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Ausgabe:

Oktober/2013

Spalte:

1092–1093

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lykke, Anne, u. Friedrich T. Schipper [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Kult und Macht. Religion und Herrschaft im syro-palästinensischen Raum. Studien zu ihrer Wechselbeziehung in hellenistisch-römischer Zeit.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2012. XV, 327 S. m. Abb. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 319. Kart. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-150067-1.

Rezensent:

Günter Röhser

Kult und Macht, oder anders ausgedrückt: Religion und Politik, sind in der Antike keine voneinander unabhängigen Größen, die erst nachträglich zueinander in ein Verhältnis treten, sondern zwei Lebens- und Erfahrungsbereiche, die immer schon in einer Wechselbeziehung miteinander stehen, insofern Kult und Religion die Grundlage für legitime Machtausübung bilden, wie auch umgekehrt politische Interessen maßgeblich die kultische und religiöse Praxis bestimmen. Längst ist diese Erkenntnis auch in der Bibelwissenschaft, nicht zuletzt aufgrund interdisziplinärer Ansätze, erarbeitet worden. Vor diesem Hintergrund ist auch ein internationales Kolloquium des Göttinger Graduiertenkollegs »Götterbilder – Gottesbilder – Weltbilder« zu sehen, dessen Beiträge den Grundstock des vorliegenden Bandes bilden. Der besondere Fokus liegt dabei zum einen auf dem Beitrag der Archäologie und zum anderen auf dem syro-palästin(ens)ischen Raum der hellenistisch-römischen Zeit, der als ein kultureller Grenz- und Kontaktraum der Forschung zum Thema »Kult und Macht« besonders vielfältige Perspektiven zu bieten vermag. So ist eine Sammlung sehr unterschiedlicher Beiträge entstanden, deren im Vorwort und Klappen­text versprochene »Synthese« der Leser allerdings selbst leisten muss, da es nicht einmal eine zusammenhängende Darstellung der Beiträge in einer Einführung, geschweige denn eine inhaltliche Auswertung gibt.
Peter Arzt-Grabner stellt auf wenigen Seiten (1–7) die Anfänge der Konfrontation zwischen Jesus Christus und dem römischen Kaiser dar, indem auf beide – zunächst unabhängig voneinander – der Kyriostitel angewandt wurde; im einen Fall entstammte er der jüdisch-griechischen Anrufung des hebräischen Gottesnamens, im anderen Fall der ptolemäischen Herrscherideologie und griechisch-römischen Religion (wie viele dokumentarische Quellen zeigen).
Per Bilde versucht eine genaue historische Rekonstruktion der sogenannten Caligula-Krise (9–48: »Der Konflikt zwischen Gaius Caligula und den Juden über die Aufstellung einer Kaiserstatue im Tempel von Jerusalem«) mit dem Ergebnis, dass es sich bei den Ereignissen um ein bekanntes Muster handele: Die Staatsmacht antwortet auf einen möglichen Aufstandsversuch mit mehr oder weniger deutlich religiösem Hintergrund (hier: die jüdische Zerstörung des Kaiser-Altars in Jamnia) mit ebensolchen, die Religion (mit) betreffenden politischen Maßnahmen, um die gewünschte Loyalität zu erzwingen (34.46) – wie auch im Falle der seleukidischen Krise, der zelotischen Steuer- und Opferverweigerung sowie der Konflikte mit Pilatus.
Wie sich christliche Herrschaftskritik in der Offenbarung des Johannes auf die römische Kaiserkult-Ideologie bezieht (aber gleichzeitig »in prophetischer Schau« [68] über die zeitgeschichtliche Situation hinausgeht), zeigt Konrad Huber in einer sorgfältigen, traditionsgeschichtlich und kontextuell akzentuierten Auslegung der Tiervision in Offb 13,1–10 (49–68).
Religionspolitischen Sprengstoff eigener Art birgt der Aufsatz von Hans-Peter Kuhnen: Er möchte einen siedlungsarchäologischen Beitrag zur jüngsten historisch-kritischen Diskussion um die Entstehung des Islam leisten und liefert Argumente für deren Lokalisierung am Rande des syro-palästinischen Kulturraums (und nicht, wie in der traditionellen Sichtweise, im Inneren der arabischen Halbinsel). Die Einführung des Kreuzbogen-Kamelsattels gilt dabei als Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung von nomadischen Stammesgesellschaften im Vorfeld des römischen Limes Arabiae et Palaestinae, die diesen in religiöser Hinsicht bis zum 8. Jh. einen allmählichen Übergang von autochthonen Traditionen zum Islam ermöglichte. Der Titel des Beitrags »Grenzen der Romanisierung« (69–110) bezeichnet dabei – wie später die »Grenzen der Christianisierung« – im räumlichen wie im übertragenen Sinne die Eigenständigkeit dieser kultur- und kultgeschichtlichen Entwick-lung in Abgrenzung und Austausch mit dem römischen bzw. byzantinischen Hinterland. Als archäologischer Beleg dafür dienen dem Vf. frühislamische schlichte, nach oben offene Kultbauten (Moscheen) im Zentralnegev, die offensichtlich ohne Zwischenglieder an die Stelle von altorientalischen Kultstätten mit steinernen Stelen getreten sind, wie sie aus der Bibel als »Masseben« ( mazzevot) bekannt sind. »Archäologisch gesehen treten die materiellen Zeugnisse des Islam zuerst […] in Sichtweite der alten Limeskastelle auf« (91).
Dass öffentliche Medien wie Münzen, Statuen und Monumente sowie bauliche Einrichtungen besonders geeignet und beliebt waren, um politische, religiös-kultische und kulturelle Botschaften zu vermitteln, veranschaulichen die Beiträge von Achim Lichtenberger (zur Stadttyche von Petra mit trajanischem Tropaion), Anne Lykke (zu hasmonäischen und herodäischen Münzen), Marion Meyer (zur Ikonographie der Stadtgöttin von Caesarea Maritima), Inge Nielsen (zur Kombination von Miqveh, hellenistischen und früh-römischen Badeanlagen in hasmonäischer und herodäischer Zeit) und Friedrich T. Schipper (zur griechischen Athletik und den Wettkampfstätten Herodes' d. Gr. samt deren propagandistischer Bedeutung), auf die hier nur pauschal hingewiesen werden kann.
Markus Öhler äußert sich zu ethnischer Identität in der Antike (221–248), bestimmt deren Kriterien als durchaus flexibel – überwiegend sind es: Ab­stammung, Poliszugehörigkeit, Sprache, Religion, physische (nicht: »physiologische« [240.244]!) Merkmale – und zeigt dies am Beispiel der Analogien und Verschiebungen zwischen landsmannschaftlichen Vereinigungen, jüdischen Synagogen und christlichen Gemeinden. Mit Recht weist er die beliebte Differenzierung in »Judäer« und »Juden« zurück (237 ff.).
Simone Paganini befasst sich unter der sprechenden Überschrift »Priester an der Macht« mit dem diesbezüglichen »utopischen« Gesellschaftsentwurf der Tempelrolle (11Q19–20) für eine künftige Tempelstadt Jerusalem (249–265) mit einer klaren Trennung und Voranstellung der priesterlichen vor der königlichen Macht. Was die Datierung der Tempelrolle betrifft, so finden sich auf S. 261 f. im Text und in Anm. 46 drei verschiedene, miteinander nicht ausgeglichene Vorschläge.
Robert Wenning schließlich zeigt am Beispiel der epigraphischen Quellen der Nabatäer (279–304), wie ein Stammesgott (Dusara) nicht nur zum dynastischen Gott des Königshauses (in Petra und Bosra) wird, sondern gleichzeitig auch in die tribale Frömmigkeit der Clans eingebunden wird und somit nicht nur der Legitimierung politischer Integration, sondern ebenso auch der Verhinderung zentralistischer Tendenzen dienen kann.
Sechs Beiträge umfassen jeweils einen Anhang mit zahlreichen Abbildungen und Skizzen, die allerdings für den archäologischen Laien zum Teil wenig aussagekräftig sind. Der Band enthält außerdem ein – für die Benutzer unentbehrliches – eigenes Abkürzungsverzeichnis, ein Autorenverzeichnis und die üblichen Register. Die Beiträge von Bilde und Nielsen hätten sprachlich besser redigiert werden müssen, derjenige von Bilde außerdem mit einem griechischen Zeichensatz versehen werden sollen. Für den ganzen Band gilt, was Bilde für sein Teilthema als Ergebnis formuliert: »[…] dass Religion und Politik sich auch hier nicht trennen lassen. Eine Einsicht, ein Ergebnis, das uns nicht überraschen darf« (46). So ist es. Deshalb können auch die hier gesammelten Beiträge nicht wirklich überraschen. Aber sie enthalten interessantes, zu einem geringeren Teil auch neues oder weniger bekanntes Anschauungsmaterial zu einem wichtigen Thema.