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Ausgabe:

Mai/1999

Spalte:

496–489

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Engel, Helmut:

Titel/Untertitel:

Das Buch der Weisheit.

Verlag:

Stuttgart: Kath. Bibelwerk 1998. 322 S. 8 = Neuer Stuttgarter Kommentar, Altes Testament, 16. Kart. DM 56,-. ISBN 3-460-07161-3.

Rezensent:

Otto Kaiser

Der vorliegende Kommentar zur Sapientia Salomonis aus der Feder des an der Kath.-Theol. Hochschule St. Georgen in Frankfurt am Main lehrenden Alttestamentlers Helmut Engel ist in drei Teile gegliedert: Auf die Einleitung in die literarischen Probleme des Buches (13-44) folgen der Kommentar (45-312) und ein Anhang, der von der Wirkungsgeschichte des Buches und seiner Verwendung in Liturgie und Predigt handelt und darüber hinaus Erläuterungen zu Namen und Sachen und ausgewählte Literaturangaben enthält (313-322).

Die Einleitung setzt bei dem Buchtitel und seinem Text ein, um dann zunächst seine Sprachgestalt und seine strukturellen Merkmale vorzustellen: Aus den Gesetzen des Parallelismus membrorum folgenden Bi-, Tri- oder Polykola aufgebaut, dienen seine Monokola der Hervorhebung oder Zusammenfassung. Seine Formung ist kunstvoll und zeigt wie z. B. die überaus zahlreichen Hyperbata die Vertrautheit mit der griechischen Stilistik (13-18).

Das als Rede eines Anonymus gestaltete Buch gliedert sich in die drei Teile 1,1-6,21; 6,22-11,1 und 11,2-19,22. Von ihnen ist der erste, durch den Gegensatz zwischen dem Gerechten und dem Frevler bestimmte, eine Mahnrede, die zur Liebe der Gerechtigkeit auffordert und als ihren Lohn die Gabe des ewigen Lebens verheißt. Dabei sind 1,1-6,1 (vgl. das Schema 45) und weiterhin auch 7,1-8,21 als Ringkompositionen gestaltet (vgl. die Schemata 45 und 125 f.). Bei dem zweiten Teil handelt es sich um ein Enkomion oder Lob der Weisheit, in dem der Redende sich als weiser König vorstellt, dem Gott auf sein Gebet hin die Weisheit geschenkt hat. Dabei sollte jeder biblische gebildete Leser in dem König Salomo erkennen, der aufgrund der einschlägigen Überlieferung in 1Kön, 1Chr und möglicherweise auch HL gezeichnet ist (vgl. 21 mit 126-132). Der in 7,22-8,1 im Zentrum des Mittelteils stehende Hymnus auf die Weisheit aktualisiert die biblischen Vorstellungen aus Prov 8 und Sir 24 im Rückgriff auf Götterhymnen und Litaneien wie z. B. die Isisaretalogien (vgl. 21 mit 132-141). Die abschließende Bitte um Weisheit in 9,1-19 ist an den Gott gerichtet, preist aber indirekt Herkunft, Wesen und Fähigkeit der Weisheit, deren Rettungstaten in 10,1-11,1 in einer Reihe von antithetischen Beispielen vorgeführt werden. Dabei leiten 10,15-11,1 als Bindeperikope zum dritten, letzten und umfangreichsten Teil 11,2-19,22 über (zu seinem Aufbau vgl. 24 f. und das Schema 184 f.). In ihm findet die mottoartige Aufforderung von 1,1, die Gerechtigkeit zu lieben, in der Form einer Gott dankbar preisenden Erinnerung an den Exodus und die Führung in der Wüste in fünf Abschnitten mit insgesamt sieben antithetischen Synkrisen ihre Begründung, zeigen sie doch, daß Gott die Gerechten gerettet und die Frevler bestraft und vernichtet hat (vgl. 23 f. mit 183 f.). Angesichts des in diesem Teil angewandten Verfahrens der vergleichenden Gegenüberstellung sollte man es bei seiner Bezeichnung als einer Synkrise belassen, statt ihn unspezifisch als Midrasch anzusprechen (185 f.).

Durch die in 1,1 aufgebaute und durch 6,1 aufrecht erhaltene fiktionale Situation der Rede wird der Leser in eine Distanz versetzt. Sie verbietet ihm im ersten Teil seine Identifikation mit Salomo wie mit den Königen der Erde, während der zweite Teil es ihm leicht macht, sich mit jenem gleichzusetzen und nun auch seinerseits Gott um die Gabe der Weisheit anzurufen (25 f.). Im dritten, von den Schicksalen Israels redenden Teil fühlt der Leser sich als Jude in den Antagonismus zwischen Israel und Ägypten miteinbezogen. Die auffallende Offenheit des Buches, das in 19,22 mit der hymnischen Feststellung schließt, daß der Herr sein Volk groß gemacht und ihm immer in seinen Nöten beigestanden hat, ruft den Leser dazu auf, nun auch seinerseits Gott zu loben (27). So ist das Buch formal Erzählung einer Rede (27). Sucht man jedoch für es als Ganzes eine Gattungsbezeichnung, wird man es mit James M. Reese (AnBib 41, 1970, 117-122) als einen Protreptikos und d. h. in diesem Fall als eine Mahnschrift verstehen, die zumal junge Juden veranlassen will, die Gerechtigkeit zu lieben (vgl. 1,1) (27 f.) Denn obwohl das Buch dem Wortlaut nach an die Richter bzw. Könige der Erde gerichtet ist (vgl. 1,1 mit 6,1), zeigen seine Sprachgestalt und Argumentationen, daß es ebenso die Bekanntschaft mit der hellenistischer Bildung wie mit der griechischen Bibel voraussetzt. Seine stilistischen und kompositionellen Feinheiten und Anspielungen auf die Heilige Schrift wie auf die klassische griechische Literatur und seine Bezugnahme auf philosophische Diskussionen der zeitgenössischen Popularphilosophie zumal stoischer Provenienz und das naturwissenschaftliche Allgemeinwissen der Zeit konnte nur von Juden gewürdigt werden, deren Muttersprache das Griechische war und die ebenso eine hellenistische wie eine biblische Bildung besaßen (35). Da sich der Vf. an keiner Stelle direkt mit Gegnern auseinandersetzt, ist sein Buch weder eine nach außen gerichtete Apologie noch eine gegen Apostaten gerichtete Polemik, sondern der Nachweis, daß es sich lohnt, das eigene religiöse Erbe im Lichte der hellenistischen Bildung zu bedenken (32). Vermutlich in einem längeren Zeitraum als Ergebnis des Schulunterrichts geschaffen, empfahl es sich dank seines Inhalts auch zu einer entsprechenden Verwendung, sofern es nicht von vornherein als Schulbuch aufgezeichnet worden ist (34 und 35 f.).

Entstanden dürfte das Buch auch nach Engels Meinung am ehesten in Alexandrien sein, wo das jüdische Politeuma angesichts des ihm verschlossenen Gymnasiums ein eigenes Bildungssystem auf höchstem Niveau entwickelt hatte. Als die Juden auf Anordnung des Kaisers Augustus seit 24/23 auch die Kopfsteuer zu zahlen und damit rechtlich wie die eingeborene ägyptische Bevölkerung behandelt wurden, kam es zunehmend zu Auseinandersetzungen mit den Griechen, die unter Caligula ihren Höhepunkt erreichten und vorerst unter Claudius 41 n. Chr. ihr Ende fanden. Eine Entstehung des Buches vor dem 1. Jh. v. Chr. ist aus sprachlichen Gründen ausgeschlossen. Der spezifische Gebrauch von diágnosis und krátesis setzt mit Giuseppe Scarpat (RivBib 15, 1967, 171-189; ders. RivBib 36, 1988, 363-375) die Machtübernahme des Octavian/Augustus voraus.1 Falls 19,13-17 die durch die laographia von 24/23 eingeleitete Situation voraussetzt, wäre das Buch nach diesem Termin und vor 41 n. Chr. entstanden. Zu dieser Datierung fügt sich auch die Anspielung auf den Herrscherkult in 14,16-20 ein (33 f.). Aber vielleicht sollte man sich gegen E. mit Eduard Zeller III/2, 19235 (ND), 295 f. Anm.1 doch für die Datierung in den letzten Jahrzehnten vor der Zeitenwende entschließen, da das Buch keine Hinweise auf eine aktuelle Verfolgungssi- tuation enthält.

Helmut Engel hat einen lesbaren Kommentar vorgelegt, der sich durch seine Textnähe und durch die große Sorgfalt empfiehlt, die er vom Anfang bis zum Ende der Komposition der Texte wie des ganzen Buches gewidmet hat. Der Eigenart der Reihe gemäß sind die Texte von E. nicht neu übersetzt. Der Leser wird vielmehr auf die Einheitsübersetzung verwiesen, mit deren Eigenarten sich E. freimütig auseinandersetzt. Da er jeden fremden Begriff und Sachverhalt erklärt, manche gelehrte Beobachtung im Kleindruck einschaltet, Spezialprobleme in sieben Exkursen behandelt und nicht weniger als 25 für das Verständnis der Kommentierung unerläßliche antike Texte vom Gilgamesch-Epos bis zum Erlaß des Kaisers Claudius ganz oder in sachgemäßem Auszug bietet, kommt sowohl der nicht speziell vorgebildete Bibelleser wie der Gelehrte bei der Benutzung dieses Kommentares auf seine Kosten.

Fussnoten:

1) Vgl. dazu künftig auch M. Kepper, Studien zur Sprache und Theologie der Sapientia Salomonis, BZAW 1999.