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Ausgabe:

Oktober/2013

Spalte:

1086–1088

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Wälchli, Stefan H.

Titel/Untertitel:

Gottes Zorn in den Psalmen. Eine Studie zur Rede vom Zorn Gottes in den Psalmen im Kontext des Alten Testaments und des Alten Orients.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht; Fribourg: Academic Press Fribourg 2012. VII, 191 S. = Orbis Biblicus et Orientalis, 244. Geb. EUR 54,99. ISBN 978-3-525-54370-2 (Vandenhoeck & Ruprecht); 978-3-7278-1687-1 (Academic Press Fribourg).

Rezensent:

Walter Groß

Hauptgegenstand dieser Berner Habilitationsschrift von Stefan H. Wälchli (2007) ist die Rede vom Zorn Gottes in den Psalmen. Dass der Psalter unter dieser Rücksicht für sich untersucht wird, ist verdienstvoll. Allerdings weckt der Titel Erwartungen, die das Buch dann nur teilweise einlöst.
W. zeichnet in der Einführung zunächst ausführlich in der chronologischen Reihenfolge der Publikationen den Forschungsstand zum alttestamentlichen Theologumenon »Zorn JHWHs« nach und gibt eine Statistik der Zorn-Belege. Im umfangreichsten Kapitel II wendet er sich den Psalmen zu. Im Anhang übersetzt er die von ihm analysierten Psalmen bzw. Psalmteile. Dort diskutiert er in Anmerkungen kontrovers sprachliche Detailprobleme. Das fällt deswegen auf, weil er im Gegensatz dazu bei der inhaltlichen Diskussion der Zornesaussagen in den Anmerkungen lediglich herangezogene Literatur nennt, aber keine Auseinandersetzung sucht. Er referiert auch zu den einzelnen Psalmen ausführlicher die Debatten um deren Gattung und zeitlichen Ansatz, während er dann die Zornesaussagen selbst in ihrem Kontext lediglich kurz paraphrasiert. Erst anschließend diskutiert er Wirkungen und Gründe des göttlichen Zorns und die Funktion der Rede vom Gotteszorn im Psalter. Die Ergebnisse sind, da eingehende Interpretation nicht versucht wurde, nicht gerade neu: 1. der vernichtende Zorn Gottes als »Strafe« (146) für Vergehen (a) gegen den Einzelnen, (b) gegen das ganze Volk; 2. der für Israel heilsame vernichtende Zorn Gottes gegen die auswärtigen Feinde; 3. der explizit als unverständlich gewertete Zorn Gottes gegen Einzelne oder das Volk. Der Zorn, der im Gegensatz zu Barmherzigkeit und Gnade Gottes stehe, entspringe daher vornehmlich der Gerechtigkeit des Richters und sei schon vorexilisch belegt, dessen Wendung gegen das ganze Volk (1b) sei dagegen jüngere Geschichtsdeutung. Auf die Komposition des Psalters übe das Thema »Zorn Gottes« keinen bestimmenden Einfluss aus.
Es folgen in Kapitel III kurze Bemerkungen zum altorientalischen Kontext, in denen der Zorn des Chaoskämpfers, der anlässlich von Psalmen erwähnt worden war, gar nicht genannt wird. Den Hauptteil des Kapitels nehmen gedrängte Informationen über den Zorn JHWHs im übrigen Alten Testament ein. Hilfreich sind übersichtliche Tabellen. Als neuer vierter Gesichtspunkt über den Psalter hinaus tritt die Vorstellung hinzu, dass die Verletzung des Heiligen den vernichtenden Gotteszorn weckt.
Zwar fällt die Übersicht über die alttestamentlichen Belege außerhalb des Psalters notwendigerweise summarisch aus. Aber in der hier gebotenen Kürze sagt sie wenig aus und bleibt auch hinter der zitierten Sekundärliteratur gelegentlich zurück. So betont W. zu Recht mehrfach, der Sprachgebrauch von Redaktionsschichten müsse genauer bestimmt werden. Aber er erwähnt nicht einmal die Beobachtung von Jörg Jeremias, Der Zorn Gottes im Alten Testament, 2009, 55–59, dass ein deuteronomistischer Autor durch seine von Dtn und Kön terminologisch wie sachlich abweichende Konzeption des Zornes Gottes die Richterzeit als spezifisch eigene Epoche der Geschichte Israels konturiert. 2Sam 24,1 und 1Chr 27,24 werden zwar jeweils an ihrer Stelle in der Abfolge der Belege genannt, aber in ihrer unterschiedlichen Konstruktion des Gotteszornes, bezogen auf dasselbe Ereignis, nicht problematisiert. Dass Chaoskampfmotive einschließlich des Zornes überwiegend innergeschichtlich gewendet werden, wird zwar erwähnt, aber nicht beleuchtet. Der große Zorn gegen Israel in 2Kön 3,27 wird gar nicht als Beleg aufgeführt, und damit entfällt die Diskussion, ob hier vom Zorn JHWHs oder vom Zorn des moabitischen Staatsgottes Kemosch oder von der Empörung der Israeliten über das Menschenopfer die Rede ist. Die Vorstellung der Selbstbegrenzung des göttlichen Zorns erwähnt W., vertieft sie aber in keiner Weise. Ein weiteres Problem entfällt durch die unrichtige Paraphrase von Jes 64,4, »dass menschliche Sünde dazu führte, dass Gott zürnte« (125). Dort ist aber im Gegenteil, ausgedrückt durch die Abfolge qaṭal wa=yiqṭol, gesagt: »Siehe, du hast gezürnt, und dann haben wir gesündigt.«
Zu Recht betont W., dass explizit gelegentlich, implizit häufig der Zorn JHWHs seiner Gerechtigkeit zugeordnet wird. Er behauptet aber ohne jeden Nachweis, dass der Aspekt des Zornes zu seiner Göttlichkeit und Heiligkeit gehört (147), und diskutiert in diesem Kontext nicht Hos 11,9. Zu Recht führt W. aus, dass der Zorn Gottes im Alten Testament gelegentlich in Gegensatz zu seiner Barmherzigkeit und seiner Güte/Gnade gesetzt wird. Er bietet aber ohne jeden Beleg in diesem Zusammenhang sogar die Liebe Gottes auf; wie soll man Folgendes verstehen: »Wenn Gott sich der Welt in Liebe zuwendet, dann tut er dies in seiner Gerechtigkeit, in seinem Zorn und in seiner Gnade« (149)?
W. legt eine sehr solide und umfängliche Materialsammlung vor. Aber wegen des Mangels an textnah differenzierten und vertiefenden Interpretationen hält sich der Erkenntnisgewinn in engen Grenzen.