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Ausgabe:

Oktober/2013

Spalte:

1074–1075

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Aus, Roger David

Titel/Untertitel:

The Death, Burial, and Resurrection of Jesus, and the Death, Burial, and Translation of Moses in Judaic Tradition.

Verlag:

Lanham u. a.: University Press of America (Rowman & Littlefield) 2008. XXII, 319 S. = Studies in Judaism. Kart. US$ 54,99. ISBN 978-0-7618-4087-9.

Rezensent:

Franz Tóth

Roger D. Aus hat bereits in einer vorhergehenden Studie (Matthew 1–2 and the Virginal Conception in Light of Palestinian and Helle­nis­tic Judaic Tradition on the Birth of Israel’s First Redeemer, Moses, Studies in Judaism, Lanham 2004) den Beginn der Jesusgeschichte vor dem Hintergrund jüdischer Traditionen untersucht. Im vorliegenden Buch behandelt A. nun den Abschluss der Jesuserzählungen, also die Motive Tod, Begräbnis und Auferstehung Jesu auf dem Hintergrund jüdisch-rabbinischer Überlieferungen von Tod, Be­stattung und »Entrückung« des Mose. Der Ansatz, jüdisch-rabbi­nische Quellen als erhellende Vergleichstexte für neutestamentliche Schriften und hier insbesondere zur Jesusgeschichte heranzuziehen, spiegelt einen verbreiteten, wenn auch nicht unumstrittenen Forschungstrend wider, auf den A. in einem knappen Forschungsbericht hinweist. Das chronische Problem der zeitlichen Differenz zwischen neutestamentlichen und rabbinischen Schriften überbrückt A. mit dem Hinweis auf (vermutete) mündliche Überlieferungsstränge und dem Postulat einer frühen jüdisch-palästinischen Haggadatradition, die den ersten jüdisch-palästinischen Christen bekannt gewesen sei. Nach A. existierte demnach ein freilich größtenteils erst in verstreuten rabbinischen Texten fassbarer Traditionsstoff über Tod, Bestattung und »Entrückung« bzw. »Verwandlung« des Mose, der den jüdisch-palästinischen Christen als Vor-bild ihrer Jesusgeschichte in einer zunächst vormarkinischen aramä­ischen oder hebräischen Fassung gedient haben soll. Eine der Hauptquellen ist dabei der Midrasch Petirat Moshe, ein zwischen dem 7. und 11. Jh. in mehreren Versionen entstandener Midrasch über den Heimgang des Mose (12), dessen (mündliche) Grunderzählung nach A. den ersten aramäisch oder hebräisch sprechenden Chris­ten vorgelegen hätte. Die drohende Instabilität des zunehmenden Hypothesengebäudes sucht A. dadurch zu beheben, dass er so viele »Parallelen« wie möglich zwischen Mose und Jesus aufzeigt, die – nicht einzeln, wohl aber eben in ihrer Gesamtheit (»a ›cluster‹ of analogous«, XIX) – die Kernthese abstützen sollen. Gleichwohl kommt auch A. nicht umhin, mehrfach einzuräumen, dass die konstruierten Bezüge »far-fetched to a modern person« (164) seien oder »hard for a modern person to follow« (181). Und doch ist A. überzeugt: »the cumulative force of the argument is very strong« (101).
Das Buch gliedert sich entsprechend den im Titel genannten Aspekten: Zunächst werden der Tod Jesu und der Tod des Mose vergleichend dargestellt (Kapitel 1), um sodann in Kapitel 2 die Berichte über die Bestattung Jesu und des Mose zu untersuchen und in Kapitel 3 die Auferstehung Jesu mit der Entrückung (»translation«) des Mose zu parallelisieren. Abschließend wird in Kapitel 4 in Fallbeispielen der haggadische Charakter biblischer Erzählungen erwiesen und die Frage nach der Fiktionalität biblischer Berichte behandelt. Neben einem Literaturverzeichnis, das durch die hohe Anzahl von Primärquellen besticht, bietet das Buch abschließend auch einen Autorenindex. Was A. im Hauptcorpus seines Buches dem Leser dann bietet, ist auf weite Strecken eine recht eigen­-willige, midraschartige Auslegung betreffender Stellen und möglicher Parallelen, die der rabbinischen Schriftauslegung der Midraschim in nichts nachsteht. Auf eine eingehende Darstellung entsprechender Stellen muss hier verzichtet werden. Exemplarisch seien aber einige Beispiele genannt.
Ähnlich wie Jesus Petrus im Kontext der Leidensankündigung tadelt (Mk 8,33), wird in der rabbinischen Tradition auch Satan von Mose kurz vor seinem Tod scharf gerügt. Dass die Anrede Jesu an Petrus »geh hinter mir (ὕπαγε ὀπίσω μου)« nicht ganz der Aufforderung des Mose an Satan in den verschiedenen Rezensionen des Midrasch Petirat Moshe (mit »geh/flieh von mir« ינפלמ) entspricht, erklärt A. – durchaus exemplarisch für seinen Deutungsduktus – kurzerhand folgendermaßen: »The Palestinian Jewish Christian who first composed the episode of Mark 8:32–33 purposley changed ›from here,‹ explained here as ›from before me‹ (ינפלמ), to ›behind me‹.« (14) Natürlich erkannte der judenchristliche Verfasser des Matthäusevangeliums seinerseits die Midraschquelle über den Tod des Mose in Mk 8,32–33 und benutzte für seine Parallelversion in Mt 16 ebenfalls diesen Midrasch (20). In gleicher Argumentationslogik werden auch weitere vermeintliche Parallelen zu erklären versucht. So soll die johanneische Fußwaschungsszene Joh 13,1–20 ebenfalls durch den Dienst des Mose Josua gegenüber präfiguriert sein (28–51), obwohl keine einzige rabbinische Quelle explizit von einer Fußwaschung spricht. Auch hier bemüht A. unter völliger Absehung der Erzählintention den Midrasch Petirat Moshe, der nach A. bereits in einer frühen Form den Evangelisten vorgelegen habe (49). Dabei will der Midrasch – ganz im Gegensatz zum johanneischen Jesus – das vergebliche Bemühen des Mose um ein längeres Leben veranschaulichen. Nach A. soll auch der Judaskuss Mk 14, 44 f. den Kuss Gottes, den die Seele des Mose bei seinem Tod erhielt, kontrastieren (79–84), obwohl die Erzählungen in völlig unterschiedlichen Kontexten stehen. Dass in Joh 18,3 von einer militä­rischen Schar die Rede ist, sei ebenfalls durch die Erzählung aus Midrasch Petirat inspiriert, wo jedoch – A. sieht durchaus die Differenzen – gerade keine Heerscharen Satans erwähnt werden, sondern Satan alleine vor Mose tritt (86–90). Auch den völlig unverdächtigen Namen Josef von Arimathäa (Mk 15,43) vermag A. im Stil bester Midraschauslegung mit der Begräbnisstätte des Mose in Verbindung zu bringen (162–164). Für Bezugspunkte für die evangeliaren Auferstehungsberichte müssen, was A. offenbar nicht weiter irritiert, Midraschüberlieferungen über Jakob herhalten, so dass auf wunderbarer Weise nun z. B. die drei Hirten am Brunnen aus Gen 29,2 ebenso mit den drei Frauen am leeren Grab (Mk 16,1) in Verbindung gebracht werden (auch wenn die Zahl der Hirten freilich nur aus der Anzahl der Herden erschlossen werden kann) wie der kräftige Jakob aus Gen 29,10 mit dem Jüngling am offenen Grab in Mk 16,5 (183). Die Beispiele sollen genügen. Eine textgemäße Bewertung fällt schwer, da diese Art kreativer Intertextualität sich einer kontrollierten Methodik und einer literaturgeschichtlichen Überprüfbarkeit entzieht.
Im vierten und abschließenden Kapitel geht A. näher auf die wichtige und in der Forschung gern diskutierte Frage der Historizität und Fiktionalität der Evangelienerzählungen ein und plädiert dafür – durchaus interessant – die Evangelien als jüdische Haggadaherzählungen zu lesen. Entsprechend konstatiert A. z. B. im Blick auf das Problem des leeren Grabes: »The time has come to cease asking the wrong questions of ›historical‹ or ›non-historical‹, and ›true‹ or ›false‹, in regard to the haggadic narrative of the empty tomb.« (300) Für die Jesus- und Evangelienforschung wird das Buch von A. sicherlich nicht die erste Wahl sein; Überlegungen zum haggadischen Charakter der Evangelien sollten gleichwohl weitergedacht werden.