, mit deren Hilfe Signalwörter, syntaktische Zäsuren und weitere sprachliche Unebenheiten auf die diachrone Stratifizierung des Textes hinweisen können.
Die Untersuchung wird mit einem sehr umfangreichen forschungsgeschichtlichen Überblick eingeleitet (8–64), in dem P. die Vorgängerarbeiten rekapituliert. Da sie nicht allein die früheren Abhandlungen zusammenfasst, sondern medias in res in die Dis­kussion um die Gattung der Did einsteigt, lässt sich der im Vergleich zur gesamten Arbeit überproportionale Umfang dieses Kapitels rechtfertigen. P. steckt zugleich die Koordinaten der vertretenen Lösungsmöglichkeiten ab und gewichtet aus ihrer Sicht die Plausibilität der einzelnen Hypothesen. Insgesamt stellt P. jedoch fest, dass die Gattungsfrage nicht erschöpfend geklärt sei (52). Dieses Ergebnis gibt ihr nun den Raum, unter Heranziehung einer neuen Analysemethode neue Wege zu beschreiten.
Das zweite Kapitel (65–140) bildet den Hauptteil der Studie. In 2.1 ist eine Einführung in die textlinguistische Methode erforderlich, da sie in der historisch-kritischen Exegese noch relativ neu ist. Unter Berücksichtigung der methodischen Axiomatik versucht sie, die Did zu gliedern, und untersucht das Beziehungsgefüge aus Ge­samttext, Ebenenhierarchie und Kommunikation. Für die Analyse legt P. die Handschrift H54 in der Fassung von Harris zugrunde; die anderen Primärquellen (bspw. die koptische Fassung oder die Constitutiones apostolorum) spielen für sie leider keine Rolle, was durchaus als ein Mangel gewichtet werden kann, wenn man das Plädoyer von M. Metzger und C. Markschies für ein Umdenken zugunsten der »lebenden Literatur« ernst nimmt. Auf die Did bezogen wäre eine vergleichende Schau, die den relativ ältesten Textbestand approximativ zu rekonstruieren sucht, vorteilhaft gewesen. Das geht freilich nicht, wenn man a priori H54 mit Did* gleichsetzt, auch wenn es die zuverlässigste Quelle ist.
Bei der Bestimmung der Gattung kommt P. zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Did um eine »Didache« handelt (154 f.189). Die Argumente findet sie aus dem Vergleich der Did mit Barn und aus der Hinzuziehung neutestamentlichen Materials, vor allem aus Mt. Demnach wäre eine Gattung »Didache« vorrangig durch die aus dem frühen Judentum adaptierte Ethik zu definieren. Diese Lösung ist aus mehreren Gründen nicht zwingend: Eine präzisere Unterscheidung zwischen Gattung, Titel und Inhalt wäre erforderlich gewesen, bevor man vom Titel – den P. unter Abstrichen für authentisch ansieht – auf die Gattung schließt. Wichtiger ist aber, dass die Did nicht nur aus der Zwei-Wege-Lehre besteht, sondern zur Hälfte aus liturgischem Material. Auch wenn vieles dafür spricht, dass die Morallehre der Did auf älteres Gut zurückgreift, muss die Gattung doch für den Endtext bestimmt werden. Eine Gattung »Didache« führt außerdem zu dem Problem, dass es nur eine erhaltene Schrift gäbe (die Did), die man ihr zurechnen könnte; damit wäre jedoch der Gattungsbegriff, dessen Zweck darin liegt, mehrere Exemplare unter einem Überbegriff zu fassen, zur Aporie geworden. Die Did wäre des Weiteren etwas essentiell anderes als später die Didascalia oder die Traditio apostolica. Die Gattung »Kirchenordnung«, die neben kirchen- und liturgierechtlichen Abschnitten auch paränetische umfasst, kann aus diesen Gründen verteidigt werden; es kommt nicht auf die Benennung an, sondern auf die Definition.
Die Entstehung der Did unterteilt P. in vier Stadien (184–186): Zuerst wurde die Zwei-Wege-Lehre christianisiert durch einige Interpolationen primär mt Theologie. Das zweite Stadium besteht aus der Einfügung der liturgischen Bestimmungen zu Taufe und Eucharistie. In Stadium 3 wurde der Text mit weiteren rechtlichen Einzelbestimmungen redigiert, z. B. in Bezug auf Fasten, Gebet und Ämter. Den Endtext zeichnen noch kleinere Änderungen aus. Mit der Rekonstruktion der Textgeschichte beweist P., dass die textlinguistische Methode durchaus ihren Platz in der Exegese geltend machen kann und diskussionswürdige Resultate zeitigt.
Einige Unklarheiten und Lücken bleiben. P. ist sich nicht sicher, ob das in Did 9 f. beschriebene Mahl eine Agape oder eine Eucharis­tie sei (184 f.); hier hätte eingehender Stellung genommen werden sollen. Die Schrift sagt in 9,1.5 selbst, dass es sich um eine »Eucha­-ris­tie« handelt, auch wenn dies aus späterer Sicht idiosynkratisch ist. Die Did ist nicht zuletzt wegen ihres liturgischen Materials ein Zeugnis erster Klasse für die Liturgiegeschichte des 2. Jh.s und zeigt, dass die Entwicklung des Gottesdienstes nicht linear verlaufen ist. Gerade weil die Did auf mt Kreise verweist, ist es auffällig, dass die Herrenmahlstradition nicht rezipiert wird. Eine andere offene Frage, die in den letzten Jahren diskutiert wird und auf die P. nicht explizit eingeht, ist die Kategorie der Taufeucharistie: Gehören Taufe und Eucharistie in der Did zu einem Großritual oder sind beide eher getrennt voneinander zu sehen? Gerade weil P. die Geschichte des Textes aus kleinen Einheiten zu Did* bespricht, wären weiterführende Hinweise zum Problem zu erwarten gewesen.