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Ausgabe:

Mai/1999

Spalte:

494 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schenk, Richard [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Zur Theorie des Opfers. Ein interdisziplinäres Gespräch.

Verlag:

Stuttgart: Frommann 1995. IX, 342 S. 8 = Collegium Philosophicum, 1. Kart. DM 69,-. ISBN 3-7728-1665-7.

Rezensent:

Bernd Janowski

Nachdem in den vergangenen Jahren das Thema "Opfer" zumindest ansatzweise in die biblische Exegese zurückgekehrt ist,1 scheint es an der Zeit, daß die Ergebnisse der Bibelwissenschaft auch der nichttheologischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.2 Der vorliegende Band, der die Ergebnisse eines Symposions des Collegium Philosophicum des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover vom 5.-6. November 1993 vorlegt, stellt sich dieser Vermittlungsaufgabe in Form eines "interdisziplinären Gesprächs" über die "Theorie des Opfers". Beabsichtigt war dabei nicht, so der Herausgeber Schenk in seiner Einleitung (1-7), "der aus der Opferkritik resultierenden Aufgabe einer umfassenden, selbsttransparenten und konsistenten Theorie des Opfers restlos zu entsprechen", aber doch, die verstreuten loci der gegenwärtigen religionswissenschaftlichen, religionsphilosophischen, psychologischen, humanmedizinischen, ökonomischen, soziologischen und theologischen Opferdiskussion reflektierend aufeinander zu beziehen.

Die Diskussionslage, von der heute jede Analyse auszugehen hat, ist allerdings mehr als unübersichtlich, und zwar deshalb, weil religiöse Opfervorstellungen, die in sich schon vielfältig genug sind und neuerdings durch die Thesen W. Burkerts zu den "biologischen Grundlagen der Religion"3 eine zusätzliche Dimension erhalten haben, zu moralisierenden und politischen Zwecken - Stichwort "Opferbereitschaft" der Bürger und Bürgerinnen - ausgeweitet werden. Hier für mehr Klarheit zu sorgen, hatten die Veranstalter und die Referenten sich vorgenommen. Darüberhinaus war dem scheinbar widersprüchlichen Nebeneinander von Opferkritik und Opferfaszination und überhaupt der Differenz bzw. richtiger: dem Zusammenhang von victima (passives Opfer) und sacrificium (aktives Opfern) kritisch Rechnung zu tragen. Ausgesprochen oder unausgesprochen steht bei vielen Referenten dabei die Opfer- und Kulturtheorie R. Girards4 im Hintergrund.

Die elf, z. T. recht ausführlichen Beiträge des vorliegenden Bandes sind in vier Abschnitten angeordnet: I. Zur Problemstellung einer Theorie des Opfers: R. Spaemann, Bemerkungen zum Opferbegriff (11-24) - J. Greisch, Homo mimeticus. Anthropologische Voraussetzungen von René Girards Opferbegriff (27-59). - II. Die Frage aus der Sicht der Humanwissenschaften: H. Emrich, zur philosophischen Psychologie des Opfers (67-101) - F. Hartmann, Opfer in der Medizin und der Naturwissenschaft (105-118) - G. Gäfgen, Verzicht und Belohnung - das Opfer in ökonomischer Perspektive (127-147). - III. Zur Geschichtlichkeit des Opferbegriffs: Religionswissenschaftliche und theologische Überlegungen: H. Bürkle, Die religionsphänomenologische Sicht des Opfers und ihre theologische Relevanz (153-169) - F.-X. Kaufmann, Macht die Zivilisation Opfer überflüssig? (173-187) - R. Schenk, Opfer und Opferkritik aus der Sicht römisch-katholischer Theologie (193-250) - F. Wagner, Die christliche Revolutionierung des Gottesgedankens als Ende und Aufhebung menschlicher Opfer (251-278). - IV. Systematische Voraussetzungen und Entfaltungen der Opfertheorie: W. Kluxen, Opfer als Handlung (289-302) - P. Koslowski, Die Geschichte der Welt als Selbstopfer Gottes. Theorie des Opfers bei Franz von Baader (307-321).

Schade nur, daß man - obwohl immer wieder auf die "Opferkritik" der Propheten5 oder den biblischen "Sündenbock" (Lev 16) verwiesen wird - einen alttestamentlichen (oder neutestamentlichen) Beitrag vergebens sucht. Positiv hervorzuheben ist demgegenüber der Gesprächscharakter des Ganzen: jedem Beitrag (außer demjenigen von R. Schenk) ist ein Gesprächsprotokoll beigefügt, das die angestrebte Interdisziplinarität nachdrücklich unterstreicht und dem Leser den Gang der kontroversen Einzeldiskussionen nachvollziehbar macht. Hinweise zu den Teilnehmern des Symposions (329-334) und ein Personenregister (337-342) beschließen den lehrreichen Band.

Fussnoten:

1) S. die neueren Überblicke bei H. Seebaß und F. M. Young, Art. Opfer II/IV, TRE 28 (1995) 258-267.271-278; B. Janowski und K. Backhaus, Art. Opfer I/II, NBL 3/Liefg. 11 (1997), 36-43; B. Janowski, Art. Opfermahl, NBL 3/Liefg.11 (1997), 43-46; H. Seiwert, Art. Opfer, HrwG 4 (1998), 268-284 (im Blick auf den Alten Orient und das Alte Testament, aber auch für Griechenland und Rom leider nicht auf der Höhe der Diskussion) sowie die Gemeinschaftsarbeit von Chr. Grappe/ A. Marx, Sacrifice. Vocation et subversion du sacrifice dans les deux Testaments, Genève 1998. Die (religionswissenschaftliche?) Arbeit von G. Heinsohn, Die Erschaffung der Götter. Das Opfer als Ursprung der Religion, Reinbek 1997, das immer wieder Fragen des israelitischen Opfers berührt, ist hier nicht zu besprechen. Mit seinem Ziel, im Gefolge der Katastrophentheorie J. Velikovskys die Religion schlechthin zu erklären und das Opfer als deren Ursprung auszugeben, folgt einem Ansatz, der weniger auf Quelleninterpretation als auf totalisierenden Ursprungstheorien basiert.

2)v S. dazu auch B. Janowski/M. Welker [Hrsg.], Opfer - theologische und kulturelle Kontexte (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft), Frankfurt a. M. 1999.

3) W. Burkert, Kulte des Altertums. Biologische Grundlagen der Religion, München 1998, s. dazu die Diskussion in: Method and Theory in the Study of Religion 10 (1998), 84-132.

4) S. dazu jetzt R. Girard, Wenn all das beginnt ... Ein Gespräch mit M. Treguer, Thaur-Wien-München 1997, vgl. auch R. Schwager, Religionswissenschaft und Theologie. Wolfhart Pannenberg und René Girard, KuD 44 (1998), 172-192.

5) Ist sie tatsächlich so leicht zu verstehen, wie auch in diesem Band hier und dort suggeriert wird?, s. zur Sache etwa I. Willi-Plein, Opfer und Kult im alttestamentlichen Israel. Textbefragungen und Zwischenergebnisse (SBS 153), Stuttgart 1993 und dazu die Besprechung von B. Janowski, ThLZ 121 (1996), 1050-1053.