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Ausgabe:

Mai/1999

Spalte:

510–512

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Köstenberger, Andreas J.

Titel/Untertitel:

The Missions of Jesus and the Disciples according to the Fourth Gospel. With Implications for the Fourth Gospel’s Purpose and the Mission of the Contemporary Church.

Verlag:

Grand Rapids: Eerdmans 1998. XVI, 271 S. gr.8. ISBN 0-8028-4255-0.

Rezensent:

Jörg Frey

Die unter der Ägide von D. A. Carson verfaßte Dissertation thematisiert die Sendung Jesu und der Gemeinde nach dem 4. Evangelium, näherhin den Zweck der Sendung der Gemeinde und ihr Verhältnis zur Sendung Jesu. Sie will damit zugleich einen exegetischen Beitrag zu einer biblischen Theologie der Mission liefern (2). Die Arbeit gliedert sich in fünf Kapitel: Nach einer Skizze der Forschung der letzten 30 Jahre (1-16) führt K. die methodischen Grundlagen seiner Arbeit vor (17-44). Das längste Kapitel thematisiert die Sendung Jesu (45-140), das etwas kürzere vierte Kapitel die der Jünger (141-198), bevor in einem Schlußkapitel (199-220) Folgerungen im Blick auf den Abfassungszweck des Joh gezogen und Implikationen für die Sendung der Kirche heute festgehalten werden. Eine Bibliographie und Indizes beschließen den Band.

Der im Englischen umfassendere Begriff "mission" erlaubt K., die Aspekte der "Sendung" Jesu oder der Kirche im Allgemeinen und der "missionarischen", Glauben weckenden Zuwendung im Besonderen zu verbinden. Dies führt zu terminologischen Unschärfen. Diese zeigen sich auch in K.s Definition von "mission", die bereits den formalen Aspekt der Sendung mit spezifischen Elementen der joh Rede von der Sendung Jesu und der Jünger verknüpft.

Methodisch beschränkt sich K. auf den überlieferten Text des Joh und dessen "teaching on mission" (43). Religions- und traditionsgeschichtliche Fragen werden ausgeklammert. Als Ansatz wählt K. nicht einzelne Begriffe, sondern zwei ganze semantische Felder, die ,Bewegung’ (auch erchomai, anaßaino etc.) und ,Aufgabe, Werk und seine Erfüllung’ (ergon, kopos, aber auch therizo, fero karpon) zur Sprache bringen.

Wenn er dann - mit Recht - zum zweiten, in sich schon inhomogenen Wortfeld noch semeion hinzunimmt, zeigt dies nur, wie wenig man ,semantische Felder’ dem Lexikon von Louw und Nida ,gebrauchsfertig’ entnehmen kann. Eine höhere Objektivität der Auswahl relevanter Texte und Termini läßt sich offenbar auch durch die Hilfmittel der neueren Semantik kaum erreichen.

Die Analyse der Sendung Jesu bzw. der Jünger folgt den gewählten Begriffen. Leider wird keine der relevanten Passagen in ihrem joh Kontext interpretiert. Die relative Verstreutheit der Sendungsmotive könnte auch darauf hindeuten, daß das Motiv der ,Sendung’ an sich kein Hauptthema des Joh, sondern jeweils anderen Aspekten untergeordnet ist. Aus den an exegetischen Beobachtungen reichen Kapiteln 3 und 4 sind einige Punkte kritisch zu würdigen:

Wenn K. in einer - zu schematisch - nach ,göttlichen’ und ,menschlichen’ Attributen geordneten christologischen Skizze "Messias" den göttlichen und "Menschensohn" den menschlichen zuordnet (48 f.), entspricht dies weder dem Hintergrund noch dem johanneischen Gebrauch der beiden Termini. Eine ähnlich problematische Schematik liegt vor, wenn K. in den spezifischen Sendungsaussagen eher die ,menschliche’ Seite der Sendung Jesu (die Abhängigkeit vom Vater und den Gehorsam) sehen will, während in den Aussagen über sein Kommen und Weggehen bzw. seine Rückkehr zum Vater die ,göttliche’ Seite hervortrete (121). In Joh 5,19 f. 30 etwa ist gerade die einzigartige Verbindung des Sohnes mit dem Vater ein Zeichen seiner göttlichen Vollmacht. Das Zwei-Naturen-Schema trennt hier, was das Joh untrennbar zusammenhält.

In der Diskussion der semeia will K. neben den sechs explizi semeion genannten Taten die Tempelreinigung als siebte semeion werten. Die Behauptung, daß diese in 2,18 als semeion identifiziert werde (69), ist jedoch unrichtig. Die Forderung nach einem Legitimationszeichen in 2,18 beantwortet Jesus durch das Tempelwort, das auf Kreuz und Auferstehung verweist. Damit ist aber weder das Tempelwort noch die Tempelreinigung als semeion klassifiziert.

In der Darstellung der Sendung Jesu in Joh 1-12 sieht K. die These bestätigt, daß Joh auf den Aufweis der Messianität Jesu zielt (vgl. Joh 20,30 f.) und damit einen primär missionarischen Zweck hat. Joh sei der "evangelist for the covenant people" (208) und wolle Diasporajuden oder Proselyten die Messianität Jesu und deren wahren Charakter verdeutlichen. Diese These scheint mir gänzlich verfehlt zu sein. Gewiß läßt sich nicht ausschließen, daß auch Juden oder Heiden das Joh zu lesen bekamen oder der Verlesung in der Gemeinde beiwohnten. Aber daß das Werk primär für Außenstehende verfaßt sei, läßt sich positiv durch nichts erweisen. Die eigengeprägte Terminologie, die Aufnahme von Gemeindetraditionen (Prolog, Logien, synoptische Stoffe) und die Abschiedsreden mit ihrem besonderen ’setting’ (die wahren Jünger) und den in ihnen verhandelten Fragen der nachösterlichen Zeit sprechen deutlich gegen einen primär missionarischen Abfassungszweck. Und gerade wenn - wie K. betont - das Joh nicht einfach ein Spiegel späterer Gemeindeverhältnisse ist, sondern von Ereignissen des Wirkens und der Zeit Jesu berichten will, läßt die Auseinandersetzung Jesu mit den Juden in Joh 1-12 keinen unmittelbaren Rückschluß auf die Adressaten des Evangeliums zu. Gegen ein primär jüdisches Umfeld sprechen auch die Abschiedsreden, in denen die Juden kaum mehr begegnen, die Johannesbriefe, die vom Evangelium nicht weit abgerückt werden dürfen, und auch die Tatsache, daß etwa Joh 7,33-35; 12,20 ff. etc. mit der Mission unter Heiden rechnet.

Zuzustimmen ist K. in der These, daß Joh nicht einem sektenhaften Milieu entstammt, sondern sehr wohl um eine Sendung der Kirche an die Welt weiß (208). Den Charakter dieser Sendung, die in Joh 17,18 und 20,21 durch eine kathos-Aussage auf Jesu Sendung bezogen ist, versucht K. zu klären, indem er die Momente der Kontinuität und der Diskontinuität zwischen der Sendung Jesu und der der Jünger sichtet. Zu Recht stellt er dabei heraus, daß die Sendung Jesu der nachösterlichen Sendung der Jünger bleibend zugrundeliegt. Nur Jesus tut ,Zeichen’, allein seine Sendung ist in Begriffen von Ab- und Aufstieg beschrieben. Ein Moment der Kontinuität und damit einen Maßstab für die Sendung der Jünger sieht K. hingegen in Jesu Abhängigkeit vom Vater, in seinem Sohnesgehorsam (195). Freilich ist auch dies ein christologisches Motiv, das sich nicht ungebrochen auf die Jünger übertragen läßt. Das Joh bietet eben kaum unmittelbare Handlungsanweisungen für die Sendung der Jünger, es vertritt erst recht keine ,Vorbildethik’, nach der das geforderte Jüngerverhalten sich an Jesu Handeln bemessen könnte. Joh 13,36-38 wehrt gerade diesen Kurzschluß ab. So kann m. E. das Kriterium für die Sendung der Jünger trotz der kathos-Formulierungen in 17,18 und 20,21 letztlich nur ein christologisch-soteriologisches sein. Diese Kriterienfrage - und damit auch die Frage zwischen Kontinuität und Diskontinuität - wird im Joh selbst v. a. in den Parakletsprüchen (Joh 14,26; 16,13-15) aufgeworfen. Um die von K. aufgeworfene Frage nach dem Auftrag der Kirche heute im Rückbezug auf das Joh weiter zu erörtern, wären u. a. diese Aussagen noch stärker einzubeziehen.